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Sexuelle Übergriffe an Models: Drei junge Männer erzählen

Sexuelle Übergriffe an Models: Drei junge Männer erzählen

  • Text: Vanja Kadic, Kerstin Hasse; Bilder: ZVG

Zahlreiche junge Männer werfen dem Chef einer Zürcher Modelagentur sexuelle Übergriffe, Nötigung und Vergewaltigung vor. Drei Betroffene sprechen mit annabelle über ihre Erfahrungen.

Als Besitzer einer Zürcher Werbeagentur soll J. W.* unzählige Männermodels sexuell belästigt haben: Zahlreiche Betroffene meldeten sich am Montag bei Instagram auf mittlerweile gelöschten Profilen zu Wort und teilten etwa Screenshots von eindeutigen Nachrichten oder Videos, die ihnen W.* geschickt haben soll. Der Model-Booker soll seine Macht ausgenutzt und junge Männer mit dem Versprechen einer Modelkarriere im Tausch gegen sexuelle Handlungen gelockt haben.

In den Nachrichten, die W. angeblich an junge Männermodels schickte, steht etwa: «Ich zahle dich extra, wenn du früher kommst. Bist aber offen für fucking and suck? Ich will dich richtig haben.» Oder: «Zeig mir mehr. Und spiel mit Unterwäsche. Zeig, dass du dich gern berührst.» In einem weiteren Chat-Verlauf heisst es: «Nude. Egal, nehme jemand anders. Wo das wirklich will, 400% gibt. (…) Zeig jetzt, oder ich nehme jemand anders. Front and side. Zeig, dass du heiss und horny bist. Und nicht scheu. Das macht Topmodel aus. Wenn nicht, nehme jemand anderes. Ich darf Model aussuchen.» Ein Betroffener beschrieb bei Instagram anonym einen mutmasslichen sexuellen Übergriff von W.*. Im Post hiess es: «Am Anfang dachte ich, er meinte es ernst, als er sagte, er wolle aus mir ein Model machen. (…) Ich musste ihm Videos und Fotos von meinem Körper senden. (…) Als ich bei ihm ankam, fotografierte er mich und sagte, ich müsse dreckiger und heisser sein. Ich war geschockt und verwirrt. Er rieb seinen Penis gegen meine Hose und wollte mich küssen. Ich werde dieses schlimme, hilflose Gefühl nie vergessen. Ich hatte Angst und wollte nur, dass es aufhört.» W.* hat die Website und das Instagram-Profil seiner Agentur gelöscht.

Drei Betroffene, die mit W.* zusammenarbeiteten, erzählen, wie sie den Booker erlebten – und welche Erfahrung sie mit ihm machten.

David Beer (20), Gucci-Model und Ex-«Switzerland’s Next Topmodel»-Kandidat
«Nach meiner Teilnahme bei Switzerland’s Next Topmodel suchte ich nach einer Agentur und hatte mit J. W.* einen Termin in seinem Büro. Ich fühlte mich schnell sehr unwohl. Er versprach mir allerhand und lud mich auf seine neue Jacht ein, wo wir Spass haben könnten. Es war klar, was er damit meinte. Ich fand es ekelhaft. Während des Gesprächs in der Agentur machte er mich ausserdem dauernd schlecht, beleidigte mich und sagte, dass ich keinen Erfolg in der Modelbranche haben würde. Ich glaube, er will seine Opfer damit glauben lassen, dass sie von ihm abhängig sind. Ich verliess die Agentur und wusste, dass ich mit ihm nichts zu tun haben möchte. Wenige Wochen später traf ich ihn im Niederdörfli. Er hielt an und wollte mich küssen, ich blockte ab. Er verpasste mir eine Ohrfeige. Ich wollte mir das nicht gefallen lassen und wehrte mich. Ich empfand ihn als zwiegespaltene Person mit psychopathischen Zügen. Ich habe so etwas noch nie erlebt.»

Valentin Klap (17), Model
«Alles hat damit angefangen, dass mich vor rund einem halben Jahr ein Scout von J. W.* auf der Strasse angesprochen hat. Ich hätte Potenzial zum Model, sagte er mir. Ich habe schon früher ab und zu darüber nachgedacht, zu modeln, und deshalb freute mich diese Anfrage. Die ersten Monate in der Modelagentur verliefen normal, es gab keinerlei Zeichen, die mich hätten warnen können. Ich traf andere Models, niemand sprach mich auf ein seltsames Verhalten von W. an. Er war freundlich, viel hatte ich aber nicht mit ihm zu tun. Was mich besonders freute: Ich bekam wirklich Modeljobs, ich konnte nach Deutschland reisen und ich merkte, dass sich etwas tut. Erst vor ein paar Wochen wurde es schwierig. Nachdem ich W. vorgeschlagen hatte, dass wir uns mal wieder zu einem Meeting treffen könnten, lud er mich zu einer Party in der Agentur ein. Ich könne auch Freunde mitbringen, sagte er. Ich tauchte mit meinen zwei Kolleginnen auf. Es war ziemlich schnell klar, dass er schon viel konsumiert hatte. Als eine meiner Freundinnen ihn fragte, ob er mit seinen Models auch schlafe, verneinte er. Wenn ich Sex will, hole ich mir einen Callboy den ich vergewaltige, sagte er. Wir waren alle schockiert über diese Formulierung. Von da an wurde es immer schlimmer, er wurde lauter und mühsamer und wir gingen. Zu diesem Zeitpunkt verteidigte ich ihn noch. Er hatte mir an diesem Abend von Reisen nach Sydney erzählt, die er für mich geplant hatte, von grossen Jobmöglichkeiten. Er sagte, er glaube an mich. Ich hatte Angst, dass mir meine Freundinnen mit ihren forschen Fragen diese Möglichkeit verbaut hatten. Rund eine Woche später schrieb mir W. am Abend, ob ich noch unterwegs sei, und schlug mir vor, nochmal in der Agentur vorbeizukommen. Als ich unterwegs war, rief er mich an und ich hörte, dass er lallte. Er sagte, ich solle einen heissen Typen von Grinder mitbringen, ganz egal was für einen. Ich verneinte und er meinte: Gut, dann finden wir schon was für dich. Ich weiss nicht, warum ich trotzdem hinging. Ich wollte ihn nicht verärgern, vielleicht. Und ich wollte mehr wissen über all die Jobs, die er mir versprach. Bevor ich das Studio betrat, zog ich mir eine Schutzmaske an. Corona war der Vorwand, aber eigentlich wollte ich mich damit irgendwie schützen. Die Szenerie drinnen war total seltsam: Der Raum war dunkel, da flackerte nur eine Kerze und ein Kollege von ihm sass auf einer Couch. W.* war sehr direkt, er schenkte mir Champagner ein und nach ein wenig Smalltalk fragt er mich, ob ich schon mal einen Dreier hatte. Ich verneinte und daraufhin sagt er: Dann wird es langsam Zeit. Mir wurde unwohl – nicht nur wegen der Situation, sondern auch körperlich. Es tauchte ein anderes Model auf und ich bat ihn, mit mir auf den Balkon zu gehen, weil ich mich benebelt fühlte. Das Letzte an dem Abend, an das ich mich erinnere, ist, dass ich mich verabschieden wollte und W. mich lang umarmte. Er flüsterte mir etwas ins Ohr, er sagte, ich sei sexy. Was danach passiert ist, weiss ich nicht mehr. Als ich gehen wollte, war es kurz vor elf, und rund eine halbe Stunde später habe ich meine beste Freundin angerufen – an das Gespräch kann ich mich nicht mehr erinnern, obwohl ich wirklich kaum etwas getrunken hatte. Sie sagte, ich sei komplett desorientiert gewesen. Sie lotste mich an den Bahnhof – wie ich dorthin gekommen bin, weiss ich nicht mehr. Am nächsten Morgen bin ich zu einem Arzt gegangen. Ich hatte Angst, dass irgendwas mit mir passiert sein könnte. Der Arzt untersuchte mich und fand zum Glück keine Spuren einer Vergewaltigung. Ich schilderte ihm den Vorfall. Ich muss davon ausgehen, dass mir an diesem Abend K.-o.-Tropfen verabreicht wurden.»

Christian Georgian Pruteanu (20), Schauspieler und Model
«Ich habe mich wie sein Hündchen, wie sein neues Spielzeug gefühlt. An Parties stellte er mich Leuten vor und gab mir das Gefühl, der nächste Superstar zu sein. Das fand ich komisch, weil ich damals kaum Modelerfahrung hatte. Er war manipulativ. Er schaffte es, dass du als Mann deine sexuelle Orientierung hinterfragst. Immer wieder fragte er mich, ob ich bisexuell sei oder auf Sex mit älteren Männern stehe. Ich fand es seltsam und habe mich vor ihm geekelt. Kennengelernt habe ich ihn, nachdem er mich bei Instagram anschrieb und fragte, ob ich Model werden will. Er verschaffte mir Jobs an Fashion Weeks in Paris oder Mailand. Gleichzeitig wollte er mich immer zu erotischen Jobs überreden, etwa für ein Nacktshooting. Was mich schockte: Er schrieb junge Männer aus meinem Bekanntenkreis bei Instagram an. Auch sie lockte er mit dem Versprechen, Model zu werden.»

Laut Medienberichten des Portals 20min.ch weist W. jegliche Vorwürfe zurück. Gegenüber annabelle war der Modelbooker nicht für eine Stellungnahme erreichbar. Die Zürcher Staatsanwaltschaft ermittelt. 

* Name der Redaktion bekannt

Sie haben sexuelle Gewalt erlebt und suchen Hilfe? Die Opferhilfe Schweiz kann Ihnen weiterhelfen.

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David Beer (20), Gucci-Model und Ex-«Switzerland’s Next Topmodel»-Kandidat: «Er wollte mich küssen.»

Valentin Klap (17), Model: «Er versprach mir Reisen nach Sydney.»