Schrank schlank: Garderobe ausmisten mit System
- Text: Jacqueline Krause-Blouin; Fotos: Flavio Leone
Die Garderobe ausmisten kann eine Herkulesaufgabe sein. Unsere Autorin holte sich Hilfe bei der Profi-Aufräumerin.
«Ich sehe wirklich verdammt gut aus in einem grasgrünen Mini mit Leopardenmuster!», sage ich mir selbst und balle innerlich die Faust. Den Mini habe ich seit der elften Klasse nicht mehr getragen, aber das ist egal. Ich bin heute auf Krawall gebürstet. Denn zu mir kommt Nicole Böhme, auch genannt: The Wardrobe Organizer. Ja, Sie haben richtig gelesen, Frau Dr. Ordnung wird bei mir ihr sogenanntes Total Wardrobe Lifting durchführen. Dieses Wort liess mich schon im Vorgespräch leicht zusammenzucken, und das Gefühl, das es auslöste, lässt sich ein wenig mit der Angst vor dem Zahnarzt vergleichen.
Ich möchte ganz kurz festhalten, dass ich kein Messie bin. Aber von einer fremden Person gesagt zu bekommen, was wegmuss und was nicht, was mir steht (der Leo-Mini!) und was nicht, ist mir doch höchst suspekt.
Es klingelt. Nichts ahnend von meiner schlaflosen Nacht und mit gewinnendem Lächeln streckt mir Nicole Böhme vertrauensvoll ihre Hand entgegen. «Bereit für Ihr Lifting?» Vor mir steht eine grosse, schlanke und auf den ersten Blick – nun ja – aufgeräumte Frau. Ich muss zugeben, dass sie mir höchst sympathisch ist, aber als sie nebenbei von ihrer früheren Karriere im Private Banking erzählt, muss ich kurz schlucken und kann mir latente Vorurteile nicht verkneifen. Ein böser Banker ist in meine Wohnung eingedrungen und vergreift sich an meinem Kleiderschrank! Was, wenn da am Ende nur noch graue Hosenanzüge hängen? «Der Kleiderschrank ist ein Portfolio, in dem man von Zeit zu Zeit seine Assets überprüfen sollte. Assets können steigen oder fallen im Wert», zieht mein Coach auch gleich den Finanzwesenvergleich. Mein Mini wird nie im Wert fallen, denke ich mir heimlich. Mein Mini ist eine Cashcow!
Aber schon macht sich der Wardrobe Organizer mit entschlossenem Schritt auf in Richtung Kampfzone. Meine Ausgangslage ist keine typische, normalerweise räumt Nicole Böhme Kleiderschränke aus und wieder ein, das ist bei mir nicht nötig. Ich bin vor sechs Wochen, nach knapp neun Jahren in Berlin, zurück nach Zürich gezogen und erst seit jungfräulichen drei Tagen in meiner neuen Bleibe. Die sechs Wochen vor meinem Einzug lebte ich aus einem Koffer und zwei Kisten, meine restlichen Sachen sind erst kürzlich eingetroffen. Ehrlicherweise muss ich gestehen: Vermisst habe ich nichts – aber das sage ich natürlich meinem Wardrobe Organizer nicht.
Aber es hilft nichts: Die Bedrohung in zwölf Kisten wartet darauf, ausgepackt zu werden, alles muss in meinen neuen Schrank. Der ist natürlich viel zu klein. Aber war jemals ein Kleiderschrank nicht zu klein?
Strahlend macht sich Böhme ans Werk, während ich bereits vom Anblick des Chaos komplett überfordert bin. «Wir arbeiten nach einem 3-Punkte-System», sagt mein Coach. Aha, die berühmte Trilogie «Herrin der Schränke», denke ich nervös und leicht missbilligend, aber mein Coach macht beherzt den Boden bereit für drei Stapel. Stapel eins: wird entrümpelt; Stapel zwei: darf bleiben; Stapel drei: maybe. «Maybe?», frage ich in der Hoffnung, eine Auswegstrategie gefunden zu haben. Ha, dann packe ich einfach alles auf den Maybe-Haufen, und wenn die Lady weg ist, hole ich alles zurück. (Wie Sie sicherlich merken, dauert es eine ganze Weile, bis ich verstehe, dass Nicole Böhme gekommen ist, um mir zu helfen, und dass dieses Experiment rein gar nichts bringt, wenn ich mich innerlich wie ein bockiges Kind verhalte.) «Eines der grössten Missverständnisse», sagt sie, «ist, dass die Leute denken, ich will eine Stilberatung bei ihnen durchführen. Dabei komme ich nur, um zu organisieren, meine Kundinnen wissen meist ganz genau, was ihnen steht.» Typische Klientinnen sind zwischen dreissig und fünfzig, stehen mitten im Leben und vor einem viel zu vollen Kleiderschrank, wenn sie Böhmes Nummer wählen. «Oft werde ich auch in sehr emotionalen Phasen gerufen», sagt sie. «Zum Beispiel nach einer Trennung – ein hervorragender Anlass, um zu entrümpeln.» Ein erneuerter Kleiderschrank setzt offenbar ähnliche Kräfte frei wie ein neuer Haarschnitt, eine neue Wohnung oder ein neuer Job. Aber was, wenn man schwach wird? Was macht man mit sogenannten emotionalen Stücken? Dem Strandkleid, das man in den Ferien mit dem Ex getragen hat, zum Beispiel? «Machen Sie ein gutes Foto», schlägt Böhme vor. «So haben Sie eine Erinnerung, die keinen Platz wegnimmt. Ausserdem blockieren Sie die Chance auf etwas Neues, wenn Sie ständig an Altem festhalten.»
Mein Wardrobe Organizer ist auf dem besten Weg, mein Vertrauen zu gewinnen, ich komme aus der Defensive und greife mutig zu. Der Entrümpel-Haufen wächst – der Maybe-Haufen allerdings auch. Nur ab und zu schaut mich Böhme fragend an: «Wann hatten Sie das zuletzt an?» «Oh das, das habe ich ständig an!», behaupte ich. Zu dumm nur, dass am Kleid noch das Preisschild befestigt ist. Beschämt schnappe ich das gute Stück, um es in die Weg-Ecke zu verfrachten, als Böhme gerade nicht hinschaut. Sie hat es aber natürlich doch gemerkt und nickt mir zustimmend zu. Es ist eben kein Kinderspiel, alte Muster zu durchbrechen.
Der Profi hat für alles ein System: T-Shirts werden gerollt und in eine Box gelegt, das spart Platz und hat den Vorteil, dass man den Überblick hat. «Das ist die Sushi-Technik», sagt Böhme fachmännisch. Dann gibt es noch die Teebeutel-Technik (Kleidungsstücke nebeneinander aufreihen, wie Teebeutel in der Box) und die Sandwich-Technik (Kleidungsstücke zusammenlegen und stapeln).
Mir war wirklich nicht bewusst, dass Wardrobe Organizing eine Wissenschaft für sich ist. Aber es geht hier auch um viel mehr als um Teebeutel-T-Shirts und Sushi-Hosen – ein aufgeräumter Kleiderschrank spiegelt ein Lebensgefühl wider. Chaos verursacht Unruhe und hat grössere Konsequenzen, als man zunächst denkt. Laut einer Studie der Fachorganisation Kommunale Infrastruktur herrscht auf aufgeräumten öffentlichen Plätzen deutlich weniger Kriminalität als an schmutzigen, chaotischen Orten oder ewigen Baustellen. Offenbar stehen Vandalismus und Unordnung in direktem Zusammenhang.
«Das Ordnungsprinzip lässt sich auch auf den Freundeskreis, auf Beziehungen oder den Job ausweiten», sagt Nicole Böhme mit ernstem Gesichtsausdruck, als sie gerade meine Unterhosen nach Farben sortiert. Soll ich auch meine Freunde in Maybe- oder Weg-Gruppen unterteilen? «So radikal natürlich nicht, aber fragen Sie sich von Zeit zu Zeit, ob Sie sich mit Menschen umgeben, die Ihnen guttun, oder ob Sie im Job festgefahren sind.»
Da Digital Detox – also auch digitalen Plunder aus dem Weg räumen – das Wort der Stunde ist, überlege ich mir beim Schuhesortieren, dass ich auch mal meine Facebook-Freunde entrümpeln könnte. Wem von diesen Menschen möchte ich denn wirklich täglich auf meinem Bildschirm begegnen? Ich komme richtig auf den Geschmack, während mein Schrank langsam Formen annimmt und mein Kopf immer klarer wird. Eine Umgebung voller Plunder steht für ein unaufgeräumtes Unterbewusstsein, das habe ich mal in einem Feng-Shui-Buch gelesen; man muss wirklich kein Eso-Freak sein, um auf solch einleuchtende Gedanken zu kommen.
«Sie wissen aber schon, dass wir hier im oberen Bereich operieren», ermahnt mich Böhme immer wieder. Ich weiss, es ist kein Geheimnis, ich habe einfach zu viele Klamotten. Jedes Mal, wenn ich von nun an einkaufen gehe, werde ich ein altes Stück ausmisten, das nehme ich mir vor. Vorerst aber habe ich genug mit meinem Maybe-Stapel zu tun – meine Aufgabe ist ab jetzt, jeden Tag ein Stück aus besagter Sammlung anzuziehen und dann, nach sorgfältigem Abwägen, zu entscheiden, ob es zurück in den Schrank darf oder nicht.
Nach sechs Stunden mit Nicole Böhme sieht es bei mir aus wie in einer Boutique an der Fifth Avenue, ganz oben auf meinem Maybe-Berg liegt der Leo-Mini. Neuer Kleiderschrank, neues Glück – im Englischen heisst «reinen Tisch machen» wohl nicht umsonst «cleaning out your closet».
Tipps für den aufgeräumten Schrank von Expertin Nicole Böhme
ENTRÜMPELN
Entrümpeln Sie Ihren Schrank zweimal im Jahr, im Frühling und im Herbst. Gründliches Putzen nicht vergessen, um Staubschichten zu vermeiden. Geben Sie beim Sichten des Schranks ehrliche Antworten auf folgende Fragen:
– Werde ich dieses Kleidungsstück noch tragen, und wie ist die Passform?
– Reflektiert dieses Kleidungsstück oder Accessoire meinen jetzigen Stil?
– Platzt mein Kleiderschrank aus allen Nähten?
– Gibt es Platz für Neues?
Trennen Sie sich von Schrankleichen, und sortieren Sie alle Stücke nach drei Kategorien: Behalten – Vielleicht – Entsorgen.
SORTIEREN
Teilen Sie die Kleidungsstücke, die Sie behalten, folgenden Untergruppen zu:
Sommer – Winter
Business – Freizeit – Gala
T-Shirts / Pullover / Hosen / Jeans / Kleider / Jupes / Socken / Gürtel / Unterwäsche / Swimwear / Sportswear / Schals / Foulards / Handtaschen / Schuhe
Boxen und Schrank-Divider sorgen für Ordnung.
Investieren Sie in gute Kleiderbügel, und benutzen Sie nur ein bis zwei Bügelmodelle für den gesamten Schrank.
Hosen und Jupes werden an Clip-Bügel gehängt, für Extraschutz schneiden Sie ein Wattepad in zwei Hälften und befestigen diese unter den Klammern – so werden Knicke oder Abdrücke in der Kleidung vermieden.
Kleiderhüllen sollten ein Sichtfenster und einen Reissverschluss haben und atmungsaktiv sein.
ORDNUNG HALTEN
Legen Sie die Sachen immer an ihren Platz zurück. Das erfordert am Anfang Disziplin, ist aber später reine Gewohnheit. Für jedes neue Stück etwas Altes aussortieren.
Von Stücken mit emotionalem Wert ein Souvenirfoto machen, dann können Sie sie entsorgen.
Gegen das Chaos in den Handtaschen hilft eine herausnehmbare Innentasche (gibts zum Beispiel von Reddogbags.com).
Haben Sie den Mut, Fehlkäufe zurück in den Laden zu bringen, das ist Ihr gutes Recht.
Lavendelsprays sorgen für einen angenehmen Geruch und schützen vor Motten. Gegen die lästigen Tierchen hilft zudem ein Stück Zedernholz im Schrank.Kleidersammelstellen:
Texaid, Textilverwertung, www.texaid.ch
Caritas Schweiz, www.caritas.ch
Tell Tex, www.tell-tex.ch
Weitere Infos: www.textilkoordination.ch
1.
Geschafft! Nicole Böhme (rechts) und Jacqueline Krause-Blouin nach dem Wardrobe Lifting
2.
Alles, was bleiben darf, ist jetzt übersichtlich versorgt
3.
Boxen mit abgetrennten Fächern sind ideal, um Accessoires geordnet im Schrank zu verstauen