Leben
«Schreibst du deine Texte eigentlich selber?»
- Redaktion: Kerstin Hasse; Text: Steff La Cheffe; Foto: Ellen Mathys
Frauen sind auf Festivalbühnen untervertreten, auch in der Schweiz. Auf annabelle.ch geben wir Schweizer Musikerinnen eine Bühne und lassen sie über das schreiben, was sie gerade beschäftigt. Der vierte Beitrag stammt von Steff la Cheffe.
«Bist du die Sängerin?»
«Bist du die Tänzerin?»
«Schreibst du deine Texte eigentlich selber?»
«Willst du dich nicht ein bisschen weiblicher anziehen?»
«Eigentlich kann ich ja Frauen-Rap nicht ernst nehmen, aber dich find ich ganz okay.»
«Hey, du blöde Bitch, da du ja nicht singen kannst, kannst du bestimmt gut blasen. Wie viel würdest du verlangen? Ich und meine Kollegen wären ungefähr zu zehnt.»
All das musste ich mir schon anhören in den letzten 15 Jahren meines Schaffens. Anfangs macht es dich fassungslos, dann wütend, dann macht es dich müde, und du resignierst. Die sexistische Kackscheisse ist am dampfen, schwappt stossweise über den Rand. Zeit, den Deckel anzuheben und sich das eklige Gebräu etwas genauer anzusehen.
Sexismus im Hip-Hop ist 2018 salonfähiger denn je, Sexismuskritik glücklicherweise auch.
Laut war die Empörung über Farid Bangs und Kollegahs Song «Ave Maria», in welchem unter anderem die Zeile «Ich fick sie, bis ihr Steissbein bricht» zu finden ist. Mehr als ein Schweizer Medium wollte von mir eine Stellungnahme zu dieser Zeile. Ich hatte dazu keine Lust, wollte diesen Typen nicht noch mehr Plattform geben und schon gar nicht meine kostbare Zeit damit verschwenden. Nun hab ichs mir aber doch noch zu Gemüte geführt, zu Recherche-Zwecken sozusagen. Meine Meinung: generell geschmacklos, gewaltverherrlichend und menschenverachtend, sexistisch sowieso. Battle-Rap war auch schon kreativer. Ich verstehe den Hype um die ganze Sache allerdings nur teilweise, denn ähnliche Aussagen wurden schon vor Jahren und Jahrzehnten gemacht. Ich frage mich mittlerweile eher, wie man denn früher über solche Dinge hinwegsehen konnte und wie ich selber jahrelang ein bis zwei Augen zugedrückt hatte, wenns um subtile oder offensichtliche Frauenfeindlichkeit in Rap-Texten ging. Ein viel verwendetes Argument in diesem Zusammenhang lautet: «Das ist halt Kunst, da ist alles erlaubt. Die haben ja selber auch Frau und Familie und meinen das gar nicht so. Das sind eigentlich ganz nette Typen.» Diese Argumentation dünkt mich ausgelutscht und langweilt mich mittlerweile zu Tode. Ich habe keine Lust mehr, einzelne Künstler oder die Szene in Schutz zu nehmen, solche Phänomene zu relativieren oder runterzuspielen.
Ich hatte vor Jahren einen Nachbarn, der über Monate hinweg seine Psychospielchen mit mir getrieben hatte, bis er mir schliesslich eines Abends im Ausgang an den Arsch gefasst hat. Nachdem ich ihn in Grund und Boden geschimpft und bei der Verwaltung veranlasst hatte, dass dieser Typ rausgestellt wird, wollte er sich mir erklären. Er eröffnete das Gespräch mit den Worten «Ich glaube, deine Wahrnehmung von mir ist falsch». Er wollte mir dann noch ein schlechtes Gewissen machen, weil der arme Junge sich jetzt eine andere Bleibe suchen musste. Ausserdem hatte er Angst, dass sein Ruf geschädigt wurde und er doch gar kein Psycho sei. Ich hab ihm dann gesagt, dass, wenn er kein Psychopath sei, er sich einfach nicht wie ein solcher verhalten soll.
Verbaler Hooliganismus hat natürlich in einem freien Land auch eine Existenzberechtigung, allerdings sollten sich seine Vertreter nicht darüber wundern, dass Aussenstehende dieses Verhalten nicht goutieren oder sich sogar daran stossen. Die Frage ist, ob sich die Jungs einfach auf der Wiese hinterm Parkplatz auf die Fresse hauen, ohne dass Unbeteiligte darin verwickelt oder verletzt werden, oder ob wir ihnen den Rasen im Stadion und die Frontseite auf der Zeitung überlassen wollen.
Vielleicht ist es nicht nur an der Zeit, eine Frauenquote an Festivals einzuführen, als eine Art Instrument, um ein Gleichgewicht zu erlangen, sodass eine solche Diskussion irgend einmal überflüssig wird, sondern auch, um Künstler mit sexistischen Aussagen zu boykottieren, auch wenn dabei ein paar Franken Profit verlorengehen.
Vielleicht ist es nicht nur an der Zeit, dass sich Frauen und Mädchen gegen Unterdrückung und Diskriminierung wehren, sondern auch an der Zeit, dass sich ihre Kollegen mit ihnen solidarisieren, sich Gedanken machen über Geschlechterstereotype, sich dazu äussern, sich einmischen und öffentlich Stellung beziehen, auch wenn sie dann Gefahr laufen, von anderen Männern als Pussy bezeichnet zu werden. Es ist Zeit, den latent vorhandenen Alltags-Sexismus zu entlarven. Denn Sexismus und Frauenfeindlichkeit beginnen nicht erst bei der tatsächlichen Vergewaltigung und Misshandlung von Frauen, sondern schon meilenweit vorher mit Fragen wie «Schreibst du deine Texte eigentlich selber?». Sie sind Ausdruck eines Weltbilds, in dem Frauen eher als Interpretinnen und Musen wahrgenommen werden und weniger als ebenbürtige Künstlerinnen und ernstzunehmende Konkurrenz.
Die Bernerin Steff la Cheffe (31) gehört zu den erfolgreichsten Rapperinnen der Schweiz. Bereits mit ihrem ersten Album «Bittersüessi Pille», das 2010 erschien, feierte sie schweizweit Erfolge. Bereits 2011 erhielt sie den Swiss Music Award als Best Talent National. 2013 folgte das zweite Album «Vögu zum Geburtstag» – mit Hits wie «Ha ke Ahnig» – und in diesem Jahr, nach einer 5-jährigen Pause, die Platte «Härz Schritt Macherin». Steff la Cheffe tritt am 4. August am Sommerfest in Romanshorn auf und am 11. August an den Jazztagen in Lichtensteig. Weitere Infos und Termine hier
Bühne frei für alle
Meist sind es noch immer Männer oder Männerbands, die an grossen Festivals auf den Hauptbühnen stehen – obwohl es sowohl in der Schweiz als auch international viele interessante und talentierte Künstlerinnen gäbe. Wir bitten diesen Sommer fünf Schweizer Musikerinnen auf unsere Bühne und lassen sie mit einer Carte Blanche laut über das nachdenken, was sie gerade in ihrem Leben als Kreative in der Schweiz beschäftigt. Dies ist der zweite Beitrag der Reihe, alle weiteren finden Sie hier.