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Sexistische Anfeindungen im Strassenverkehr: Das Auto ist kein rechtsfreier Raum

Sexistische Anfeindungen im Strassenverkehr: Das Auto ist kein rechtsfreier Raum

Redaktorin Sandra Brun musste sich auf ihrer Vespa schon mehrmals Beleidigungen weit unterhalb der Gürtellinie anhören. Von Autofahrern, allesamt. Warum das keine Lappalien sind.

Er bremst scharf neben mir, der dunkle SUV. Aus dem heruntergelassenen Fenster wird mir «Drecksnutte» zugerufen, kurz vor neun Uhr morgens, auf offener Strasse. Der Autofahrer ist ein unauffälliger Typ, in meinem Alter. Mein Vergehen: Ich habe mich beim Albisriederplatz in Zürich vor ihm in den Kreisverkehr eingefädelt.

Anderer Tag, anderer Standort, ähnliches Szenario: Ich fahre am See entlang, will abends noch schwimmen gehen. Plötzlich überholt mich ein Cabrio, der wütende Mann darin ruft «Figg di». Der Grund: Ich fuhr innerorts «nur» fünfzig.

Und kürzlich musste ich mir beim Warten an der roten Ampel «Dich will ja eh niemand vögeln» anhören. Warum? Weil ich den Typen ignoriert hatte, als er mich fragte, wo ich hinwolle, ob er nicht mitkommen könne.

Es scheint System zu haben, dass Männer aus ihren Autos übergriffige Beleidigungen heraushauen. Das erzählen mir auch andere Vespa-Fahrerinnen. Vor Jahren schon rief mir eine Gruppe junger Männer lauthals «Fotze» zu, als ihr Auto meine Vespa kreuzte. Ich erschrak, zitterte beim Weiterfahren. Damals hielt ich es noch für einen Einzelfall.

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«Ich lebe in einer patriarchalen Gesellschaft, die mir nahelegt, wegen ein paar grusliger Sprüche nicht gleich hysterisch zu werden»

Ja, Frauenfeindlichkeit ist nichts Neues. Das Machtgefälle auf der Strasse auch nicht: Auto vor Zweirädern, SUVs mit 230 PS vor Vespas mit 14 – und anscheinend eben Männer vor Frauen. Möglicherweise geht es bei genauerem Hinsehen jedoch weniger um das Recht des Stärkeren, sondern um die Anonymität, die im Auto herrscht. Das Auto gilt als privater Raum, so steht es unter anderen in Artikel 13 der Bundesverfassung. Das verleitet wohl manche dazu, sich so zu verhalten, als existierten im Auto keine Regeln.

Doch ein privater Raum ist kein regel- oder rechtsfreier Raum. So sind auch Beschimpfungen strafbar – genauso wie der Stinkefinger notabene –, das belegt Artikel 177 des Strafgesetzbuchs. Er hält fest, dass ein Angriff auf die Ehre mit einer Geldstrafe von bis zu neunzig Tagessätzen bestraft werden kann – auf Antrag. Das heisst, ich müsste die Tat erst einmal beweisen können. Und danach als Geschädigte einen Strafantrag stellen.

Doch damit nicht genug: Ich lebe in einer patriarchalen Gesellschaft, die mir als Frau nahelegt, wegen ein paar grusliger Sprüche nicht gleich hysterisch zu werden. Ausserdem scheue ich nicht nur den Aufwand, den eine Strafanzeige mit sich bringt, sondern auch die Tatsache, mit einer Anzeige dem Täter meine Personalien zu offenbaren.

Obwohl der Strassenverkehr als Ort wüster Beschimpfungen schlechthin gilt, wurden der Kantonspolizei Zürich im Jahr 2023 insgesamt lediglich 289 verbale Übergriffe gemeldet – unabhängig übrigens davon, wo sie stattfanden. Das zeigt, dass sich ein Gesetz allein kaum dafür eignet, um sexistischen Anfeindungen im Strassenverkehr einen Riegel zu schieben.

Frauenfeindliche Sprüche bleiben also weiterhin oft unbestraft, werden weiterhin als Kavaliersdelikte akzeptiert. Und das ist das eigentliche Problem. Denn es sind eben nicht einfach nur dumme Sprüche, sondern Straftaten. Gewalt gegen Frauen beginnt schon mit verbalen Erniedrigungen. Sie bilden den Nährboden für sexualisierte Gewalt.

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