Schweizer Model Tamy Glauser: Das Gender-Wunder
- Text: Stephanie Hess, Silvia Binggeli; Foto: Christoph Wohlfahrt, Jörgen Brennicke
Sie ist aufregend anders und vielleicht gerade deshalb so erfolgreich: Tamy Glauser, die Frau, die diese Saison unser Herz erobert.
Zumindest in der Mode scheint der Kampf der Geschlechter beendet – und Tamy Glauser ist eines der grossen Symbole dieses Waffenstillstands. Auf den Laufstegen verschwimmen die Grenzen zwischen maskulin und feminin. Die Schweizerin, die mal als Mann, mal als Frau gebucht wird, ist da mit ihrer Androgynität, ihrer Coolness der Typ der Stunde. Gleichwohl war das letzte Jahr für das 30-jährige Model ein einziges Ringen. Sie haderte, fragte sich, ob sie das Richtige tue, spielte mit dem Gedanken, ein Studium anzufangen.
Doch dann kam der Frühling, und es kam Louis Vuitton. Exklusiv wurde sie für die Fashion Week Paris und für die Cruise Collection in Palm Springs gebucht. Es kam die «Vogue Italia», in deren Mai-Ausgabe Tamy Glauser für Starfotograf Steven Meisel posierte. Die Modefibel Style.com brachte ein weiteres Porträt, und nun kommt, zusätzlich zur Mutteragentur Modelwerk in Hamburg, auch noch eine neue internationale Agentur: Tamy Glauser wird bei Next Model Management unter Vertrag sein. Schöne Models gibt es viele – aber keine ist wie Tamy Glauser!
Editorial: Der Tamy-Faktor in der Mode
Tamy Glauser lernte ich vor drei Jahren über eine Freundin kennen. Wir verstanden uns sofort, kommen beide aus Bern und quasselten gleich über unsere afrikanischen Wurzeln. Vor allem mochte ich Tamys ungekünstelte Art. An jenem schicken Anlass schien es ihr völlig egal zu sein, wer was von ihr dachte, sie stand da in ihren Doc Martens, mit dem Rucksack, eine starke junge Frau, die mit kahl geschorenem Kopf aus der Reihe tanzt, aber kein Geschrei darum macht.
Gemodelt hat Tamy Glauser damals nur sporadisch. Ein paar Monate später reiste sie nach Paris, um an der Männershow von Givenchy zu laufen. Wir sassen im Büro vor dem Computer und verfolgten über Stream stolz den Walk der Schweizerin.
Tamy ist sinnlich schön, aber sie spielt auch gern mit ihrer bubenhaften Seite. Damit verkörpert sie den Zeitgeist in der Mode, in der sich die Geschlechter annähern. Dass wir vieles in einem sind – Romantikerin, Pragmatikerin, Draufgängerin und Hippie – haben die Designer zum Glück schon länger erkannt. Jetzt zelebrieren sie auch entspannt den Rollentanz zwischen den Geschlechtern. Unisex bedeutet neu nicht nur, dass Frauen maskuline Schnitte tragen: Gucci etwa schickt Männer in Chiffonblusen über den Laufsteg. Die angesagte Alles-ist-möglich-Attitüde ist toll. Nicht nur in der Mode.
Der viel gepriesene Individualismus kann aber auch anstrengend sein. Und braucht Mut.
Tamy Glauser hat sich nach ihren ersten Erfolgen in Paris überlegt, ob sie ihr wahres Alter verheimlichen soll. Models sind in der Regel sehr jung. Sie war schon 27. Sie hat sich anders entschieden. Heute bucht Louis Vuitton sie in Paris exklusiv. Der deutsche Fotograf Christoph Wohlfahrt hat Tamy für ein persönliches Projekt gänzlich ungeschminkt fotografiert. Das ungeschönt starke Resultat sehen Sie auf unserem Cover.
Wen schert es da noch, wie alt ein Model in der Regel zu sein hat!