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Smiley-Terror

Smiley-Terror

  • Text: Claudia Senn; Foto: iStock

Kein Kauf ohne Kundenbewertung, keine Übernachtung ohne Rezension: Redaktorin Claudia Senn geht das auf die Nerven. Denn nur weil es die Masse mag, muss es noch lang nicht gut sein.

Nun sind die Smileys also auch schon beim Bäcker angekommen. Seither kann ich mir morgens nicht mehr einfach mein Brötchen holen, sondern muss das Personal für seine Performance auch noch bewerten. Reicht das freundliche «Grüezi, was darfs denn sein?» für einen lachenden Smiley? Oder schwang im Satz «Die Butterbrezeli sind leider schon ausverkauft» zu wenig echtes Bedauern mit? Anscheinend kommt heute selbst ein so banaler Kaufvorgang nicht mehr ohne Kundenfeedback aus. Anstrengend, um diese Uhrzeit. Dabei wollte ich doch bloss frühstücken.

Menschen bilden sich eine Meinung über alles, was um sie herum geschieht. Das war schon immer so. Doch macht es die Welt wirklich besser, wenn wir jede noch so profane Dienstleistung benoten wie ein zwanghafter Oberlehrer? Die Smileys sind jetzt ja überall, sogar auf öffentlichen Toiletten (wo man nach dem Händewaschen doch eigentlich gar nichts mehr anfassen sollte). Erkundige ich mich bei der Telefongesellschaft nach einer fehlerhaften Rechnung, folgt drei Sekunden nach dem Anruf ein SMS-Fragebogen, in dem ich die Callcenter-Mitarbeiterin beurteilen soll. Komme ich aus dem online reservierten Restaurant nachhause, wartet im E-Mail-Postfach schon eine Aufforderung, das Lokal auf einer Skala von eins bis fünf zu bewerten. Als ob es zu meiner heiligen Konsumentenpflicht gehörte, zu allem und jedem eine Meinung abzusondern. Ich weiss, mein Bäcker und all die anderen Unternehmen meinen es im Grunde gut. Sie wollen ja bloss ihren Service verbessern. Ausserdem nutze auch ich manchmal Bewertungsportale, wenn ich ein Hotelzimmer in einer fremden Stadt buchen muss oder mein Staubsauger den Geist aufgegeben hat. Mittlerweile zweifle ich jedoch daran, dass ich damit wirklich die beste Wahl treffe.

Am höchsten bewertet wird stets, was der Mehrheit gefällt. Spitzenränge in Ratings bilden den Konsens der Masse ab, sie sind der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich eine riesige Menge Menschen einigen kann. Doch warum sollte die Masse recht haben? Die Masse isst ja auch Quälfleisch aus Tierfabriken und macht Ferien in drögen All-inklusive-Resorts oder am Ballermann. Unter dem Radar des Massengeschmacks verschwindet stets das Besondere, Eigenwillige, Überraschende, von der Norm Abweichende. Mein eigenes Lieblingsrestaurant hätte ich wohl niemals betreten, wenn ich zuvor die Bewertungen auf Tripadvisor gelesen hätte. Zu abschreckend wären mir manche Kommentare vorgekommen. Heutzutage sagt man ja nicht mehr dem Kellner Bescheid, wenn man mit dessen Service unzufrieden war, sondern führt lieber gleich eine Art Onlinevernichtungskrieg gegen das Lokal. Die Feedback-Funktion ist zu einem billigen Rache-Instrument der Zu-kurz-Gekommenen, ewig Beleidigten und Sauertöpfischen verkommen.

Positive Bewertungen sind jedoch auch nicht vertrauenserweckender. Zu verschieden sind die Menschen und ihre Bedürfnisse, um sich in den Onlinekommentaren Wildfremder tatsächlich wiederzuerkennen. Woher weiss ich denn, ob der begeisterte User, dessen Buchrezension mich zu einem Kauf verführt, in seiner Freizeit nicht Pitbulls züchtet oder einen Donald-Trump-Fanclub gegründet hat? Wie spektakulär schief es gehen kann, sich auf Bewertungsplattformen zu verlassen, erlebte ich kürzlich in einem Münchner Hotel, das im Internet als «fabelhaft» gefeiert wird. Ich hätte es vielleicht auch fabelhaft gefunden – wenn ich 25 und ein Hipster wäre. So aber fühlte ich mich wie ein peinliches Mami, das in die Party seiner pubertierenden Sprösslinge platzt. Fabelhaft fehl am Platz.