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Sauber, Frau! Eine Inderin in der Formel 1

Sauber, Frau! Eine Inderin in der Formel 1

  • Text: Nike VlachosFoto: Rita Palanikumar

Die Formel 1 ist fest in Männerhand. Die ganze Formel 1? Nein, eine gebürtige Inderin mischt an vorderster Front mit – als Managerin beim Rennstall des Schweizers Peter Sauber. Piste frei für Monisha Kaltenborn!

Wenn es nach ihr ginge, müsste das Formel-1-Team von Peter Sauber längst von Chanel gesponsert werden. Sie trägt mit Vorliebe diese klassischen Costumes aus Tweed mit goldenen Knöpfen, kombiniert zu grossem Perlenschmuck. Die Geschäftsbeziehung wäre auch gar nicht so revolutionär, wie sie sich im ersten Moment anhört. Der Papst trägt schliesslich auch Prada – die berühmten roten Schuhe. Und ihr Job weist durchaus Parallelen auf zu dem des katholischen Kirchenoberhaupts. Sie, das ist Monisha Kaltenborn. Sie, das ist die Frau, die seit neustem die Formel 1 missioniert – und emanzipiert. Geboren vor 38 Jahren in Indien, aufgewachsen in Österreich, Studium der Rechtswissenschaften in Wien, Absolventin der School of Economics in London und seit 2010 die erste und einzige Managerin auf der Welt, die einen Rennstall leitet. Die Formel 1 ist zwar keine Religion, aber eine mindestens genauso gut gehütete Männer- oder vielmehr Machodomäne. Kaltenborns Berufung eine Art Wunder also?

Man fragt sich unwillkürlich, wie das funktionieren kann. Wie findet sie Gehör in einer Welt aus kreischenden Motoren und ebensolchen Boxenludern. Aus Alphatieren wie Formel-1-Oberboss Bernie Ecclestone, dem dreifachen Weltmeister Niki Lauda oder Frauenheld Flavio Briatore – mittlerweile unehrenhaft aus der Formel 1 entlassen –, die allesamt Damen mit wadenlangen Jupes schon deshalb eher über den Haufen fahren, als mit ihnen zu reden, weil sie sie gar nicht wahrnehmen? Wie spricht man mit hoch spezialisierten Ingenieuren über Carbonfasern, wenn man selbst nicht einmal einen Reifen wechseln kann? Vom britisch-indischen Kulturkampf einmal ganz abgesehen – in diesem oft arroganten Kosmos, der sich nur allzu gern auf seine englischen Wurzeln beruft.

Mission Impossible? Von wegen: Monisha Kaltenborn lächelt charmant ob der Fragen und entblösst eine Reihe weisser Zähne, die sich wie eine zweite Perlenkette perfekt ins Outfit einfädeln. Sie trägt kaum Make-up. Die Augen sind ein wenig betont, auf den Lippen glänzt ein zarter rosa Gloss, die schwarzen Haare sind zu einem eleganten Pferdeschwanz gebunden. All die Klischees vom unbedarften Weibchen bis hin zur emanzipierten Inderin sind längst ihre heimlichen Freunde und Helfer. Sie hat gelernt, gelassen damit umzugehen und am Ende alle zu verblüffen. Gibt es eine bessere Ausgangsposition, um Gegner zu überholen, als die der Unterschätzten, die erst im letzten Moment gesehen wird und dann als strahlende Siegerin die Trophäe nachhause trägt?

Vergnügt und in schönster Wiener Sprachmelodie erzählt die Juristin ihre Lieblingsanekdote in Sachen Frauendiskriminierung. Ganz diskret, ohne Namen zu nennen: «Wir fuhren im Aufzug, als ein anderer Teamchef Peter Sauber bewundernd auf die Schulter klopfte: ‹Fantastisch, dass Sie sich eine Übersetzerin leisten und sie überallhin mitnehmen.›» Sie war die Einzige, die herzlich darüber lachte. Peter Sauber war die Situation viel peinlicher als ihr, und besagter Teamchef hätte sich gern in Luft aufgelöst, als er erfuhr, dass sie seine Chefjuristin war.
«Wir sind trotzdem Freunde geworden», ergänzt sie mit sanftem Blick aus blitzgescheiten braunen Augen und faltet ihre langen, schlanken Finger ineinander. Sogar für den skandalumwitterten damaligen Renault-Teamchef Flavio Briatore findet sie lobende Worte: «Das mag jetzt sehr nüchtern klingen, aber wenn man geschäftlich mit ihm zu tun hat, ist er ganz anders. Mich hat er nie als Objekt gesehen oder sich Freiheiten herausgenommen. Er scherzt gern, ist völlig unkompliziert, ja sogar sympathisch.»

Die Mutter zweier Kinder, eines siebenjährigen Sohnes und einer vierjährigen Tochter, vergleicht den Motorsport gern mit einem Zirkus. «Draussen ist es ein grosses Spektakel mit viel Glamour. Mich interessieren jedoch die für den Zuschauer unsichtbaren Kunststücke dahinter. Die Vorbereitung, die Technik, die Logistik, die Verträge und Regeln, die das alles erst möglich machen. Ich brauche keinen Glamour, sondern Ruhe und die nötige Distanz.»

Ein Blick in ihr Büro genügt, und man nimmt es ihr sofort ab. Nüchtern wäre zu euphorisch, um die völlige Abwesenheit von Leben zu beschreiben. Es sieht aus wie die Rohfassung einer Filmkulisse eines Büros, das noch nicht in Betrieb genommen wurde. Graue Möbel, ein leerer Schreibtisch, auf dem sich die einzigen beiden Bleistifte vor Einsamkeit aneinanderschmiegen. Kein Bild. Kein Blatt Papier. Kein Vertrag. Keine gemütliche Sofaecke. Keine Pflanze. Keine Familienfotos. Keine Pokale. Und trinken die in der Formel 1 nicht immer Champagner aus Magnumflaschen? Dieser Dame gehört das minimalistischste Arbeitszimmer der Welt. «Ich verbringe viel Zeit hier. Aber ich mag es so aufgeräumt. Sobald ein Vertrag unter Dach und Fach ist, kommt er weg.» Wahrscheinlich ist das ihr Trick: Die Männer wollen nur spielen, sie macht Ernst.

«Ich bin kein Newcomer und dränge mich nicht in den Vordergrund», sagt sie. Tatsächlich sieht man sie selten mit Kopfhörern an der Box stehen. Auch die Champagnerdusche im Fall eines Siegs überlässt sie liebend gern Teamchef Peter Sauber und den Fahrern. «Und ich bin nicht die einzige Frau. Ob Sie es glauben oder nicht, auch Bernie Ecclestone beschäftigt einige Frauen in einflussreichen Positionen.»

Einflussreich vielleicht, aber ohne grosse Öffentlichkeit. Hinter den Kulissen arbeitet die elegante Frau Kaltenborn schon seit über zehn Jahren als Chefjuristin für Sauber. Sie kennt sie alle – und alle kennen sie: die Schumachers, die Vettels und Hamiltons. Sie kennt die grossen Preise von Bahrain bis Malaysia, die Stärken und Schwächen der Boliden, genauso wie die Vorgaben der Sponsoren. 2005 fädelte sie den Mammut-Deal mit BMW mit ein, als der Automobilkonzern den Rennstall kaufte und das kleine, renommierte Privatteam in ein grosses, erfolgreiches Werkteam verwandelte. 2009 holte sie dann das Beste für Sauber heraus, als BMW plötzlich und nicht ganz so sauber wieder verkaufen wollte. Als die Zukunft des Teams mehr als ungewiss war.

Die Lady ist der kühle Kopf der Mannschaft – längst aber auch ihr warmes, pochendes Herz. Wie ein kostbares Juwel wird sie vor allzu aufdringlichen Reportern und ihren Fragen abgeschirmt. Kommt in den lauten Werkhallen die Rede auf sie, scheinen die Maschinen fast zu verstummen, und den Mitarbeitern huscht ein andächtiges Lächeln über das Gesicht. Da flackert mehr auf als die übliche Firmenloyalität. Hier gibt jeder sein Bestes. Und sie tun es – auch für sie. Alle wissen, dass es nicht zuletzt ihrem unermüdlichen Einsatz zu verdanken ist, dass das Team heute noch so besteht.
Die Zuneigung wird erwidert. Diplomatie hin oder her, auch bei Monisha Kaltenborn spürt man, dass sie mit Haut und Haaren für ihre Leute einsteht. Wenn sie über ihre Mitarbeiter spricht, weiten sich die grossen Augen, die Stimme wird weicher und leiser, und sie klingt sehr vertraut – eher wie eine Mutter als wie die Managerin, wenn sie Sätze sagt wie: Ich muss gar nichts sagen. Wir verstehen uns hier ohne grosse Worte.

Dabei war es keine Liebe auf den ersten Blick. Eher Zufall. Mit dem Rennsport in Berührung kam sie 1998, als sie für den Liechtensteiner Unternehmer Fritz Kaiser mit Peter Sauber verhandelte. Damals war Kaiser Teilhaber beim Red-Bull-Sauber-Rennstall. Als er ein Jahr später ausstieg, stieg sie ein und blieb bei der Formel 1. Viel mehr gibt sie nicht preis über ihre Beweggründe. Nur, dass die Faszination für das komplizierte, sich stets wandelnde Regelwerk der Formel 1 sie in ihren Bann zog. Auch privat fährt Monisha Kaltenborn gern schnell. An einem Rallye hat sie allerdings noch nie teilgenommen. Bis heute ist sie noch nicht einmal in einem Formel-1-Auto gesessen. Das liegt nicht am mangelnden Interesse, sondern daran, dass das Monocoque, diese kleine Hochsicherheitszelle, in der der Pilot sitzt, nicht für weibliche Hüften konstruiert ist. Auch dass die Familie ihres Vaters im nordindischen Dehradun, wo sie die ersten acht Jahre ihres Lebens verbrachte, eine Zweiradfabrik besass, verbucht sie eher unter Zufall.

Geprägt hat sie die weltoffene Haltung der mütterlichen Linie. Sie stammt aus einer vermögenden indischen Familie mit adligem Hintergrund. Der Vater war beim Militär. Zuhause wurde ausschliesslich Englisch gesprochen. Daran änderte der Umzug 1979 nach Wien wenig. Dort machte sie die Matura – damals übrigens als einzige Inderin an einer österreichischen Schule. «Ich bin es gewohnt, Pionierarbeit zu leisten», sagt sie und lacht wieder dieses Perlenlachen. Mit ihrem Mann, dem deutschen Rechtsanwalt Jens Kaltenborn, und den Kindern redet Monisha daheim in der Schweizer Wahlheimat ganz selbstverständlich Englisch. «Wir vergessen nicht, woher wir stammen», sagt sie, «aber Tradition hiess bei uns auch immer schon, sich in die jeweilige Gesellschaft zu integrieren und einander die grösstmögliche Freiheit zu lassen.» Als sie etwa ihrer Grossmutter von ihrem Formel-1-Job erzählte, antwortete die nur erstaunt: «Du arbeitest jetzt also in einer Garage?»

Diese Garage befindet sich in Hinwil, etwa 30 Kilometer von Zürich entfernt, und misst beeindruckende 15 000 Quadratmeter. Zwei L-förmige Gebäudekomplexe bilden ein grosses uneinsehbares Rechteck. Davor steht das Herzstück und der ganze Stolz der Fabrik: der moderne Windkanal, in dem manchmal rund um die Uhr die neuste Technik getestet wird. Man kommt sich vor wie in einem Paralleluniversum, hier in diesem Hochsicherheitstrakt zwischen gigantischen Öfen, die bis zu 30 Lagen Kohlefasern zu Kotflügeln oder Kühlergrill backen, und Legebatterie-artigen Denkerzellen, bei denen die an die Türen gepinnten Namenszettel samt Titeln und Herkunft ahnen lassen, dass hier kluge Köpfe aus aller Herren Länder sitzen.

Der Weg nach Hinwil gleicht aber eher einer beschaulichen Modelleisenbahnlandschaft, in der sich adrette Bahnwärterhäuschen und bunte Occasionsautoparks an sanfte Hügel schmiegen. Jede Menge Luftballons, Wimpel und Fähnchen weisen den Weg. Die letzte Kreuzung führt rechts zur Kehrichtverwertung und links zu BMW-Sauber.

BMW – noch ist der ehemalige Eigner auf vielen Schildern präsent. Auch Monteure tragen seinen Namen nach wie vor auf ihre dunkelblaue Arbeitsuniform gedruckt. Das scheint hier aber niemanden zu stören. Monisha Kaltenborn bemerkt es nicht einmal. Sie hatte in letzter Zeit Wichtigeres zu tun als Imagepflege. Die Belegschaft musste von 430 auf 260 Mann fast halbiert werden. Von der Saisonmisere 2010 einmal ganz abgesehen: Selten erreichten die Sauber-Piloten Pedro de la Rosa und Kamui Kobayashi überhaupt das Ziel. Worte wie «gewinnen» oder «Siegerpodest» hört man heute nicht oft in Hinwil. «Natürlich wollen wir siegen. Ich auch. Alles andere wäre gelogen», rutscht es der Topmanagerin irgendwann doch heraus, und man bemerkt die grosse Anspannung, die in diesen Worten mitschwingt. «Aber wir haben eine schwierige Zeit hinter uns. Seit BMW nicht mehr dabei ist, muss neues Vertrauen aufgebaut werden.»

Auch da geht Monisha Kaltenborn ihren eigenen Weg. Ohnehin würde ihr niemand antrainierte Managerseminar-Sprüche im Stil von Wir-können-alles-schaffen-was-wir-wollen abnehmen. Sie sagt schlicht: «Wir verfügen über viel Erfahrung, grosses Knowhow, beste technische Ausrüstung, und mit unserem neuen Cheftechniker James Key haben wir einen echten Neuanfang gewagt.» In der Ruhe liegt die Kraft. Und in ihrem Gespür für gute Verträge. Das Team jedenfalls steht geschlossen hinter seiner Prinzipalin. Die «Bild»-Zeitung übrigens auch: «Schöne Monisha bringt den Aufschwung» titelte das Blatt vor kurzem.

Gut möglich also, dass Monisha Kaltenborn der Formel 1 noch lange erhalten bleibt. Und weiterhin mit Reifenherstellern und Erdölgesellschaften verhandelt statt mit Chanel. Geld statt Glamour. Ganz ihr Stil.