Schweizer Hundeführerin in der Türkei: «Die Verwüstung ist unvorstellbar»

Am 6. Februar 2023 hat ein Erdbeben der Stärke 7.8 Teile der Türkei und Syriens erschüttert. Die Schweiz schickte neben Hilfsgütern mit der Rettungskette Schweiz auch ein Rettungshundeteam in das Katastrophengebiet. Catherine Perren (60 Jahre alt aus Mörschwil, SG) ist seit 1996 Hundeführerin und sprach mit uns am Telefon über die Situation vor Ort und die grössten Herausforderungen, die sich den Rettungsteams stellen:

«Gerade sind wir in Hatay im Einsatz, das ist eine Provinz im Süden der Türkei. Das Ausmass der Verwüstung ist unvorstellbar. Ganze Strassenzüge sind komplett zerstört. Sechsstöckige Häuser sind völlig in sich zusammengestürzt. Wir sind mit acht Hunden hierhergekommen. Unsere Aufgabe ist es, so viele Menschen wie möglich lebend aus den Trümmern zu retten.

Momentan arbeiten wir in zwei Equipen à 4 Hunden. Ein Einsatz dauert zwölf Stunden, dann wechseln wir. So ist rund um die Uhr jemand am Suchen. Das sind lange Einsätze, aber es ist manchmal einfacher, die innere Ruhe zu wahren, wenn man zwölf Stunden am Stück durcharbeiten kann und dann zwölf Stunden Pause hat– sofern man von Ruhe bewahren überhaupt sprechen kann.

Wir sind nicht die einzige Organisation vor Ort, auch aus anderen Ländern sind Suchteams gekommen. Da die Zerstörung so umfassend und so weitläufig ist, müssen wir uns untereinander absprechen, welches Team wo sucht und teilen uns die Einsatzgebiete entsprechend auf.

Zurzeit werden noch mehrere tausend Verschüttete unter den Häusern vermutet. Die Angehörigen stehen völlig verzweifelt daneben. Ganz viele sagen uns, sie hätten noch Stimmen gehört und wir sollten sofort kommen. Die Situation ist aber häufig so unsicher und instabil, dass wir nicht gleich helfen können. Erstens aufgrund der instabilen Trümmerfelder, aber auch wegen der Gefahr von Nachbeben. Das Chaos ist ausserdem noch so gross, dass wir mit unseren Transportern zum Teil überhaupt nicht durchkommen. Das ist für uns eine sehr grosse mentale Herausforderung.

Als wir in der Schweiz abgereist sind, war von zehn Tagen Einsatz die Rede. Wahrscheinlich wird es aber nicht ganz so lange sein. Irgendwann ist es nicht mehr möglich, Lebende zu retten. Die Leute sterben nach einer gewissen Zeit unter den Trümmern. Auch können die Hunde nicht unbegrenzt im Einsatz stehen, sie kommen ebenfalls an ihre Grenzen. Die Zuständigen der Rettungskette vor Ort entscheiden, wie lange wir suchen und wann ein Einsatz beendet wird.

Die Arbeit ist mit dem Ende unseres Einsatzes aber nicht getan. Häufig gibt es einen Wechsel: Die Hunde sind zwar weg, dafür kommen dann die Leute, die beim Wiederaufbau helfen oder das Material dafür liefern. Auch Räumungsarbeiten sind wichtig. Unter den Trümmern liegen viele Leichen, die geborgen werden müssen.

Wer in der Schweiz den Betroffenen helfen möchte, tut dies am besten mit Spenden. Es braucht finanzielle Unterstützung, damit das Material für die Räumung und den Wiederaufbau geliefert werden kann. Vor Ort zu reisen bringt dagegen nichts, solange die Infrastruktur so zerstört ist.

Wenn wir in die Schweiz zurückkehren, haben wir ein Debriefing, bei dem wir alle nochmals zusammensitzen und über den Einsatz sprechen. Der gegenseitige Austausch hilft uns dabei, das Erlebte zu verarbeiten. Auch haben wir die Möglichkeit uns nachträglich psychologisch betreuen zu lassen, wenn wir das möchten.

Wir sind übrigens alle nicht hauptberuflich Hundeführer:innen, sondern übernehmen diese Aufgabe in unserer Freizeit. Von dieser Arbeit lebt man nicht, aber man lebt für sie.»