Vom Volksfest zum Massenevent: Der englische Sportjournalist Simon Kuper ist seit 1990 bei jeder WM dabei.
Seit 1990 ist der englische Sportjournalist Simon Kuper an jeder WM dabei. Seine Erkenntnis: Das Drumherum ist meist viel spannender als der Fussball.
Einige Tage vor Beginn der Fussballweltmeisterschaft in Italien 1990 wurde ich in meiner Studentenbeiz von einem Freund angesprochen. «Würdest du zur WM fahren, wenn du Eintrittsbillette hättest?», fragte er. «Wie bitte?», erwiderte ich misstrauisch. «Ich hab Tickets. Aber während des Semesters kann ich nicht weg, meine Tutoren wären stinksauer.» «Klar würde ich hinfahren», sagte ich, «aber ich würde auch meinen ganzen Freunden Tickets verschaffen.» «Oh, kein Problem. Ich kann dir so viele Tickets besorgen, wie du willst.» Der Vater eines Freundes, erklärte er, arbeite bei Mars, einem der Sponsoren. Mars habe jede Menge Billette für Geschäftspartner, von denen aber niemand interessiert sei. Amerikaner oder Asiaten hatten – damals jedenfalls – keine Ahnung von Fussball, und Europäer dachten mit Grauen an englische Hooligans, die in Italien einfallen. Ein Besuch der WM war damals nicht wahnsinnig verlockend. Und deshalb hatte Mars Tickets abzugeben.
Zu dritt machten wir uns auf den Weg zu unserer ersten Fussballweltmeisterschaft. Wir fuhren über den Kanal, hockten anschliessend 24 Stunden in einem miefigen Zugabteil und redeten über die Dinge, für die sich 20-jährige Studenten damals, vor den Zeiten der Playstation, eben interessierten: Mädchen, Fussball und Politik. Während wir gerade die Regierungskrise in Bulgarien lösten, erreichten wir die italienische Grenze.
Seit 1990 bin ich bei jeder Weltmeisterschaft gewesen, und am 8. Juni werde ich auch in Südafrika dabei sein. In diesen zwanzig Jahren habe ich erlebt, wie die Veranstaltung immer gigantischer und sogar ein wenig weiblicher wurde. Als Reporter für US-Fernsehsender war ich furchtbar gestresst, noch schlimmer wars in einem Hotelzimmer in Japan, obwohl mich dort der Anblick eines geöffneten Bademantels entschädigte. In diesen zwanzig Jahren habe ich gelernt: Das Beste an einer Fussballweltmeisterschaft ist nicht der Fussball.
Wir standen also auf irgendeinem gottverlassenen Grenzbahnhof und hielten den beiden italienischen Beamten unsere britischen Pässe hin. Die beiden besprachen sich und erklärten, dass wir nicht einreisen dürften. «Was??»
«Hooligans nix Einreise», meinten sie. Wir gerieten in Panik. Hatten wir unsere Tutoren umsonst vor den Kopf gestossen und das viele Geld, das wir nicht besassen, für nichts und wieder nichts ausgegeben? Die Zöllner liessen sich nicht erweichen. In unserer Verzweiflung kramten wir unsere Bibliotheksausweise hervor. «Wir sind Studenten!», riefen wir. «Oxford!»
Abermals konferierten die Beamten und befanden schliesslich, soziologisch recht dürftig begründet, dass wir, wenn wir tatsächlich in Oxford studierten, vermutlich keine Hooligans seien. Wir durften nach Italien. So irre und desorganisiert ging es damals zu. Es war eine fantastische Zeit. Wir hatten Billette für drei nur bedingt interessante Spiele. Wie sich zeigte, waren nicht nur die Mars-Geschäftspartner nicht gekommen. Bei den Partien Kolumbien – Vereinigte Arabische Emirate und Schottland Costa Rica waren die Ränge halb leer.
Das ganze Turnier hatte etwas Amateurhaftes, was übrigens auch für viele Spieler galt. Einige der Amerikaner, die 0:5 gegen die Tschechoslowakei verloren, waren Studenten. Mannschaftskapitän von Kamerun war der 38-jährige Roger Milla, der auf der Ferieninsel La Réunion seinen vorzeitigen Ruhestand genoss, als er von Präsident Biya persönlich zur WM entsandt wurde und dort vier Tore schoss. Verglichen mit Südafrika 2010 war Italien ein Dorffest.
Die nächste Weltmeisterschaft fand 1994 in den USA statt. Zufällig studierte ich gerade in Boston. Ich bewarb mich bei einem Fernsehsender um einen Job und bekam ihn leider auch. Ich sass auf der Pressetribüne, und wenn jemand ein Tor schoss oder anderweitig auffiel, musste ich den Namen des Betreffenden sagen, der von den Technikern dann auf dem Bildschirm eingeblendet wurde.
Mein erstes Spiel, Argentinien Griechenland, hatte kaum begonnen, als ein grosser, dunkler, ziemlich argentinisch aussehender Argentinier mitten auf dem Spielfeld zusammenbrach. «Wer ist das?», fragte der Aufnahmeleiter über Kopfhörer. Ich hatte keine Ahnung. «Balbo», sagte ich. Und während auf dem Bildschirm, zur Information von Abermillionen Amerikanern, der Name Balbo erschien, stand der Spieler auf. Es war Chamot. «Das kannst du mir nicht antun!», rief die Stimme aus dem Kopfhörer. Bei den meisten Spielen konnte ich den Schlusspfiff kaum erwarten.
Das Schöne war: Sobald man das Stadion verliess, war man wieder in den USA, wo sich kaum jemand für das Turnier interessierte oder überhaupt wusste, dass es stattfand. Im Grundegenommen war es keine richtige Weltmeisterschaft, eher ein europäisch-lateinamerikanisches Duell. Andere Kontinente waren praktisch abwesend, Asien entsandte nur zwei Mannschaften, genauso viele wie Skandinavien.
In Boston trafen sich die Fussballinteressierten in ein paar wenigen Beizen, um die Übertragungen zu verfolgen. Besonders gern erinnere ich mich an ein Lokal, in dem alle Nationen auf der Stelle Freundschaft schlossen und man erleben konnte, wie etwa ein Nigerianer heftig mit einem Rumänen über die Taktik der Iren debattierte. Wir ähnelten Ornithologen, die sich auf eine ganz ungewöhnliche Spezies spezialisiert hatten. Die Weltmeisterschaft gehörte uns ganz allein. Eines Tages meinte ein Mexikaner, er sei froh, dass die Amerikaner sich nicht für Fussball interessieren. «Stell dir vor, was sonst los wäre», sagte er. «Dann würden sie auch auf diesem Feld die Grössten sein wollen. Ich finde es schön, dass es ein Gebiet gibt, das sie nicht dominieren.»
Schon deutlich grösser war die Veranstaltung 1998 in Frankreich. Die Amerikaner hatten den Sport entdeckt, es nahmen mehr asiatische Mannschaften teil, und unter Journalisten und Fans war sogar die eine oder andere Frau zu sehen.
An die Spiele selbst kann ich mich kaum noch erinnern. Die schaut man sich besser im Fernsehen an, inklusive Wiederholungen und Expertenkommentare, als im Stadion. In Frankreich entwickelte ich übrigens die berühmte Kuper-Regel: Bei einer Weltmeisterschaft ist das Drumherum spannender als der Fussball.
Da war etwa die Fahrt im Nachtzug. Schottische Fans lagen auf dem Gang, niedergeschlagen, abgebrannt, ungewaschen und schon ziemlich verkatert. Ihre Mannschaft hatte am Vortag gegen Marokko schmählich verloren. Plötzlich erschien ein Engel in Gestalt des Kondukteurs, der jedem von ihnen ein Bier in die Hand drückte – exakt das, was die Schotten in dieser Situation brauchten. Sie erkundigten sich nach dem Namen des Kondukteurs, und im nächsten Moment sangen sie auch schon im Chor: “Es gibt nur einen! Eric Foucault! Er lebe hoch! Drückt uns ein Bier in die Hand! Das ist ja wie im Wunderland!”
Foucault sprach kein Englisch, aber er sah zufrieden aus. Vielleicht, fragte er via Dolmetscher, seien die Schotten ja bessere Rugbyspieler. Nein, nein, riefen die Fans, auch da taugen wir nichts.
In dem Moment stieg ein marokkanischer Fan mit marokkanischer Fahne ein. Erschrocken sah er sich um: britische Hooligans, drauf und dran, ihre Niederlage zu rächen! Stattdessen begrüssten ihn die Schotten mit grossem Hallo und beglückwünschten ihn. Er trat näher und gab jedem die Hand. «Schon mutig, der Typ», sagte einer. Foucault kehrte zurück, reichte den Schotten sein Mikrofon, und sie sangen «Flower of Scotland» für den ganzen Zug. Das war viel, viel schöner als das Spiel. Manchmal ist die Weltmeisterschaft eine nationalistische Orgie, viel öfter ist sie ein Fest der Völker.
Ausserdem entdeckte ich in dem Jahr Frankreich. Als akkreditierter Journalist verbringt man einen ganzen Monat im Austragungsland. In London hatte ich bis dahin in einem Büro gesessen, dessen Fenster sich nicht öffnen liessen, und täglich eine Kolumne über den Devisenmarkt verfasst. In Frankreich stand ich um elf auf, schrieb ein bisschen, nahm auf einer Terrasse einen entspannten Lunch ein, sah mir ein Spiel an, lieferte einen Bericht darüber und traf mich anschliessend mit Kollegen aus aller Herren Länder zum Essen. Zurück in London, kam mir mein altes Leben unerträglich vor. Einen Monat nach WM-Ende kündigte ich, und einige Zeit später zog ich nach Paris, wo ich noch immer wohne (und gerade diese Zeilen schreibe).
Für Journalisten gibt es bei Fussballweltmeisterschaften nur ein Problem: Die Berichterstattung ist richtig harte Arbeit. Je grösser die Veranstaltung wurde und je mehr Länder sich dafür interessierten, desto lukrativer wurde dieser eine Monat alle vier Jahre. Ich habe für japanische, niederländische, Schweizer und andere Zeitungen berichtet und dabei oft ganze Artikel wiederverwendet. Und meistens habe ich im Zug geschrieben.
Als ich im Jahr 2002 in Japan aus einem dieser pfeilschnellen Züge stieg, dachte ich: Heute ist Samstag, dann könnte das hier Osaka sein. Ich sah 16 Spiele in 21 Tagen und in weiss der Himmel wie vielen Städten. Oft fuhren wir eine Strecke vergleichbar der Entfernung Zürich–Marseille, nur wegen einer einzigen Partie, und am nächsten Morgen um sechs ging es weiter. Japan verwandelte sich in eine verschwommene Szenerie von Reisfeldern und Einkaufszentren, die vor dem Zugfenster an uns vorbeiflogen. Und wenn ich, um die Zeit totzuschlagen, meine E-Mails checkte – W-Lan in Zügen war ein Wunder damals –, musste ich oft genug lesen: «Du weisst gar nicht, wie sehr ich dich um deinen Job beneide!!»
Die Geschichte vom Rockstar auf Tournee könnte ich in Sapporo gehört haben. Jeden Tag stieg der Rockstar in einer anderen Stadt in einem anderen Hotel ab, doch irgendwann beschlich ihn der Verdacht, dass es immer dasselbe Zimmer war. Er fand eine rockstargemässe Lösung: Vor dem Auschecken zertrümmerte er jedes Mal den Spiegel in seinem Zimmer, um sich auf diese Weise zu vergewissern, dass das nächste Zimmer wirklich ein anderes war.
Im Kakegawa Grand Hotel fühlte ich mich wie dieser Rockstar. Allein in meinem Zimmer im neunten Stock, mit vier Stunden Schlaf, an einem Ort, der auf dem Stadtplan unauffindbar war, und in einem Land, wo ich nichts lesen konnte – ich wollte einfach nur nach Hause. Und mir fehlten Frauen. Ich meine nicht nur in erotischer Hinsicht. Fussballweltmeisterschaften waren Männersache, man begegnete praktisch nur Männern. In den grell beleuchteten Medienzentren, wo wir uns von eingeschweissten Reisbällen ernährten, herrschte eine testosterongeschwängerte Atmosphäre. Männer gerieten sich ständig wegen besonders gefragter Tickets in die Haare oder um einen Spieler zu interviewen, der in einer unverständlichen Sprache irgendwelche Klischees vor sich hinnuschelte. Nie habe ich die Gesellschaft von Frauen stärker vermisst als an Fussballweltmeisterschaften.
Die paar Male, wo ich im eigentlichen Japan war, hat es mir gut gefallen. Aber die meiste Zeit war ich in einem ganz anderen Land namens WM eingeschlossen. Auch die Spieler bewegten sich in diesem Land, in ihren abgeschirmten Hotels, selbst Köche und Kellner hatten sie aus der Heimat mitgebracht. Wenn eine Mannschaftgewonnen hatte, wurde daheim feuchtfröhlich gefeiert, doch die Fussballer bestiegen ein Flugzeug, rührten keinen Drink an und fielen um vier Uhr früh in irgendeinem Hotel ins Bett.
In dieser Zeit waren die Spieler schon Multimillionäre und knallharte Profis, aber sie bezahlten einen Preis dafür. Paolo Maldini, der in Italien als bestaussehender Mann galt, stand die ganze Zeit lediglich über Webcam mit seiner Familie in Kontakt. Der grosse Zinédine Zidane, der Frankreich vier Jahre zuvor zum Titel geführt hatte, flog unmittelbar nachdem seine Frau ein Kind geboren hatte ins Trainingslager nach Korea. Für die Sportler war die WM ein nüchterner Härtetest geworden.
In diesen vier Wochen sind die Spieler die Herren der Welt. Aber inmitten des ganzen Trubels kann man menschliche Momente erleben. 1994 in Boston beobachtete ein Heer von Reportern Maradona beim Training. Aus irgendeinem Grund rannten dann alle los, vielleicht zu einer belanglosen Pressekonferenz. Maradona blieb auf dem Rasen. Hyperaktiv, wie er war, nahm er seine Kniebandage ab und jonglierte sie mit den Füssen. Doch bald langweilte ihn auch das, und er warf sie weg. Niemand hatte zugesehen. Ich lief hin, fand das Ding, steckte es ein und schickte es meinem Cousin. Ein schöneres Geburtstagsgeschenk für einen Teenager hätte ich mir nicht ausdenken können. Doch er weigerte sich zu glauben, dass es wirklich Maradonas Kniebandage war.
Am letzten Wochenende der WM 2002 bekam ich in meinem Tokioter Roppongi Prince Hotel Besuch von Henry, einem der Freunde, mit denen ich damals nach Italien gefahren war. Er war irgendwo in Japan Englischlehrer. Wir schwammen rücklings im nierenförmigen Pool und liessen den Blick über die Hotelfenster schweifen. Hinter einem waren junge Japanerinnen
im Bademantel zu sehen, die sich in einer Art Wellnessbereich entspannten. Sie müssen uns für zwei lüsterne alte Säcke gehalten haben, denen gerade ein Herzschrittmacher eingesetzt worden war. Plötzlich machte Henry eine heftige Bewegung.
«Mein Gott!», rief er. «Was gibts?» «Sie hat ihren Bademantel für uns geöffnet.» Ach, hätte ich doch nur meine Kontaktlinsen getragen! Die nette Geste der jungen Frau war vielleicht der aufregendste Moment der ganzen Weltmeisterschaft. Viel besser als der Final am andern Tag in Yokohama.
Am meisten über die WM freuen sich immer die jeweiligen Gastgeber. 2006, in Berlin, fand ich einen Tag vor dem Endspiel die Strasse, in der ich Ewigkeiten zuvor als Student gewohnt hatte (ja, ich bin ein rastloser Weltenbummler). In meiner Erinnerung war die Hohenfriedbergstrasse eine triste Gegend, graue Mietskasernen mit Aussentoilette auf halber Treppe, wo die Leute kein Wort miteinander sprachen. Jetzt konnte ich nicht glauben, dass es dieselbe Strasse war. Überall hingen Fahnen an den Fenstern, Schwarzrotgold aus chinesischer Produktion, aber auch viele andere Fahnen, und überall bolzten Kinder herum, die die Deutschen angeblich nicht mehr bekamen. Im Lauf der Weltmeisterschaft hatte sich ein missmutiges in ein heiteres Volk verwandelt. Das scheint ein typisches Phänomen zu sein. Die Ökonomen Georgios Kavetsos und Stefan Szymanski haben herausgefunden, dass die Gastgeber eines grossen Fussballturniers hinterher glücklicher sind. (Vermutlich vor allem jene, die sich nicht 16 Spiele an 21 Tagen antun.)
In der Lobby des Hotels Adlon erlebte ich, wie Franz Beckenbauer, der WM-Organisator, von allen Leuten beglückwünscht wurde. Männer schüttelten ihm die Hand, schöne Frauen strahlten ihn an. Die Stadien waren perfekt gewesen, alles hatte geklappt. Es war die glanzvollste Weltmeisterschaft aller Zeiten. Die südafrikanischen Offiziellen, die in der Lobby sassen und die Szene beobachteten, machten keinen sehr glücklichen Eindruck. Beckenbauer hatte es ihnen schwer gemacht. Ein Dorffest kam nun nicht mehr in Frage, hinter das deutsche Vorbild konnten sie nicht zurückfallen.
Südafrika hat für die Vorbereitungen mehr Geld als geplant ausgegeben. Nach letzten Berechnungen haben allein die Stadien 13 Milliarden Rand (ca. 2 Milliarden Franken) verschlungen, das Sechsfache des ursprünglich veranschlagten Betrags. Dafür hätte man Hunderttausende Wohnungen für Slumbewohner bauen können. Stattdessen wurden in Städten wie Polokwane und Port Elizabeth ultramoderne Stadien hochgezogen, die nach der WM kein Fussballfan mehr besuchen wird. Südafrika blieb gar nichts anderes übrig. Der neue Typus Fussballweltmeisterschaft verlangte das.
Ich selbst werde das Turnier in vertrauter Umgebung verfolgen. Meine Eltern stammen aus Johannesburg. An Weihnachten, wenn wir genug Geld hatten, entflohen wir dem kalten Europa, um das Fest bei den Grosseltern im südafrikanischen Hochsommer zu verbringen. Es war Apartheid; schwarze Dienstmädchen servierten uns auf der Veranda Schokoladentörtchen.
Bedauerlicherweise wird die diesjährige WM zum grössten Teil in ebendiesem weissen Südafrika stattfinden. Die Besucher werden ihre Zeit in weissen Stadtteilen verbringen, in den besten Strandvierteln von Kapstadt etwa, wo die meisten Hotels, Shopping Malls, die offiziellen Fanparks und die ganzen zusätzlichen Sicherheitsleute sind. Die Gäste sollen vor jenem Land geschützt werden, in dem die Mehrheit der Südafrikaner lebt.
Es gibt ein Foto, das diese Situation sehr schön illustriert: David Beckham trifft seine Fans in der armen schwarzen Township Khayelitsha. Die Pointe ist: Beckham wird durch einen Stacheldrahtzaun von den Fans getrennt.
Für die daheim Gebliebenen ist eine Weltmeisterschaft eine wunderbare Gelegenheit, mit den Nachbarn ins Gespräch zu kommen. Ausnahmsweise schauen alle dasselbe im Fernsehen und tauschen sich am nächsten Tag am Arbeitsplatz darüber aus – genau wie in den Siebzigerjahren, bevor das Zeitalter von Kabel-TV und Satellitenschüsseln anbrach. Dieses Gemeinschaftsgefühl sorgt offenbar für eine niedrige Suizidrate. Gemäss einer Untersuchung werden in den meisten europäischen Ländern, deren Nationalmannschaften an einer Welt- oder Europameisterschaft teilnehmen, während dieser Zeit weniger Selbstmorde verübt.
Für jene, die hinreisen, ist das Beste an einer WM die Chance, Menschen aus anderen Nationen kennen zu lernen. In Südafrika wird es nicht allzu viele solcher Begegnungen geben, denn es gibt nicht viele öffentliche Plätze, wo man sich spätabends noch mit anderen Leuten zu einem Bier treffen und plaudern kann. Johannesburg ist eine Grossstadt, das New York Afrikas, aber auf den Schnellstrassen sind abends um neun nicht mehr viele Autos unterwegs. Die Leute bleiben lieber zu Hause, weil sie Angst haben.
Darum wird uns Sportjournalisten nur der Fussball bleiben. Und um den geht es bei einer Weltmeisterschaft zuallerletzt.
Simon Kuper (40) ist Autor und Kolumnist der «Financial Times». Er zählt zu den renommiertesten Fussballjournalisten Europas. Mit «Football Against the Enemy. Oder: Wie ich lernte, Deutschland zu lieben» (Verlag Die Werkstatt) schrieb er einen weltweiten Bestseller.
Aus dem Englischen von Matthias Fienbork