In der Surselva hat sich die Kunsthistorikerin Diana Pavlicek mit einem alten Ökonomiegebäude einen lang gehegten Wohntraum erfüllt.
Es war einmal eine junge Frau, die lange Zeit einen grossen Wunsch hegte: eines Tages in einem Stall zu wohnen. Traurig über das Stallsterben, den Zerfall von Zeitzeugen traditioneller Landwirtschaft, machte sie sich auf die Suche nach ihrem Rettungsobjekt. «Ich verliess mich ganz auf meine Intuition», meint Diana Pavlicek. Das richtige Gebäude würde schon kommen. «Am meisten fasziniert mich das Archaische und Authentische», antwortet die Kunsthistorikerin auf die Frage, warum es denn gerade ein Stall sein sollte. Die Suche nach diesem Urchigen war dann die letzten eineinhalb Jahre lang sehr intensiv. In grosser Hoffnung durchwanderte sie etliche Dörfer und besuchte unzählige Landbeizen, um lokale Zeitungen und Anschlagbretter zu studieren. Ergebnislos. Bis zum Herbst 2012.
Nach einem langen Tag und mehreren Besichtigungen schlug der sie begleitende Architekt vor, noch ein letztes Objekt zu begutachten. Hoch oben in Duvin im Val Lumnezia gebe es einen Stall, der vor Jahren mal zum Verkauf gestanden war. Das Wetter war schlecht, der Himmel dicht mit Wolken und Nebel verhangen, und während sie die sich eng schlängelnde Bergstrasse hinaufkurvten, mischten sich gar erste Schneeflocken in den Regen. Trotzdem wollte Diana Pavlicek da unbedingt noch hin. Und da stand er. Am Dorfeingang neben der Kirche, direkt über dem steilen Fels. Die Lage war ihr anfangs gar nicht so bewusst, die atemberaubende Aussicht blieb ihr an diesem Tag ja noch verwehrt. Doch sie war sich sicher: Das war ihr Stall.
In Harmonie mit der Umgebung
Wie es mit Träumen so ist, entstehen im Kopf ganz klare Bilder. Darum konnte Diana Pavlicek mit der Hilfe eines Architekten schnell und konkret an die Sache herangehen. Sie scheute keine Herausforderung. Das Wichtigste war ihr, den Charakter des Stalls zu erhalten. Optisch von aussen, damit er sich weiterhin harmonisch in seine Umgebung einfügt, aber auch in der materiellen Ausgestaltung, seiner haptischen Qualität. Von aussen sollte so wenig wie möglich ersichtlich sein, dass sich im Kern ein zweieinhalbstöckiger neuer Wohnkubus befindet. Hinter dem Eingang am Ende des Tenns liegt zur Rechten das Bad, und links entsteht gerade noch ein Zimmer für den bevorstehenden Familienzuwachs. Dann geht es eine erste Treppe hinunter, die in den Wohnbereich führt. Links oben in der Ecke thront ihr Schwalbennest, wie Diana Pavlicek es nennt. Es ist über eine Leiter zugänglich, die sie im Stall gefunden hat. Durch seine raffinierte asymmetrische Form ist das Nest zwar klein, aber geräumig. Am schönsten sei es, im Bett liegend aus den Fenstern zu sehen. Dabei fällt der Blick links auf eine steile Felswand, und durch den Fensterrahmen sieht man zu Füssen auf der gegenüberliegenden Seite des Val Uastg das Dorf Camuns. Das sei wie stündlich einen neuen Hodler betrachten zu können, meint Diana Pavlicek. Obwohl die Bewohnerin beruflich täglich mit Kunst zu tun hat – sie ist Sponsoring-Verantwortliche und Kunstkuratorin der Swiss Re –, sind die Wände (noch) leer. Einzig die grosse Aussenwand des Schlafbereichs wurde weiss verputzt, um eine Zusatzfunktion als Leinwand zu schaffen. Auf ihr lässt Diana Pavlicek, sobald sie im Haus ankommt, erst mal ein Video der Surselver Künstlerin Evelina Cajacob laufen, das über den Beamer projiziert wird. Das stetige Aufwickeln eines Wollknäuels, das zu sehen ist, und das Geräusch, das dabei entsteht, schafften eine fast schon meditative Stimmung, die sie beruhige.
Von Anfang an entschied sie sich dafür, möglichst viel Baumaterial aus der Gegend zu verwenden und ausschliesslich mit lokalen Handwerkern zusammenzuarbeiten. Klar, dass die manchmal kopfschüttelnd, aber mit einem wohlwollenden Lächeln auf ihre klaren Vorstellungen eingingen, die sie zuerst nicht wirklich nachvollziehen konnten. Diana Pavliceks ausgesprochene Liebe zum Detail und die Hartnäckigkeit, mit der sie diese standhaft verteidigte, machen den Wohnraum aber erst zu dem, was er ist: ein mit viel Herzblut erschaffenes Refugium. So spürt man zum Beispiel die Wärme und Lebendigkeit des Altholzes, welches sie für den Dielenboden verwendet und eigenhändig während mehrerer Wochenenden gebürstet hat. Oder das Licht, das zwischen den alten Balken der erhaltenen Fassade ins Innere fällt: Es verwandelt das Bad in einen gemütlichen, fast schon mystischen Ort. Bei der Treppe, die vom Wohn- und Schlafbereich zum Essbereich hinunterführt, kämpfte sie regelrecht für ein markantes und zugleich unscheinbares Detail. So ging aus den von ihr betriebenen Stallstudien hervor, dass die Ecken der Stufenkanten jeweils abgeschnitten wurden, und so wollte sie das auch.
Eine düstere Vorhersehung
Die rund achtzig Dorfbewohner waren ihr von Anfang an wohlgesonnen, und Diana Pavlicek pflegt regen Kontakt zu ihnen. «Ja, ich glaube, ich bin jetzt die 81.» Nach ihrem Einzug bat sie die Nachbarschaft zum Nachmittagskaffee, und die letzten Besucher verabschiedeten sich erst kurz vor Mitternacht. Die Menschen hier seien sehr offen und kommunikativ. So konnte eine anfängliche Skepsis schnell aus dem Weg geräumt werden. Am heutigen Tag hat sie schon eine Einladung ihrer Nachbarin zum Mittagessen ausgeschlagen, und einem anderen musste sie Rechenschaft ablegen, weil sie schon ewig nicht mehr hier gewesen sei – ganze zwei Wochen! «Ich habe einerseits den Bezug zum Ort und das Dorfleben, und wenn ich mich um 180 Grad drehe, die Ruhe und Weite der Natur, direkt auf dem Felsvorsprung.» Etwas, das sie sehr schätzt an ihrer zweiten Heimatbasis. Und die Bewohner schätzen es, dass ihre neue Nachbarin die Geschichte des alten Gebäudes so adäquat weiterführt. Nur eine winzige schwarze Wolke einer düsteren Vorhersehung trübt die Idylle. Wie es die Legende will, machten die Duviner alljährlich an Mariä Heimsuchung eine Prozession zur Kirche St. Maria in Vrin. Als bei einem solchen Bittgang einmal die ganze Heuernte verregnet wurde, schworen sie dem katholischen Glauben ab und warfen die Statue der heiligen Mutter Gottes, welche die Kirche schmückte, ins Duviner Tobel. Bei Peiden-Bad wurde sie aus den Wellen des Glenners gerettet und in der Luziuskapelle aufgestellt. Ring- und kleiner Finger ihrer rechten Hand waren abgebrochen. Da habe sie die unversehrten Schwurfinger erhoben und prophezeit, Duvin werde zweimal abbrennen und als Drittes ins Tobel stürzen.
Diana Pavlicek jedoch beschäftigt das eigentlich nicht gross. Vielmehr findet sie die Geschichte schön und verspricht den Dorfbewohnern, die sie immer wieder auf die Legende aufmerksam machen: «Ich werde ganz laut rufen, um euch zu warnen, wenn es soweit ist!» Aber es hat tatsächlich bereits zweimal gebrannt. Und der Stall steht an vorderster Front …
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Die Riemenböden sind aus Altholz, und den Innenausbau haben lokale Handwerker besorgt
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Der Weg zu Diana Pavliceks Wohnung führt durchs Tenn, in dem früher das Heu gelagert wurde
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Diana Pavlicek
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Eine massgefertigte Holztreppe führt vom Ess- hinauf ins Wohnzimmer
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Blick von der anderen Talseite auf Duvin: Diana Pavliceks Refugium steht rechts unterhalb der Kirche
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Die originale Aussenfassade sorgt für zauberhafte Licht-und-Schatten-Spiele im Bad
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Über eine Leiter gehts hinauf ins Schwalbennest. Seine schräge Aussenwand ist Leinwand für die Videoinstallation «Incrèsciar – Lange Zeit» von Evelina Cajacob
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Auf der Terrasse stellt sich kein Geländer dem Panoramablick in den Weg