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Selbstverteidigung Teil 1 – Früh wehrt sich

Selbstverteidigung Teil 1 – Früh wehrt sich

  • Text: Helene Aecherli

Selbstverteidigung – eine Mini-Serie in zwei Teilen. Erster Teil: Die Deeskalation oder wie man sich gar nicht erst in Gefahr bringt.

Wer kennt es nicht, dieses mulmige Gefühl abends oder nachts, wenn man durch dunkle Strassen geht, im menschenleeren Parkhaus das Auto holen muss oder entgegen besserem Wissen die Abkürzung durch den verlassenen Park nimmt: Die Angst vor Überfällen, sexueller Belästigung und Vergewaltigung ist allgegenwärtig und damit auch die bange Frage: Was wäre, wenn? Könnte ich mich gegen einen Angreifer verteidigen?

Tatsache ist aber, dass der finstere Typ, der hinter dem Gebüsch hervorspringt, in den wenigsten Fällen der Realität entspricht. In den meisten Fällen haben sich Opfer und Täter in irgendeiner Form schon einmal getroffen, sei es am Arbeitsplatz, beim Sport und vor allem im Ausgang. «Ausgehfreudige Frauen und Männer bewegen sich in einem Umfeld, von dem ein erhöhtes Gewaltpotenzial ausgeht, da dort Drogen und Alkohol oft zum Standard gehören», sagt Christian Wanner, Kommunikationsberater und Inhaber der Selbstverteidigungsschule Functional Fighting in Zürich. «Enthemmt, übermütig und mit gesteigertem Ego lässt man sich eher auf Situationen ein, die man in nüchternem Zustand meiden würde.» Deshalb gilt: Die beste Selbstverteidigung ist, sich erst gar nicht in Gefahr zu bringen, eine brenzlige Situation rechtzeitig zu erkennen und wenn möglich einen Bogen darum zu machen. Dies bedeutet, sich der Möglichkeiten der Gefahren bewusst zu sein, das Umfeld genau zu beobachten, sich etwa schon im Bus oder in der Bar zu überlegen: «Wo setze ich mich hin?» oder «Ist mir in der Nähe dieser Gruppe wohl?».

Wird die Lage trotz aller Achtsamkeit kritisch, kommen Deeskalationsstrategien zum Zug. Dies sind Handlungsweisen, um auftretende Spannungen zwischen Gruppen oder Personen zu kanalisieren, bevor es zu körperlichen Auseinandersetzungen oder gewaltvollen Reaktionen kommt. Und je eher man reagiert, desto mehr Möglichkeiten hat man, um die Situation zu entschärfen, und desto geringer sind auch die Konsequenzen (siehe Grafik). «Man ist nämlich selten von null auf hundert in einer gefährlichen Situation drin», so Christian Wanner. «Ein Konflikt ist meistens von vielen kleinen Grenzüberschreitungen gekennzeichnet, die man vielleicht oft übersieht, verdrängt oder gegen die man sich nicht zu wehren wagt, aus Angst, unhöflich zu wirken.» Dies trifft natürlich nicht nur auf Konflikte im Ausgang zu, sondern auch auf Konflikte bei der Arbeit, in der Familie, im Sport oder in der Politik.

Deeskalationsstrategien sind so simpel wie wirkungsvoll: Nein sagen, nicht darauf eingehen, was die aggressive Person von sich gibt. Distanz suchen, sein Gegenüber ins Leere laufen lassen. Bei Aggressionen versuchen, Verständnis zu zeigen, dem Angreifer vielleicht sogar konstruktive Lösungen vorzuschlagen. Wird man nun als Frau abends im Ausgang zum Beispiel von einer Gruppe angetrunkener Jungs angemacht, kann man ihnen zulächeln und sich verziehen. Oder eine Freundin um Hilfe bitten. Oder sich nach dem Türsteher umsehen. Oder sich ein Taxi bestellen. Klar, ein solches Verhalten setzt Selbstbewusstsein und ein Wissen um das Reagieren in Konfliktsituationen voraus.

Bevor es brenzlig wird

Ein Konflikt entwickelt sich nicht von null auf hundert: Je früher man reagiert, desto mehr Handlungsmöglichkeiten gibt es und desto weniger schwerwiegend sind die Konsequenzen. Reagiert man jedoch erst spät, werden die Handlungsoptionen geringer, und es können schwerwiegende Konsequenzen drohen (Kampf, Vergewaltigung, Verletzungen).

Christian Wanner ist Kommunikationsberater, Coach und Trainer für Selbstverteidigung.
Mehr unter: www.functionalfighting.ch