Politik
Sind Kinder Privatsache?
Stephanie Hess
Leitung Reportagen
Mütter und Väter sind herzlich willkommen, wenns drum geht, die Rententöpfe zu füllen. Ihr Alltag hingegen gilt als private Angelegenheit und wird nicht als gesellschaftlich relevante Angelegenheit verhandelt. Das muss sich ändern.
Die Pandemie hat salonfähig gemacht, was vorher nur hinter vorgehaltener Hand gesagt wurde: Wenn Eltern ausriefen, dass Homeoffice mit Kindern nicht möglich sei oder sich gegen Homeschooling wehrten, hiess es gern: «Gell, es war ja eure Entscheidung, das Kinder-Bekommen.»
Das lässt sich nicht abstreiten. Jahrzehntelang führt man sich als Frau Pillen, Ringe, Stäbchen und Spiralen zu, kauft Kondome, holt sich die Pille danach. Bis man sich dann entscheidet, meist mit Stichtag und Bewusstsein, ein Kind zu zeugen. Ein absolut privater Entscheid unter zwei Menschen.
Auch wenn das Kinder-Bekommen natürlich in erster Linie das eigene Glück fördert, besteht an dieser vermeintlichen Privatsache durchaus gesellschaftliches Interesse. Viele kleine Staatsbürgerinnen sollen gezeugt werden, auch wenn weltweit die steigende Bevölkerung gefürchtet wird. Denn: Mit der Sicherung der AHV kommt ihnen eine gewichtige Aufgabe zu. Organisiert über den Generationenvertrag nach dem Grundsatz: Die im Arbeitsleben stehende Generation erarbeitet die Renten für die Pensionierten. Weniger Kinder, weniger Rentengelder für die immer älter werdenden Pensionierten.
Geht es darum gesellschaftlicher Ziele zu erreichen, sind Mütter und Väter als Erfüllungshilfen also durchaus willkommen. Alles andere, was Kinder so mit sich bringen, wird hingegen nicht als gesellschaftlich relevante Angelegenheit verhandelt. Der Alltag mit Kindern bleibt private Herausforderung, zu lösen innerhalb der (wer Glück hat: erweiterten) Familie.
«Der Alltag mit Kindern bleibt eine private Herausforderung»
Dass Mütter in der Umfrage «annajetzt», die annabelle mit der Forschungsstelle Sotomo durchgeführt hat, in vielen Bereichen weniger zufrieden sind als kinderlose Frauen hängt auch mit dem Ausblenden der familiären Wirklichkeit von Politik und Wirtschaft zusammen. Es offenbart sich, wenn Mütter und Väter während des ersten Lockdowns ungerührt aufgefordert werden, ihre Kinder aus den Kitas zu holen und gleichzeitig ihre Arbeitspensen zu erfüllen. Ebenso darin, dass es in sehr vielen Firmen gerade in Führungspositionen kaum möglich ist, sein Pensum auch nur um zwanzig Prozent zu reduzieren. Und auch in den fehlenden oder zu tiefen Kita-Subventionen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie schreitet nur sehr zäh voran, Care-Arbeit wird von der Politik über grosse Strecken ignoriert.
Das persönliche Glück, das Kinder bescheren, darf nicht darüber hinwegtäuschen: Es ist ein schlechter Deal, dass dem Aufwachsen von Kindern so wenig Wichtigkeit beigemessen wird, obwohl sie die Substanz des vielbeschworenen Generationenvertrags bilden. Ein Deal, den wir nicht noch einmal eingehen dürfen, wenn der wegen der demografischen Entwicklung sowieso längst ins Wanken geratene Generationenvertrag überarbeitet wird.