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Sexting: Emma Holten rächt sich mit eigenen Aktfotos

Leben

Sexting: Emma Holten rächt sich mit eigenen Aktfotos

  • Text: Jessica Braun; Fotos: Cecilie Bødker

Seit Jahren leidet die junge Dänin darunter, dass jemand private Nacktfotos von ihr im Internet veröffentlichte. Nun hat Emma Holten zum Befreiungsschlag ausgeholt – mit neuen Aktfotos.

Es gibt Frauen, die davon träumen, mit ihren Aktfotos berühmt zu werden. Emma Holten wollte das nie. Aber seit internationale Nachrichtenseiten Fotos ihres nackten Körpers zeigen, fühlt sich die Dänin zumindest befreit. Im vergangenen September hat sich Emma Holten für die Fotografin Cecilie Bødker ausgezogen. Die Bilder zeigen eine junge Frau, 23 Jahre alt, fröhlich, blond – und oben ohne. Vor dem Badezimmerspiegel, im Bett, auf dem Fenstersims. Eine erotische Fotoserie, voyeuristisch, aber nicht obszön. Bilder, die man sich gern anschaut.

Doch die Fotos sollen nicht berühren, sie sollen bewegen, aufrütteln. Aufmerksam machen auf das Leid von Frauen, deren Nacktbilder unerlaubt im Netz veröffentlicht werden, meist von Männern, die sich zurückgewiesen fühlen. 2011 brachte jemand intime Fotos von ihr in Umlauf. Holten glaubt, dass diese aus ihrem Email-Account gestohlen wurden. Vielleicht von ihrem Ex, vielleicht von jemand anderem, der ihren Account gehackt hatte. «Ich werde es nie wissen», sagt sie. Doch mit den Folgen dieses Übergriffs muss die 23-Jährige seitdem leben. Ihr Projekt, mit dem sie sich nun dagegen auflehnt, heisst «Consent»: Einverständnis. Weil sie die Bilder, über die gerade alle reden, selbst zur Veröffentlichung freigegeben hat, die anderen, über die jahrelang getuschelt wurde, dagegen nicht. «Es ist mein Körper. Es gibt nichts, wofür ich mich schämen müsste», sagt sie. «Und wenn ich Aktfotos machen möchte, dann ist das allein meine Entscheidung. Verbreitet jemand diese aber ohne mein Einverständnis, ist es Missbrauch.»

«Wissen deine Eltern, dass du eine Schlampe bist?»

Es ist über drei Jahre her, dass Holtens Bilder missbraucht wurden. Im Oktober 2011 startete sie eines Morgens ihren Computer. Das Postfach war voll mit Hunderten E-Mails. Sie las: «Wissen deine Eltern, dass du eine Schlampe bist?» – «Ich möchte dich kennen lernen.» – «Schick mir solche Fotos von deiner kleinen Schwester, oder ich lasse deinen Chef wissen, was du so treibst.» Emma Holten sagt: «Sie fühlten sich dazu berechtigt, weil sie mich nackt gesehen hatten.» In Posen, die die Studentin heute als ein wenig ungelenk beschreibt. Als harmlosen Versuch, sexy zu wirken. Gerade mal 17 war sie da. Ihr Ex-Freund hatte diese Fotos in der Geborgenheit seines abgedunkelten Zimmers aufgenommen. Und weitere Bilder zwei Jahre später, in ihrer Wohnung. Eine Spielerei zwischen zwei ineinander verliebten Menschen. Nur für deren Augen bestimmt. Doch die Absender der E-Mails hatten diese Bilder auf einer sogenannten Revenge-Porn-Website entdeckt: in einem Forum für Männer, die Frauen erniedrigt sehen möchten.

Revenge Porn (deutsch: Rachepornografie) – oder auch Sexting (Kombination aus «Sex» und «Texting») – ist eine Form des Cybermobbings. Laut einer Studie des US-Softwareherstellers McAfee droht jeder Zehnte nach dem Ende einer Beziehung damit, kompromittierende Fotos seines Partners oder seiner Partnerin zu veröffentlichen. In sechzig Prozent der Fälle macht der Ex diese Drohung auch wahr, postet auf Facebook, Whatsapp, Tumblr, Twitter. Oder auf einer der unzähligen Seiten in den dunklen Randbezirken des Internets, die solches Material annehmen und es ausstellen – oft mit Adresse, Telefonnummer, dem Link zur Facebook-Seite des Opfers oder dem Namen des Arbeitgebers.

In Emma Holtens Fall waren es ihr Name und ihre E-Mail-Adresse. Ihr Ex-Freund streitet ab, die intimen Fotos in Umlauf gebracht zu haben. Viele Männer verstanden sie als Einladung, die junge Frau zu quälen. Über Jahre. «Ich hatte damals keine Vorstellung davon, wie sehr das mein Leben verändern würde», sagt sie. Sie habe nach dem ersten Schock zehn Minuten geweint. Und sich dann zu ihrer Freundin aufs Sofa gesetzt, um einen Film zu schauen. Damals hatte sie noch Hoffnung, dass die Bilder in kürzester Zeit von anderen Nacktfotos zugedeckt werden würden, überlagert von Sedimentschichten pornografischen Materials. Aber das Internet lässt kein Vergessen zu. «Es ist nicht wie bei einer Trennung, wenn der Schmerz langsam nachlässt», sagt Holten, «ich werde Tag für Tag wieder daran erinnert.»

Seit über drei Jahren erhält sie E-Mails: anzügliche, aggressive, vermeintlich wohlmeinende, erpresserische. «Anfangs waren es Hunderte pro Monat. Mittlerweile sind es zwischen einem und drei pro Tag.» Wechselt sie die E-Mail-Adresse, dauert es nicht lange, bis ihre Peiniger die neue herausfinden. «Eine Weile war ich richtig paranoid. Ich wollte meinen Namen ändern, wollte umziehen. Mit dem Velo die Strasse entlangzufahren, war schon eine Herausforderung.» Ihre Eltern reagierten gelassen, konnten der Tochter jedoch nicht wirklich helfen. Genauso wenig wie ihre Freunde. «Ich war mit meinen Gefühlen allein. Wer nie in so einer Situation war, versteht nicht, was es bedeutet.» Wie es ist, von einem Arbeitskollegen belästigt zu werden, der die Fotos gesehen hat. Wie es sich anfühlt, deswegen mit dem Chef reden zu müssen. Oder sich nett mit einem jungen Mann an einer Party zu unterhalten, bis dieser sich mit dem Satz verabschiedet: «Ich wollte nur mal wissen, wie du so in echt bist.» Was ihr half: «Mich daran zu erinnern, dass diese Männer meine Fotos kannten, weil sie nach solchen Bildern gesucht hatten. Sie wollten nicht einfach nackte Frauen sehen. Ihnen ging es um Fotos, die gegen den Willen der Betroffenen veröffentlicht wurden. Darum, Frauen gedemütigt zu sehen.»

Exposure Manifesto

Die Besucher dieser einschlägigen Websites lassen die Betroffenen nicht zur Ruhe kommen. Im Netz kursiert das sogenannte Exposure Manifesto, ein Manifest der Blossstellung. «Unterstütze die Verbreitung», heisst es darin, «es ist deine Aufgabe, diese Bilder herunterzuladen, sie erneut zu posten, sie zu teilen und dir (natürlich) dabei einen runterzuholen.» Das Manifest mag ernst gemeint sein oder als schlechter Witz. Für Holten spiegelt es die «ekelhafte Einstellung wider, die diese Leute gegenüber Frauen haben».

Mit «diesen Leuten» meint Emma Holten vor allem auch die Betreiber der Websites, die damit Geld verdienen: Jeder Klick bedeutet Werbeeinnahmen. Mehrmals forderte Holten die Verantwortlichen per E-Mail auf, ihre Bilder zu löschen. Keiner war bereit, ihr zu helfen. «Entweder behaupten sie, ich sei eine Schlampe und hätte die Fotos sicher selbst hochgeladen. Oder sie verlangen, dass ich mich ausweise. Aber ich werde denen sicher nicht auch noch eine Ausweiskopie von mir schicken.» Stattdessen wandte sie sich an die Polizei. «Der Beamte riet mir, einfach meinen Computer nicht mehr einzuschalten …»

Emma Holten will mit ihren eigenen Aktfotos und dem dazu verfassten Essay ein Bewusstsein dafür schaffen, wie wichtig der Schutz der Privatsphäre in Zeiten des Internets ist. «Die geltenden Gesetze sind in den meisten Ländern nicht ausreichend», sagt sie. Und: «Wir müssen grundsätzlich eine Antwort auf die Frage finden, was uns Persönlichkeitsrechte wert sind.»

Dass auch in der Schweiz in Sachen Cybermobbing Aufklärungsbedarf besteht, machte im vergangenen Jahr Pro Juventute deutlich mit ihrer Kampagne: «Sexting kann dich berühmt machen. Auch wenn du es gar nicht willst.» In der 2013 publizierten James-Studie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften hatten immerhin 6 Prozent der 1100 befragten Jugendlichen angegeben, schon mal erotische Bilder oder Videos von sich verschickt zu haben. Gerät dieses Material jedoch in die falschen Hände, stehen eben nicht die Täter am Pranger, sondern die Opfer. Und auf Facebook und auf Nachrichtenseiten werfen die Kommentatoren ihnen dann auch noch vor, sie hätten ihre Daten besser schützen – oder sich gar nicht erst vor der Kamera ausziehen sollen. «Wer sind diese Leute, die darüber richten wollen, was Frauen in den eigenen vier Wänden tun?», fragt Holten. «Sie sprechen uns das Recht ab, unsere Sexualität auszuleben. Und wenn wir es doch tun und die Öffentlichkeit erfährt davon, dann geschieht es uns recht? Das ist doch Mist. Wenn jemandem die Kreditkartendaten gestohlen werden, tadelt ihn auch niemand dafür, dass er online shoppen war.»

Kein Opfer von Kinderpornografie

Emma Holten wünscht sich mehr gesellschaftlichen Rückhalt für die Opfer. Denn auch wenn Gesetze helfen – sie beenden ihre Leiden nicht: Ihre Namen werden weiterhin von den Suchmaschinen mit den Bildern verknüpft. «Deswegen müssen diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden, die mit dem Verbreiten solcher Bilder Geld machen.» Stehen ihre Server im Ausland, ist das jedoch kaum möglich. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass Holten noch minderjährig war, als die Bilder von ihr entstanden. «Ich war jung. Aber nach dänischem Recht gilt man mit 17 Jahren nicht mehr als Opfer von Kinderpornografie.»

Emma Holten. Gibt man diesen Namen in eine Suchmaschine ein, gräbt diese alles aus, was im Netz zu finden ist. Weil sie dagegen nichts tun kann, hat die Dänin ihren eigenen Weg gefunden, sich zu wehren: indem sie mehr von sich preisgibt. Sie twittert. Sie bloggt auf WordPress und Tumblr. Als Aktivistin hält sie Vorträge an Kongressen und hat ein feministisches Webmagazin mitgegründet: «Friktion». Im September 2014 erschienen dort die Fotos, die Cecilie Bødker von ihr gemacht hatte, zusammen mit einem Text von Holten, in dem sie ihre Geschichte erzählt. Vorbehaltlos. Mit sachlichen Worten: «Ich hasste meinen Körper und habe lange darüber nachgedacht, wie ich das ändern könnte. Ich gab ihm die Schuld für meine Demütigung.»

Für Bødker zu posieren, habe ihr geholfen, wieder Zugang zu ihrem Körper zu finden, ihm eine neue Bedeutung zu geben. «Ich wollte wieder als Mensch gesehen werden, nicht mehr als Objekt. Deswegen haben wir uns für Situationen entschieden, die ganz alltäglich sind.» Auf den Bildern sieht man Holten beim Zähneputzen und beim Lesen. Sie zeigt ihre Tätowierungen und Narben und wirkt dabei auf kindliche Weise unversehrt – vielleicht, weil sie so freimütig in die Kamera schaut. Sie habe beim Shooting keine Angst gehabt, sagt sie. Nicht vor der Kamera und nicht vor den Reaktionen. «Ich glaube, man sieht das in den Bildern. Ich meine: Was hatte ich denn zu verlieren? Es konnte gar nicht mehr schlimmer werden.»

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«Ich wollte wieder als Mensch gesehen werden, nicht mehr als Objekt», sagt Emma Holten – und hat die neuen Aktbilder machen lassen

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