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Sophie Hunger zur Familienzeit-Initiative: “Junge Eltern sind in der Schweiz immer nah am Breakdown”

Sophie Hunger zur Familienzeit-Initiative: “Junge Eltern sind in der Schweiz immer nah am Breakdown”

Seit Mittwoch läuft die Unterschriftensammlung für die Familienzeit-Initiative. Musikerin und Autorin Sophie Hunger ist Mitglied des Initiativkomitees – und sprach mit uns über fehlende Kitaplätze, sehnsüchtige Väter und glückliche Kinder.

annabelle: Was hat Sie dazu bewogen, die Familienzeit-Initiative zu unterstützen, die je 18 Wochen Elternzeit für Mütter und Väter fordert?
Sophie Hunger: Die Tatsache, dass es bei uns für alles Strukturen und Subventionen gibt: fürs Militär, für die Milchkühe, für Bankenrettungen. Aber die Eltern lässt man im Stich. Das ist falsch, weil es die beste Investition in unsere Zukunft ist.

Warum genau diese 18 Wochen?
Die Zahl 18 ist der Vorschlag der überparteilichen Allianz, welche auch den Elternzeit-Modellen von anderen modernen Staaten entspricht. Ich persönlich denke bei der Zahl 18 immer an die Martin-D18-Gitarre, die Joni Mitchell gespielt hat – also muss es richtig sein.

Die Initiative betont, wie wichtig es ist, dass nicht nur ein Elternteil die Familienzeit nimmt. Warum ist das wichtig?
Eltern wird man gemeinsam, also sollte man sich gemeinsam um Kind, Kegel und Krümel kümmern. Die aktuelle Gesetzgebung spurt aber das alte Rollenmodell vor, bei dem sich die Mutter um die Kinder und den Haushalt kümmert. Wenn künftig beide Elternteile gleich lange zu Hause gebraucht werden, fällt auch die Lohndiskriminierung wegen Mutterschaft weg. Und: Heute führt das Kinderkriegen bei Müttern zum Karriereknick, zu finanzieller Abhängigkeit, geringerer Altersvorsorge und es erhöht das Risiko für Altersarmut. Und sorry, junge Eltern sind in der Schweiz immer nah am Breakdown, muss das sein? Die Familienzeit-Initiative holt das alles schön ab.

Wir kämpfen schon so lange für die Anliegen von Eltern in der Schweiz, und viele Mütter sind zu müde, um überhaupt zu kämpfen. Sie auch manchmal?
Ich bin des Kampfes nicht müde, im Gegenteil, es spornt mich an, mir vorzustellen, dass wir unser Schicksal in die Hand nehmen und die Verfassung ändern. Es gibt eine Zeit fürs Liederschreiben, aber eben auch eine Zeit, um Gesetze zu schreiben. Was für eine Ehre, hier dabei zu sein, wir machen das jetzt!

Warum sollen auch Menschen, die keine eigenen Kinder haben, für die Initiative sein?
Kinder sind für mich der Inbegriff von Hoffnung und Zukunft. Eine Gesellschaft, die das unnötig oder nur nervig findet, ist doch am Ende und badet in Selbsthass. Wie ein Baum, der keine Früchte mehr tragen will, der wirft nur noch Schatten und stirbt. Wo ist da die Freude?

Ein Argument der Initiative lautet: «In Ländern, in denen die Elternzeit verlängert wird, zeigt sich eine allgemeine Verbesserung der Gesundheit der Kinder.» Glauben Sie, dass das vielleicht das entscheidende Argument sein könnte? Schliesslich wissen wir über die Gesundheit der Mütter längst Bescheid, aber ändern tut sich wenig…
Ich finde das allein schon Grund genug. Eine Gesellschaft misst sich am Wohl der Kinder. Wir sollten ihnen alles geben, was wir geben können. Glückliche Kinder werden zu umsichtigen und lustigen Erwachsenen, daraus entsteht eine sympathische, kluge Gesellschaft, die sich und der Umwelt Sorge trägt.

Welche Rolle spielt Ihre eigene Kindheit bei Ihrer Einstellung zur Familienzeit?
Da bin ich mir nicht sicher; ich schaue nach vorne. Ich glaube, die Herausforderungen unserer Eltern waren andere, und auch unsere Kinder werden wieder andere haben. Das Gesetz ist immer hinterher, in diesem Fall Lichtjahre. Aber wir holen jetzt auf, das Bundeshaus soll uns spiegeln.

Die Schweiz ist laut der letzten Erhebung des «The Economist» das viertschlimmste Land für berufstätige Mütter. Was macht dieser Fakt mit Ihnen als Mutter?
Das spornt mich an, sofort etwas daran zu ändern. Darum bin ich Teil des Initiativ-Komitees und darum wähle ich gezielt Frauen, die meine Rechte verteidigen. Die Politik gibt die Marschrichtung für die künftige Gesellschaft vor – das ist der effektivste Hebel für Veränderung. Leider nicht Popsongs, schön wärs.

Wie sehen Sie die Rolle von Vätern in der Familienzeit-Debatte? Warum sind sie bisher noch nicht lauter?
Über Zwei Drittel der in der Schweiz lebenden Männer wollen nach der Geburt ihres Kindes länger als zwei Wochen zu Hause bleiben. Das ist eine echte Sehnsucht. Mit der Familienzeit-Initiative kriegen alle Väter die würdevolle Chance, ihre Elternschaft zu leben und die Rollenbilder für die nächste Generation zu verändern. Man kann es auch einfacher sagen: Wenn man die ersten drei Monate nie im Windel-Schmusen-Schöppele-Fieber steckt, dann wird es später nicht einfacher, sich darin zurechtzufinden. Und die Babys schreien alle: «Mama!»

Sie haben zwei Kinder. Wäre es sinnvoll, die Elternzeit beim zweiten oder dritten Kind noch zu verlängern?
Für mich persönlich nicht. Ich habe mich gefreut, wieder arbeiten zu gehen.

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"Es sollte unser edelstes Ziel sein, diese Freude am Leben in allen zu stärken und nicht mit Angst und Sorge zu ersticken"

Sophie Hunger

Was wünschen Sie sich von der Schweizer Gesellschaft und Politik im Hinblick auf die Unterstützung von Familien am meisten?
Eine produktive Vision, die in kühnen Plänen und der nötigen Spendierfreude mündet. Ein paar Fakten: Die Schweiz investiert im internationalen Vergleich laut der OECD sehr bescheidene 1,8% ihres BIP in Familien und Kinder: Familienzulagen, Mutter- oder Vaterschaftsentschädigungen sowie Beiträge an Kindertagesstätten. Dies ist deutlich weniger als die meisten west- und nordeuropäischen Länder, so zum Beispiel Schweden (3,4%), Frankreich (2,9%), oder Deutschland (2,3%), welche ein ähnliches Pro-Kopf-Einkommen haben wie wir. Wir Schweizer:innen hingegen behandeln die Kühe besser als unsere Familien. Nichts gegen Kühe, übrigens.

Welche Erfahrungen haben Sie als Mutter gemacht, die Sie anderen in Bezug auf die Balance zwischen Erwerbs- und Care-Arbeit mitgeben können?
Es ist kein Witz. Einen Kitaplatz zu finden, kann besonders in ländlichen Regionen schlicht unmöglich sein, man ist nicht mehr gleich leistungsfähig wie vorher, man braucht die eigene Familie und Freund:innen wie niemals zuvor, man wird verletzlich und marginalisiert. Man ist aber auch auf einmal dem Geheimnis des Lebens und seinem Zauber wieder ganz nah. Man erkennt glasklar den Wahn unseres hyperkapitalistischen Systems, in dem wir alle wie Hamster im Rad sprinten und das Wesentliche opfern.

Glauben Sie, dass unsere Kinder diese Diskussionen nicht mehr führen müssen, wenn sie selbst darüber nachdenken, eine Familie zu gründen?
Ich denke, sie werden ganz andere Herausforderungen haben. Um sie dafür zu wappnen und zu möglichst starken, sorgsamen Individuen werden zu lassen, brauchen sie aber unsere Präsenz und Aufmerksamkeit am Anfang ihres Werdens.

Die Schweiz hat eine rekordverdächtig niedrige Geburtenrate von 1,3 Kindern pro Frau. Könnte eine ausgebaute Elternzeit junge Menschen dazu motivieren, mehr Kinder zu bekommen?
Ich glaube, man kann die Klasse einer Gesellschaft daran messen, wie hoffnungsvoll dem Elternsein entgegengeschaut wird. Es sollte unser edelstes Ziel sein, diese Freude am Leben in allen zu stärken und nicht mit Angst und Sorge zu ersticken.

Was macht diese Initiative in Ihren Augen mehrheitsfähig?
Weil wir tief in uns das Leben als etwas Wunderbares und Schützenswertes empfinden und es weitergeben wollen, wie das olympische Feuer, unbändig und zauberhaft.

Mehr Informationen zur Familienzeit-Initiative von Alliance F gibt es hier.

Dieses Interview wurde schriftlich geführt.

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