Sie habe oft Schlafprobleme, verrät uns Laura Mvula, Englands neuer Musikliebling. Was für ein Glück – denn niemand besingt den Mond so schön wie sie.
Ein helles Lachen bricht aus ihr heraus. So sollte jedes Interview beginnen. Aber das Gespräch mit Laura Mvula in der Eingangshalle des Hotels Schweizerhof in Luzern, zwischen Mediengewusel und eintreffenden Trachtengruppen, ist eine Ausnahme. So einem gewinnenden Menschen, der einem auch noch interessiert in die Augen blickt, ist der Journalist schon lange nicht mehr begegnet.
Klar, vor wenigen Monaten sah das Leben der 26-jährigen Engländerin noch anders aus. Vielleicht ist sie selbst noch immer überwältigt von der begeisterten Aufnahme ihres Debüts durch Kritiker wie Fans. Eines Albums, das strotzt vor eigenwilliger Musikalität und Reife, ohne sperrig zu sein. Hell und freundlich klingen die orchestralen Popsongs auf «Sing to the Moon», schwebend wie ein Teppich voller Stimmen, die nachts den Mond besingen.
«Sing für den Mond, und die Sterne werden leuchten.›
Laura Mvula, was bedeutet Ihnen eigentlich der Mond? Die Sängerin lacht, denkt nach, fährt sich durchs kurz geschorene Haar. «Eigentlich verrückt», sagt sie, «dass mich das so noch niemand gefragt hat, oder? Den Titel habe ich in einem Buch entdeckt. In der Biografie der Sängerin Adelaide Hall. Als ihre Schwester starb, sagte ihr Vater zu ihr: ‹Sing für den Mond, und die Sterne werden leuchten.› – Ich fand das zwar sehr vage, aber irgendwie interessant.»
Trotzdem, sagt die Sängerin, «und das erzähle ich nun zum ersten Mal», hätten Titel und Mond noch eine ganz andere Bedeutung: Sie habe oft Probleme mit dem Einschlafen, liege nachts lange wach. Das Album sei auch diesem lähmenden Zustand gewidmet.
Tatsächlich verzögert sich in Laura Mvulas Musik die Zeit, ruht sich auf den Noten aus, dehnt und streckt sich gemächlich. Musik wie ein Kissen voller Harfenklänge. Und manchmal bleibt die Zeit auch stehen auf ein Kaffeekränzchen mit der Ewigkeit, etwa in «Can’t Live with the World» oder «Diamonds». Auch in «Make Me Lovely» drückt und bremst der Beat, Mvulas Stimme zaudert virtuos zwischen zart-verträumt und bitter-trotzig – als schlüpfe sie in ständig wechselnde Rollen.
Das komme nicht von ungefähr, sagt sie, ihre verschiedenen Stimmen stünden alle für sie selbst. Sie habe lange nicht gewusst, wer sie sei, wie sie sich geben solle, wohin sie wolle im Leben. «Mal wollte ich ein bisschen studieren, mal ein bisschen jobben, immer in der Schwebe leben, zuhause in Birmingham auf der Couch rumlungern …» Die Musikerin lacht. Lange sei das nicht her, höchstens zwei, drei Jahre. «Ich kam einfach nicht weiter im Leben.»
«Eine Karriere als Popsängerin war nie geplant»
Als Kind hatte sie Klavier und Geige gelernt, nach der Schule absolvierte sie am Birmingham Conservatoire einen vierjährigen Studiengang in Komposition. Sie heiratete den sambischen Opernsänger Themba Mvula und arbeitete als Aushilfslehrerin an einer Musikschule. Nebenbei sang sie «ohne Ehrgeiz und grosse Ambitionen» in der A-cappella-Gruppe ihrer Tante. Irgendwas mit Musik wolle sie machen, erzählte sie Bekannten, die sie schon mit bedauernden Blicken bedachten, weil sie damit nicht weiterkam. Stattdessen spielte sie in einer christlichen Popband und jobbte als Empfangsdame beim Sinfonieorchester von Birmingham.
Endlich begann Laura Mvula, eigene Songs zu schreiben. Sie entdeckte ihre 3-Oktaven-Stimme neu und wusste plötzlich, was sie wollte. Ihre selbst aufgenommenen Demo-Lieder, die sie per E-Mail verschickte, fanden schnell Beachtung, das Plattenlabel RCA zögerte nicht lange und nahm sie unter Vertrag, «eine Karriere als Popsängerin war nie geplant», sagt sie lachend, bis ihr Album «Sing to the Moon» im März auf Platz 9 der britischen Charts kletterte.
Behutsamer R&B mit jazzigen Noten
Das ist beachtlich für eine Platte, die sich nicht im Geringsten um Charts-Konventionen und Radio-Airplay schert. Mvulas behutsamer R&B mit unüberhörbaren Spaziergängen in den Jazz und die Klassik buhlt nicht um schnelle Aufmerksamkeit, schon eher um offene Ohren. Die etwas strengen Arrangements mit Streichern und Bläsern, Harfenzupfern und Beach-Boys-Gesangsharmonien sind zuweilen verkopft, trotzdem steckt da ganz viel drin, was man getrost fesselnd oder gar sinnlich nennen darf. Oder in der Sprache der Musik: Soul.
Als Einflüsse führt sie denn auch Jill Scott, Erykah Badu und Lauryn Hill an. Noch lieber spricht sie von ihrer Schwäche für den britischen Singer-Songwriter Jamie Cullum, auf dessen aktuellem Album sie als Gastsängerin zu hören ist. Um über Nina Simone, Billie Holiday und Aretha Franklin zu sprechen, deren Musik bei Mvula immer mitzuschwingen scheint, reicht die Zeit nicht mehr. «Du hast genau zwanzig Minuten», hiess es zu Beginn vonseiten der Plattenfirma. 23:13 zeigt der Zähler des Diktiergeräts jetzt an. Der nächste Interviewer wartet. «Ich plappere viel auf Twitter, melde dich doch da mal!», sagt Laura noch, ehe sie sich der nächsten Begrüssungszeremonie zuwenden will. Aber halt, stopp: Was ist denn nun eigentlich ihr Mittel gegen die Schlaflosigkeit? «Ich habe einen fürsorglichen Mann», sagt Laura Mvula. «Er nimmt mich dann in den Arm und streichelt mich. Das hilft meistens.»
— Laura Mvula: «Sing to the Moon» (Sony)
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Stürmt die Charts: Die 26-jährige Laura Mvula.