Der Schauspieler Aaron Taylor-Johnson: Alte Seele oder Toyboy?
- Text: Ewa Hess; Foto: Universal Pictures
In der Verfilmung des Weltklassikers «Anna Karenina» spielt Aaron Taylor-Johnson Annas jungen Liebhaber Graf Wronski. Das Toyboy-Image haftet dem Schauspieler aber nicht erst seit diesem Film an.
Es kann schon sein, dass Aaron Taylor-Johnson eine alte Seele ist, wie seine Frau, die berühmte Künstlerin Sam Taylor-Wood, manchmal sagt.
Wenn der Schauspieler seinen eigenen, schön geschwungenen Mund aufmacht, kommt allerdings knallharter Teenspeak heraus: Jedes zweite Wort heisst fucking. Wie er sich in seiner Rolle als Blondine vorkommt? Seine Haarfarbe sei ihm fucking egal.
Seine Bekleidung offenbar auch – der junge Mann schlurft in einer Kapuzenjacke und zerrissenen Jeans durch die Gänge des Claridge’s Hotel in Mayfair. So etwas dürfen hier nur sehr berühmte Leute. Der 23-jährige Brite ist auf dem besten Weg dazu, ein solcher Mensch zu werden: als Held des Überraschungs-Welterfolgs «Kick Ass», eines Action-Klamaukfilms. Als Gatte der 23 Jahre älteren britischen Künstlerin Sam Taylor-Wood. Und als erster blondlockiger Wronski, seit es «Anna Karenina» gibt.
Er verkörpert den Toyboy Wronski im Film «Anna Karenina»
Aaron Taylor-Johnson mag seine Haarfarbe egal sein, den Leserinnen und Lesern von Leo Tolstois «Anna Karenina» ist sie es wahrscheinlich nicht. Graf Wronski als blonder Pudel?, ging ein Aufschrei durch Blogs und Sites.
Tolstois Familienepos über eine verheiratete Frau, die einem Offizier verfällt und vom rechten Weg abkommt, vor 140 Jahren erstmals veröffentlicht, könnte locker das meistadaptierte Buch der Weltgeschichte sein: zwölf Spielfilme, fünf Fernsehspiele, drei Theaterstücke, zehn Opern (!),drei Ballette, zwei Musicals … Und immer ist der Lover Wronski männlich, dunkel und gefährlich.
Nicht in der 13. Verfilmung. Regisseur Joe Wright, Spezialist für stilvolle Literatur-Adaptationen («Atonement» und «Pride & Prejudice»), sieht ihn als Toyboy – per Definition der junge Lover einer reiferen Frau.
Mit grossen blauen Augen und einem Heiligenschein blonder Locken stolpert sein Wronski durch das privilegierte Leben eines jungen Adligen im feudalen Russland des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Gehätschelt durch Mutter, Tanten und Cousinen, weiss er bald nicht mehr, wie ihm geschieht, als er in den Sog der charismatischen Anna gerät. Seine erwachende Männlichkeit trifft auf ihre frustrierte Leidenschaft.
Wronski als blonden Jüngling darzustellen war Joe Wrights Idee
In der Interviewrunde im «Claridge’s» rutscht Aaron Taylor-Johnson unter dem Fragenhagel unruhig auf dem Stuhl herum. Wie er dazu komme, den Wronski so zu spielen? Ob er den Roman überhaupt gelesen habe? Bis er explodiert: «Das war doch alles nicht meine Idee! Es ist Joes Film, seine fuckin’ Vision, er wollte das so, nicht ich!»
Joe, das ist Joe Wright, der mit der Besetzung Aaron Taylor-Johnsons seinem Film eine Verbindung zum echten Leben verschafft. Selbst der ehrwürdige «Guardian» nannte den Schauspieler, von Natur aus braunlockig, einen «red carpet toyboy». Das war 2009, als er anfing, mit der Künstlerin Sam Taylor-Wood auszugehen.
Damals war er gerade 20 Jahre alt. Sie war 43, eine gefeierte Künstlerin der Young-British-Artist-Generation, soeben vom mächtigsten Galeristen Englands, dem White-Cube-Besitzer Jay Jopling, getrennt. Vermögend, einflussreich und nicht besonders hübsch.
Toyboy oder alte Seele?
Sie trafen sich auf dem Set des Films «Nowhere Boy». Sie war die Regisseurin, er spielte den jungen John Lennon. Der «Guardian» berichtete über den Dreh und schilderte eine Szene, als ein plötzlicher Regen die Arbeit am Film unterbrach und die Regisseurin Hand in Hand mit ihrem jungen Darsteller in einen Schuppen rannte, wo sie wie Kinder tanzten und lachten.
Eine Parallele zu «Anna Karenina»? Nicht ganz. Denn anders als die vom Moralisten Tolstoi zur Abschreckung erfundene Ehebrecherin hatte Sam Taylor-Wood überhaupt kein Problem, zu ihrer Beziehung zu stehen. Drei Jahre später ist das Paar verheiratet und hat den gemeinsamen Namen Taylor-Johnson angenommen.
Zwei Töchter sind zu den zweien, die Taylor-Wood mit Jay Jopling hatte, dazugekommen. Der über Nacht Weltstar und Familienvater gewordene Aaron Taylor-Johnson sagt: «Das Einzige, was ich wirklich will, ist einen weiteren Film mit Sam zu drehen. Denn sie ist eine fucking grossartige Regisseurin.»
Aaron Taylor-Johnson schlägt sich wacker
Verständlich. Denn «Anna Karenina» ist nicht sein Film, obwohl er sich an der Seite der grossen Tiere Keira Knightley (grossartig unsympathisch als Anna) und Jude Law (grossartig hässlich als Karenin) wacker schlägt.
Doch vor allem – ganz egal, wessen Vision es war – gelingt Aaron Taylor-Johnson in seiner Rolle ein überraschendes Kunststück: die Rehabilitierung des Toyboys.
«Er ist loyal zu seiner Liebe», sagt er auf die Frage, was ihm an Wronski am besten gefällt. Hebt die blauen Augen mit einem Blick, in dem nicht nur Verliebte wie seine Frau eine «alte Seele» ablesen können, und sagt mit einem Anflug von Nachdenklichkeit: «Wissen Sie, Wronski war verloren, bevor er Anna getroffen hat, nicht danach.» Und das klingt fucking ehrlich.