Sheryl Sandberg – Zuckerbergs Powermom
- Text: Sven Broder & Anna GielasFoto: Getty Images
«Think big!» ist Sheryl Sandbergs Losung. Die 42-Jährige hat den Youngstern von Facebook gezeigt, wie man mit ihren genialen Ideen auch genial reich wird.
Es begibt sich zur Weihnachtszeit, dass Mark Zuckerberg das Fest eines Bekannten aufsucht. Dort angekommen, sieht der unscheinbare, blasshäutige Gründer von Facebook eine petite Brünette vor der Eingangstür stehen. Es ist Sheryl Sandberg, 15 Jahre älter als er, Topmanagerin bei Google. Bekannt für seinen steifen Umgang und sein Nuscheln, gibt der 23-Jährige sich einen Ruck – er spricht Sandberg an. Die 38-Jährige lockt Zuckerberg aus der Reserve. Sie stecken die Köpfe zusammen und vergessen das Drumherum. Eine Stunde später fällt ihnen auf: Sie stehen noch immer vor der Eingangstür.
Das ist der Beginn einer Weihnachtsgeschichte, wie sie seit 2007 in der amerikanischen Wirtschaftswelt ihre Runden dreht. Pünktlich zu Gebäck und Glühwein. Im Februar darauf geben sich die verheiratete Sheryl und der vergebene Mark das geschäftliche Ja-Wort: Sandberg soll als Geschäftsführerin dasselbe vollbringen, was ihr bei Google gelungen ist – das Unternehmen in einen Umsatzriesen verwandeln. Google schnaubt, Zuckerberg schwärmt: «Facebook wäre ohne Sheryl unvollständig.» Zuck, wie ihn Freunde rufen, holt sich mit Sheryl einen bodenständigen Widerpart in den «Bunker.» Im Jungmänner-Biotop der Facebook-Zentrale ist die Frau Ende dreissig eine fremdartige Spezies. Binnen Tagen tauft die Presse sie «Facebooks Erwachsene.» Man scherzt, Facebook bekomme nun seine Mama. Nicht dass die Power-Nerds eine starke Hand nötig hätten: alles Leute, «die die Sorte Selbstsicherheit ausstrahlen, von der man Sonnenbrand bekommt», wie der Autor Lev Grossman nach einer «Bunker»-Visite schreibt. Gleichwohl weht bald eine Brise mütterlicher Strenge durchs Office. Als Erstes räumt Mami Sheryl auf mit dem Schlabberlook. Mark Zuckerberg, berüchtigt wie belächelt für seine Neigung, selbst zu Gesprächen mit Wirtschaftskolossen in Turnschuhen und Sweatshirt zu erscheinen, fügt sich.
Doch Sheryl Sandberg geht auch ans Eingemachte, stellt ein Geschäftsmodell auf, das schnell Früchte trägt. Innerhalb von drei Jahren wird die Firma hochprofitabel. Die Zahl der Mitarbeitenden explodiert von 130 auf 2500. Nun geht Facebook an die Börse. US-Medien zufolge mit einem Marktwert von 100 Milliarden Dollar – etwa so viel wie UBS, CS und ABB zusammen. Es sind solche Happy Ends, die sich in Sandbergs Vita wie Perlen aneinanderreihen und die 42-Jährige hinauf in den Olymp der mächtigsten Frauen der Welt befördern. Innert Jahresfrist katapultiert sie das Wirtschaftsmagazin «Forbes» von Rang 66 auf Platz 5 der 100 «most powerful women». Sandberg braucht nicht mehr in die Welt hinauszugehen, die Welt kommt zu ihr – trifft sich zuweilen sogar in ihrem Garten. Ende September kehrt Präsident Barack Obama ein in Sandbergs Grünanlage im Nobelort Atherton, Kalifornien. Lady Gaga gesellt sich im bodenlangen Kleid hinzu, die Haare abenteuerlich hochgesteckt. Die Gäste lassen sich den Plausch etwas kosten: 38 500 Dollar.
Die Welt steht bereits auf Sandbergs Fussmatte, als Sheryl noch klein ist. Es sind jüdische Flüchtlinge aus sowjetisch kontrollierten Staaten, die Zuflucht suchen im Florida-Domizil der Sandbergs. Sheryl lernt rasch, dass das Leben es nicht mit allen so gut meint wie mit ihrer Familie. Die Eltern tragen das ihrige dazu bei. Der Augenarzt und seine Frau, die zugunsten ihrer Kinder nicht doktoriert hat, nehmen Sheryl und ihre beiden jüngeren Geschwister regelmässig zu Kundgebungen mit.
«Ich wollte etwas machen, was anderen hilft», so Sheryl Sandberg. Doch anstatt Diktaturen am Rednerpult der Vereinten Nationen anzuprangern, kritisiert sie heute die Ungleichheit der Geschlechter an Weltwirtschaftsforen und Zukunftskonferenzen. Dieses Thema ist ihr Steckenpferd. Bereits ein Stichwort genügt, um Sandberg in Fahrt zu bringen. Dann tut sie das, was sie an der TED Women Conference 2010 machte: den Zeigfinger in der Manier einer Primarlehrerin erheben und belehren. «Wir haben ein Problem: Frauen schaffen es in ihren Berufen nicht an die Spitze.»
Von 190 Staatschefs sind 9 Frauen, nur 13 der 500 umsatzstärksten Firmen werden von weiblichen CEOs geführt. Weltweit stellen Frauen in den Parlamenten einen Anteil von 13 Prozent. «Warum?», fragt Sheryl Sandberg. Ihre Antwort sucht sie dann aber nicht – und hier trennt sich offenbar die Spreu vom goldenen Weizen – bei sexistischen Chefs oder «gläsernen Decken». Den entscheidenden Faktor ortet Sandberg bei den Frauen selbst: Sie springen ab – oder sie trauen sich erst gar nicht, am Tisch der Mächtigen Platz zu nehmen. «Aber wer nur am Rand sitzt, kommt nie in die Chefetage.»
Abspringen tun die Frauen, so stellt sie fest, wenn Kinder da sind. Allzu oft aber auch schon, wenn diese erst im Kopf existieren. «Sobald eine Frau über Kinder nachzudenken beginnt, hebt sie ihre Hand nicht mehr. Sie strebt keine Beförderung mehr an. Sie sagt nicht mehr: ‹Ich will das tun!› Sondern sie fängt an, sich zurückzulehnen.» Ein weiterer Stolperstein: Frauen treffen oft die falsche Partnerwahl. Eine aktuelle Studie zeige, wieder erhebt Sheryl Sandberg den Finger: Wenn beide Vollzeit arbeiten, Mann und Frau, dann erledigt sie die doppelte Menge an Hausarbeit und das Dreifache an Kinderbetreuung. «Was denken Sie: Wer von beiden steigt aus, wenn plötzlich jemand mehr zuhause sein muss?» Ihr 3-Punkte-Programm für alle Frauen, die nach oben wollen, lautet deshalb:
1. Setz dich an den Tisch.
2. Mach deinen Partner zu einem echten Partner.
3. Gehe nicht, bevor du wirklich gehst.
Mit Verve kitzelt Sheryl Sandberg am Selbstverständnis der Frauen, weil diese systematisch ihre Fähigkeiten unterschätzten: «Männer führen ihre Erfolge auf eigene Verdienste zurück, Frauen dagegen auf äussere Faktoren.» Sie erklärt, emsig die neusten Studien zum Thema zu studieren. Das macht sie seit ihren Harvard-Zeiten. Schon an der Elite-Uni nahm sie das ökonomische Ungleichgewicht zwischen Ehepartnern unter die Lupe und wie dies den Missbrauch fördert. Ab und zu halfen ihr die Eltern bei ihren Aufsätzen. So gesteht sie vor den Absolventinnen des renommierten Barnard College: «Auch ich hatte das Gefühl, dass ich mir meinen Erfolg nicht selbst zuzuschreiben habe. Ich ging an die Universität und dachte daran, wie sehr mir meine Eltern bei meinen Essays geholfen haben. Ich kam zum Finanzministerium, weil ich Glück hatte, im richtigen Seminar beim richtigen Professor zu sein. Und Google? Ich ging an Bord eines Raketenschiffs, das mich steil nach oben beförderte.»
Sheryl Sandbergs Werdegang verwebt nahezu märchenhaft Köpfchen, Talent – und glückliche Zufälle. So mag es nicht verwundern, dass sie ein wenig out of Touch wirkt. Wenn sie in You-Tube-Clips ihre Geschlechtsgenossinnen eindringlich, ja, ungeduldig zu mehr Eifer auffordert. Wenn sie sie pausenlos ermahnt: «Think big!» Wenn sie den College-Absolventinnen versichert, sie könnten alles werden, was sie wollen. Sie müssen nur nachhause gehen und sich heute vor dem Einschlafen fragen: «Was würde ich tun, wenn ich keine Angst hätte? Und dann tun Sie es! Herzlichen Glückwunsch!» Rührend ist Sheryl Sandberg, weil ihre Worte herzerwärmend ehrlich gemeint und doch zuweilen herzzerreissend realitätsfern wirken. Hat die Business-Queen, die für eine 30-minütige Ansprache 20 000 Doller verlangen darf, überhaupt eine Ahnung vom «normalen» Leben? Ihr Ehemann David Goldberg spielt wie sie in der obersten Liga. Er hat sich als Chef von Yahoo Music einen Namen gemacht und ist heute Geschäftsführer des Umfrageportals Survey Monkey. Er bekommt die Kinder ebenso wenig zu sehen wie seine Frau. Den Sandberg-Goldberg-Haushalt schmeissen längst andere Leute. Nun, Sheryl Sandberg versucht zumindest Nähe, Seelenverwandtschaft zu markieren. Als Mutter eines 6-jährigen Sohns und eines 3-jährigen Mädchens sei sie wie Millionen anderer Frauen zwischen Beruf und Mutterschaft hin- und hergerissen. Sie macht sich Gedanken, dass sie zu viel Zeit in der Firma und nicht genug mit ihren Kindern verbringt, spricht ihre Schuldgefühle in ihrer TED-Rede offen an. Wenn sich ihre Tochter weinend an ihren Rockzipfel hängt und fleht: Mami, steig nicht in den Flieger. «Das ist schwer», gesteht sie. «Und ich kenne keine Mutter, egal, ob sie zuhause oder berufstätig ist, die sich nicht manchmal schuldig fühlt.»
Dieses Verquicken von privatem und beruflichem Ich ist keine Masche. Sheryl Sandberg hat es zu ihrem Berufsethos gemacht. «Wenn man das berufliche Ich vom privaten zu trennen versucht, steht man dauernd unter Druck.» Mami Sheryl und Facebook-CEO Sandberg sind eins, wenn auch nicht immer ein Herz und eine Seele. Dazu zu stehen, scheint das Geheimnis ihrer inneren Ruhe zu sein. Eine Welt, in der Männer die Hälfte der Hausarbeit erledigen und in der Frauen die Hälfte unserer Institutionen leiten, wäre eine bessere Welt. Mit solchen Aussagen macht sich Sheryl Sandberg zur mächtigen Verbündeten von legendären Feministinnen wie Gloria Steinem. Ihr schickt sie vorab die Barnard-Rede mit der Bitte, sie möge einen Blick darauf werfen. Steinem ist einer von vielen Namen in Sandbergs Rolodex. In diesem Visitenkartenkarussell stecken sämtliche Grössen des amerikanischen Wirtschafts- und Kulturlebens. Einmal im Monat darf der Bürohelfer Extrarunden drehen. Dann organisiert Sandberg ihren «Women of Silicon Valley»-Abend. Dort trifft sich «ein Mix aus Venture-Kapitalisten, Firmenbossen, Müttern, Buchclub-Freundinnen und ihrer Schwester Michelle» («Vogue») zum Gedankenaustausch.
Nach langen Abenden sitzt Sheryl Sandberg dann ab fünf Uhr morgens wieder an ihrem Notebook und schreibt erste E-Mails des Tages – nicht nur geschäftliche. Sandbergs Anteilnahme am Leben anderer ist legendär. Ihre Schwester hatte eine schwere Schwangerschaft. Neun Monate lang rief sie sie jeden Tag an. «Sie vergass es nicht ein einziges Mal», erinnert sich Michelle. Ihre Schwester sei ein Vorbild dafür, wie Menschen miteinander umgehen: «Ich habe mir oft vorgenommen, fünfzig Prozent von dem zu tun, was Sheryl tut. Das ist ein ziemlich hoch gestecktes Ziel.» Doch nicht nur Verwandte bekommen ihre Empathie zu spüren, auch ihre Kollegen bei Facebook. Sheryl vergisst weder Geburtstage noch wichtige Termine. Wer einen Vortrag zu halten hat, darf Sekunden vorher mit Textnachrichten von ihr rechnen: «Lächle. Sprich ins Mikrofon. Viel Glück.» Facebook bekomme sein Mami, hiess es 2008, als Sheryl Sandberg in den «Bunker» zog. Man lag nicht ganz falsch damit.
Sandberg ist gold wert
Sheryl Sandberg wird 1969 in Washington D. C. geboren. Ihre Familie zieht nach North Miami Beach, als sie zwei ist. Ihr Vater, Joel Sandberg, ist Zahnarzt. Ihre Mutter Adele gibt ihren Job als Französischlehrerin auf, um sich ganz um Sheryl und ihre zwei jüngeren Geschwister zu kümmern, David und Michelle. Während ihres Studiums in Harvard lernt sie Larry Summers kennen. Der Professor wird ihr Mentor.
Er holt sie zunächst als seine Assistentin zur Weltbank, später – nach einem Abstecher zu McKinsey und mittlerweile mit dem Diplom der Harvard Business School in der Tasche – als seine rechte Hand ins US-Finanzministerium unter Präsident Bill Clinton. Sandberg ist da gerade mal 27-jährig.
Nach der Wahlniederlage der Demokraten wechselt sie 2001 in die Privatwirtschaft und ins Silicon Valley zu Google. Dessen CEO, Eric Schmidt, soll sie bekniet haben: «Sei kein Idiot. Das ist eine Rakete. Steig ein!» Google ist tatsächlich eine Rakete und Sandberg ihr Treibstoff. Sie baut ein lukratives Anzeigensystem auf und treibt Googles Jahresumsatz in knapp sechs Jahren
von 100 Millionen Dollar auf 5.7 Milliarden. Im Frühling 2008 holt Mark Zuckerberg sie zu Facebook.
Sandberg ist seit 2004 mit ihrem «Bestfriend», Dave Goldberg, verheiratet. Mit ihm hat sie zwei Kinder im Vorschulalter. Auf der «Forbes»-Liste der einflussreichsten Frauen belegt Sandberg den fünften Platz. Vor ihr liegen Angela Merkel, Hillary Clinton, Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff und Pepsi-Chefin Indra Nooyi. Letzterer, so wetten Insider, wird Sandberg 2012 den Rang ablaufen. Sie wäre dann endgültig die mächtigste Businesswoman der Welt.