Selfie-Fieber: Wenn das Smartphone krank ist
- Text: Thomas Wernli; Foto: pexels/Stocksnap
Thomas Wernli ist besorgt: Sein Smartphone ist krank. Die Symptome sind mysteriös und multipel. Ist das das Ende einer langjährigen, innigen Beziehung? Dies und die Frage, ob seltsame technische Pannen Karma oder Pech sind, treiben unseren Produktionsleiter um.
Dabei habe ich doch alles gemacht. Ich habe dir gut zugeredet. Ich habe dich von deinem Plastikmäntelchen befreit, damit du es nicht zu heiss hast. Ich habe dich gefüttert, gestreichelt, gehätschelt. Aber nun, nun stellst du alles infrage. Unsere gute Beziehung, den gegenseitigen Respekt (du lässt mich nicht hängen, ich lass dich nicht fallen). Und nun soll das alles vorbei sein? Einfach so willst du mich verlassen?
Mein Smartphone will sich neuerdings etwa alle dreissig Sekunden ausschalten. Oder wie es mein Freund E formuliert hat: «Dein Handy hat eine suizidale Gefährdung.» Nein, darüber macht man keine Witze. Aber es ist nicht einfach, mit einem lebensmüden Handy im Alltag umzugehen. Denn wie gesagt: Es will sich ständig ausschalten. Beim Spielen, Surfen, Mailen, Telefonieren oder auch einfach so ohne gar nichts … hallo, ich will dann mal weg.
Genervt ist mittlerweile auch mein Mann. Wenn er während «Candy Crush» unterbrochen wird, weil sich das Gerät, wie er den kleinen Computer emotionslos nennt, sich grad mal wieder in den Tod stürzen will. «Kauf endlich ein neues.» Ja, mal schauen, wie lange die Wetter-App diese «markante Hitzewelle» als «erhebliche Gefahr» einstuft. Vielleicht sind es wirklich nur die hohen Temperaturen, die dem Gerät zu schaffen machen. Andererseits: Das tropische Klima in Asien hat ihm doch auch nichts ausgemacht …
Julia, unsere Onlinechefin, kennt sich zum Glück aus mit solchen Dingen. Sie versucht mir zu helfen. Also erst mal googeln. Und siehe da: ALLE haben dieses Problem. Ich wusste doch, dass ich nicht der Einzige bin! Schalte es doch einfach mal aus, rät Kollegin Geraldine. Ja, habe ich gemacht. Aber das Teil hat sich ganz von allein wieder eingeschaltet, und neuerdings macht es ständig Selfies – von sich selbst! Wo es die wohl hinschickt? Warum kann mein Handy nicht einfach so den Geist aufgeben? Nein! Es muss irgendeine seltene Krankheit haben. Mal wieder, ich scheine solche extravaganten Pannen anzuziehen. Kürzlich weigerte sich das neue Digitalfestnetztelefon (gänzlich ohne Kabel, super) immer mal wieder, Anrufe entgegenzunehmen. Oder ein Fall aus der Zeit meines Volontariats: das schnucklige Redaktionsauto, das bei jeder Steuerradbewegung hupte und von mir zwanzig Kilometer über kurvige Landstrassen und durch kleine Dörfer gelenkt wurde – bevor der Automechaniker ein kleines Stückchen Aluminiumfolie herausfischte. Seither esse ich kein Ragusa mehr beim Autofahren. Dabei bin ich es doch, der sowohl in der Beziehung als auch in der Redaktion häufig kleine technische Probleme löst. Computer, Drucker, kein Problem. Ich bin doch nicht blöd.
Auch mein Mann war kürzlich mit einem kleinen technischen Problem konfrontiert, das grössere Auswirkungen hatte. Genau neun Minuten bevor er in ein Flugzeug hätte steigen müssen, ist er zuhause im Bett aufgewacht. Die Batterie des Weckers war leer. Nach diesem Schockerlebnis setzte er mangels eines weiteren Weckers oder neuer Batterien auf einen digitalen Weckdienst übers Internet. Er wollte sicher sein, die nächsten Tage pünktlich aufzustehen.
Ich: Und du hast Telefonnummer und Weckzeiten im Internet eingegeben? Er: Ja. – Und was hat das gekostet? Nichts. – Und haben sie angerufen? Ja. – Und wer war dran? … Mein Mann versteht die Frage nicht. Ich: Wer war dran: ein richtiger Mensch oder eine Computerstimme, ein Mann oder eine Frau? Er: Weiss nicht. War noch früh am Morgen. – Ja, was wurde denn gesagt? Werbung. – Ja, Werbung wofür? Für alle Arten von Weckern.