Ängste überwinden, Stress und Burn-out vorbeugen und sorgenfrei durchs Leben gehen, verspricht das Tagesseminar «Selbsthypnose – ich helfe mir selbst». Unsere Autorin hat einen Kurstag und einen Monat Selbstversuch hinter sich.
Seit einigen Minuten versuche ich krampfhaft meine Augenlider zu öffnen. Es fühlt sich an, als wären Ober- und Unterlid miteinander verklebt. Im Hintergrund wabert dumpf die Stimme des Hypnosetherapeuten Hanspeter Ricklin durch den Seminarraum. Dort sitze ich, eingereiht auf Schulbänken neben fremdem Schnaufen, und versuche, mich von meinen Gedanken zu lösen. Davon, nicht vom Stuhl zu rutschen, weil auch mein Körper einem muskellosen Sandsack gleicht, und vom Gedanken, dass ich meine Lider trotz jeglicher Anstrengung tatsächlich nicht öffnen kann, wie es mir die Stimme befohlen hat: «Mit jedem meiner Worte sinkt ihr tiefer und tiefer in euch, fühlt euch schwer. Auch eure Augenlider werdet ihr jetzt nicht mehr öffnen können, bis ich es sage.»
Es ist Samstagmorgen, 11 Uhr, kurz nach der ersten Pause, als Kursleiter und Hypnosetherapeut Hanspeter Ricklin uns das erste Mal in Gruppenhypnose versetzt. Eine seltsame Umgebung für einen Trance-Zustand: Säuberlich angeordnete Unterlagen liegen auf den Tischen bereit, die grauen Wände des Seminarraums im Volkshaus Zürich vermischen sich mit dem nebligen Dunst draussen zum tristen Einheitsbrei. Die Stimmung erinnert mich automatisch an meinen Nothelferkurs: Fremde Menschen begegnen sich ausserhalb ihrer Komfortzone, sind in ein Zimmer gepfercht und werden vom lauwarmen Pflichtgefühl begleitet, sich im Kurs irgendwie einbringen zu müssen – schliesslich hat man sich ja angemeldet, während doch insgeheim alle nur dasselbe Ziel haben: die ganze Sache ohne grobe Peinlichkeiten hinter sich zu bringen. Das heutige Tagesseminar verspricht: Selbsthypnose für die eigene Anwendung, um Ängste zu therapieren, Stresssituationen besser zu bewältigen, Burn-outs vorzubeugen und durch positive Suggestionen negative Denkmuster zu überwinden. Kurz: ein sorgenfreieres Leben.
Neben der Selbsthypnose werden uns zwei weitere Selbsthilfemethoden beigebracht: Palm-Therapie und EFT-Klopfen. Beide Therapiemethoden waren mir bis zum Kurs unbekannt. Hypnose allerdings begegnete mir im Freundeskreis immer wieder. Da hiess es auf einmal bye-bye Zigaretten, Black-Outs und Migräne. «Die Hypnose fristet aber leider in der klassischen Schulmedizin noch häufig ein Schattendasein, obwohl ihre Wirksamkeit mehrfach belegt wurde», sagt Hanspeter Ricklin. Einen solchen Beleg lieferten Forscher der Stanford University School of Medicine im Jahr 2016, als sie mittels eines MRT aufzeigen konnten, wie sich der Trance-Zustand auf gewisse Areale des Gehirns auswirkt. Verschiedene Auffälligkeiten stellte das Forschungsteam fest, unter anderem auch eine Aktivitätszunahme in Hirnarealen, die als Schnittstelle zwischen Gehirn und Körper gelten und die so begünstigt werden, gewisse Vorgänge im Körper besser zu verarbeiten. Ebenso eine Veränderung von Gehirnverbindungen, die im Ruhezustand aktiv werden, also zum Beispiel beim Tagträumen und wenn Handlungen von unserem Bewusstsein entkoppelt werden. So soll man sich während einer Hypnosesitzung intensiver als im Normalzustand auf positive Suggestionen einlassen können, die im Gehirn verankert werden, ohne diese bewusst zu werten.
Eine Fülle solcher positiver Suggestionen hat uns Hanspeter Ricklin im Arbeitsheft vorgelegt. 17 Seiten mit Leitsätzen zu positiven Veränderungen von «Ich bin voller Ideen» bis zu «Ich liebe es, Sport zu treiben.» Bei «Ich ziehe Reichtum an wie ein Magnet» stutze ich. Durch Selbsthypnose Millionärin werden? Doch Ricklin wiegelt ab: «Die Suggestionen im Heft habe ich aus dem Internet kopiert – sie sollen bloss zur Inspiration dienen, wie man solche Leitsätze formuliert. Es ist schwierig, nur mit Hypnose zu Geld zu kommen.» Er betont: «Hypnose kann auch keinen Krebs heilen, das möchte ich klarstellen. Aber sie kann die Selbstheilungskräfte des Körpers und die Einstellung des Geists in grossem Mass beeinflussen, wenn man sich darauf einlässt und wenn man immer und immer wieder übt.»
Also üben wir. Es fällt mir schwer, eine Suggestion zu finden. Eine Studentin leidet unter starker Flugangst, eine weitere Teilnehmerin fürchtet sich vor Hunden. Unter was leide ich? Ich möchte am Ende des Selbsttests einen Erfolg- oder Misserfolg messen können. Als ich ein Gähnen unterdrücke, kommt mir eine Idee: Mein Problem ist das Snoozen – das morgendliche Äquivalent zum Pickel, den man immer wieder ausdrückt und der davon nur schlimmer wird. Sechs Alarmtöne drücke ich morgens einzeln weg – und bin danach eineinhalb Stunden Schlaf los. Was bleibt, ist schlechte Laune.
Erneut versetzt uns Ricklin in Gruppenhypnose. Zuvor lernen wir einen sogenannten Anker zu setzen: Mit Hilfe der immergleichen Wortkombination 123B fallen wir schneller und tiefer in Trance. «Ich wache morgens erfrischt und vor dem Weckton auf» ist das Einzige, was ich in Gedanken aufsage. Ich atme tief durch, und es fühlt sich an, als würde ich innerlich Rückwärtspurzelbäume schlagen, ins Schwarze nichts.
Der zweite Teil des Seminars widmet sich der Palmtherapie und dem EFT-Klopfen. «Beides sind Methoden, die unglaublich simpel zu erlernen sind, die aber meinen Patienten oft dabei helfen, Ängste zu therapieren», sagt Ricklin. Simpel trifft zu: Bei der Palmtherapie werden zwei Punkte auf der Handfläche gedrückt – zwischen Daumen und Zeigefinger und auf einem Punkt der Lebenslinie. Drauf gedrückt, Angst weg? Das Prinzip sagt ja – die Stimulierung der Nervenpunkte soll Ängste in einer Stresssituation lindern. Bloss kann ich es nicht ausprobieren: Weder verspüre ich im Seminarraum die geringste Angst, noch gerate ich im Monat meines Selbstversuchs in eine Situation, die mir den Schweiss in den Nacken treibt. Auch die dritte Methode, das EFT-Klopfen, nehme ich mehrheitlich als Beobachterin wahr. In einer gleichbleibenden Abfolge wird mit mehreren Fingern auf verschiedene Punkte des Kopfs und des Oberkörpers geklopft. Währenddessen wechselt sich die Vorstellung einer Stresssituation mit einer positiven ab. Was lustig aussieht, soll ebenfalls Ängste lösen können. Tatsächlich scheint es bei drei Teilnehmerinnen, an denen Ricklin die Methode vorführt, gemäss eigenen Aussagen zu wirken. «Durch das Klopfen werden verschiedene Akupunkturpunkte stimuliert. Durch das konstante Klopfen dieser Stresslinderungspunkte und die psychologischen Situationswechsel werden solche Stresssituationen unterbrochen und durch positive Affirmationen abgeschwächt, sagt man. Mir selber genügt der Fakt, dass es bei vielen meiner Patienten funktioniert.» Ricklins Einstellung finde ich erfrischend. Vor seiner Hypnoseausbildung ursprünglich lang in einer Kaderfunktion in der Informatikbranche tätig, haftet ihm vielleicht deshalb ein gesunder Pragmatismus an. Wenig Eso-Hokuspokus, dafür handfeste Erfolge, so scheint es.
Um einen solchen Erfolg ebenfalls auf meinem Konto verbuchen zu können, widme ich meinen Selbstversuch daheim ganz der Hypnose, von der ich mir am meisten verspreche. Mit dem Smartphone nehme ich meinen persönlichen Hypnosetrack auf.
«Ich wache morgens erfrischt und vor dem Weckton auf», tönt es von meinem Handy, ich liege auf dem Sofa. Seit sechs Tagen sitze ich nun abends auf meiner persönlichen Therapieliege. Am zweiten Tag nicke ich kurz ein und wache erst auf, als mein Mitbewohner lachend von meinem Selbstversuch ein Video macht. Nach einigen Tagen snooze ich zwar immer noch wie gehabt, aber ich spüre eine entspannende Wirkung meines neuen Rituals: Sich täglich nach dem Feierabend kurz hinzulegen und sich mithilfe bewusster Atmung in einen Erholungszustand zu versetzen, tut gut.
Nach elf Tagen wache ich das erste Mal verwirrt an einem Mittwoch um 7:03 Uhr auf. Hat der Alarm geklingelt? Nein. Ich bin überrascht, freue und ärgere mich zugleich, denn hey, eigentlich wollte ich doch erst um 8 Uhr aufwachen. Ich übe weiter. Und tatsächlich: An vier weiteren Tagen wache ich von allein auf. Erfrischt ist anders, aber wach bin ich – vor dem Weckton! Als ich an einem Sonntag um halb acht erwache, bin ich kurz davor, die Selbsthypnose wieder sich selbst zu überlassen. Doch ein letztes Erlebnis stimmt mich um: Auf einer Pressereise sinke ich totmüde mit dem Handy in der Hand im Hotelbett, ohne den Wecker zu stellen. Ich erwache im Schock. Habe ich meinen Termin verschlafen? Die Uhr sagt Punkt 8 Uhr. Gemütlich gehe ich duschen. Der Tag startet gut. Ach, wie schön das doch ist, so eine Sorge weniger im Leben.