annabelle-Reporterin Helene Aecherli über den Krieg im Jemen und Schweizer Waffenexporte in den Nahen Osten.
Die Telefonverbindung ist schlecht, doch nur schon Hanas Stimme zu hören, beruhigt mich: Hana lebt. In der Nacht zuvor hat das saudische Militärbündnis erneut Angriffe auf die jemenitische Hauptstadt Sanaa geflogen, sie waren so verheerend wie schon lang nicht mehr. «Eine gewaltige Explosion riss mich aus dem Schlaf», sagt Hana. «Sie erschütterte das ganze Haus, es war, als ob die Bombe direkt neben mir niedergegangen wäre. Auf diesen Angriff folgten sieben weitere, einer schlimmer als der andere, jedes Mal dachte ich: Jetzt trifft es uns. Und als ich realisierte, dass ich noch atme, dachte ich an die Menschen, die dort leben, wo die Bomben einschlugen. An all die Kinder, die Mütter, all die schwangeren Frauen.» Hanas Stimme bricht.
Seit eineinhalb Jahren herrscht im Jemen Krieg zwischen den Huthi-Rebellen und dem saudischen Militärbündnis, dem unter anderen Bahrain, Kuwait, Katar und die Arabischen Emirate angehören. Und seit eineinhalb Jahren vergewissere ich mich täglich, ob Hana noch lebt. Mal per Telefon wie an diesem Morgen, meist aber genügt ein Blick auf ihr Aktivitätsprotokoll auf Whatsapp. Hana und ich lernten uns kennen, als ich kurz vor Ausbruch des Kriegs in Sanaa war. Seither gehört die 27-jährige Projektleiterin zu meinem Freundeskreis. Mit ihr ist der Krieg auch für mich irgendwie zu einer unmittelbaren Realität geworden – ein Krieg, der bis heute 10 000 Todesopfer gefordert, unzählige Dörfer und Städte zerstört und die Hälfte der Bevölkerung in die Hungersnot getrieben hat, darunter über 300 000 Kinder und Säuglinge. Und: Es ist ein Krieg, der genährt wird durch Waffenlieferungen an Saudiarabien.
Die grössten Player sind Frankreich, die USA und Grossbritannien mit Exporten in Milliardenhöhe – aber liefern tut auch die Schweiz. Nur wenige Wochen vor jenen erneuten Luftangriffen publizierte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) die Zahlen zu den Schweizer Waffenexporten nach Saudiarabien im ersten Halbjahr 2016. Sie sind mit 2.7 Millionen Franken mehr als doppelt so hoch wie im Vorjahr. Im April hat der Bundesrat dem Druck der Wirtschaft nachgegeben und das Moratorium für Waffenexporte in Länder, die in den Jemenkrieg verwickelt sind, aufgehoben. Bei den bewilligten Ausfuhrgesuchen, so das Argument, «handelt es sich grösstenteils um Kriegsmaterial für die Flugabwehr, um Material, also, bei dem kein Grund zur Annahme besteht, dass es im Jemenkonflikt zum Einsatz kommen könnte.» Das ist angesichts der erratischen Kämpfe im Jemen blauäugig. Denn wer hat schon die Kontrolle darüber, welche Waffen wo gegen wen benutzt werden? Zudem steht die betont sachliche Argumentation, mit der die Exporte begründet werden, in zynischem Gegensatz zum Leid der Menschen in diesen Konfliktzonen. Und das ist der Punkt: Wer weiss, welche Auswirkungen das Waffengeschäft hat, und trotzdem mitspielt, bereichert sich letztendlich an Tod und Verwüstung. Auch wenn die Schweiz ein kleiner Player ist, sie ist dabei. Ist es uns das wirklich wert?
Wäre es nicht viel eher an der Zeit, gerade für ein Land wie die Schweiz, das stolz darauf ist, für seine humanitäre Tradition geachtet zu werden, zu erklären, dass an kriegsführende Länder keine Waffen mehr geliefert werden? Weil wir aufgrund der weltweiten Konflikte an einem Wendepunkt unserer Geschichte stehen. Weil wir nichts verändern, wenn wir weitermachen wie bisher. Weil es ein Schritt wäre, dem andere Länder folgen könnten – und ein Akt der Verantwortung gegenüber Menschen wie Hana, deren erschöpfte Stimme im Rauschen der Leitung immer wieder untergeht.
Ich höre schon die Stimmen, die mir zuraunen: «Das ist Realpolitik, Schätzchen. Die anderen tuns auch. Es wird sich nichts ändern, wenn wir nicht mehr mitspielen.» Und wenn doch?