Zeitgeist
Satirikerin Toxische Pommes über ihr neues Buch: «Ich dachte lange, dass ich Heimat über Landesgrenzen definieren muss»
- Text: Vanja Kadic
- Bild: Muhassad Al-Ani
Mit ihren satirischen Videos übt die Österreicherin Toxische Pommes bei TikTok und Instagram Gesellschaftskritik. Jetzt hat Irina, wie sie bürgerlich heisst, mit «Ein schönes Ausländerkind» ihren ersten Roman veröffentlicht.
annabelle: In Ihrem Roman «Ein schönes Ausländerkind» erzählen Sie die Geschichte einer Familie, die vor dem Jugoslawien-Krieg nach Österreich flüchtet – die Tochter will die perfekte Migrantin werden, der Vater verliert sich selbst. Das Buch beleuchtet die Frage nach Heimat und Wurzeln. Warum haben Sie das Buch geschrieben?
Toxische Pommes: Ich wollte eine Geschichte über eine gescheiterte Integration schreiben, weniger über Wurzeln und Heimat – mit diesem Thema habe ich mich bereits intensiv auseinandergesetzt. Ich wollte zeigen, dass nicht integrierte Menschen keine anonyme Masse an arbeitsunwilligen, faulen, bedrohlichen Ausländer:innen sind. Stattdessen wollte ich einen Charakter zeichnen, der menschlich ist, seine eigenen Fähigkeiten, Unvermögen und Charakterzüge hat. Und ich wollte zeigen, wie schwierig es in Österreich ist, Fuss zu fassen – und dass es manchmal auch nicht klappt.
Was meinen Sie mit «nicht integriert» genau?
Das Buch soll genau auf diese Frage und diesen undefinierten Begriff von Integration anspielen. Ich glaube, die wenigsten Menschen können positiv beantworten, was Integration konkret heisst – auch diejenigen in den zuständigen Entscheidungsträger:innen-Rollen nicht. Es ist ein sehr abstraktes Wort, das häufig missbraucht wird, medial und auch von der Politik. Es wird zur Frage nach dem, was vermeintlich normal ist und was nicht. Danach, wen wir als gute Migrant:innen wahrnehmen, wen wir als «schöne» Ausländer:innen sehen und wen als hässliche.
Ihre Familie ist, als Sie eineinhalb Jahre alt waren, aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Österreich geflüchtet. Wie viel von Ihrer Familiengeschichte und Ihrer eigenen Biografie steckt in dem Buch?
Es ist ein autofiktionaler Roman. Ich arbeite grundsätzlich in meinen Videos wie auch meinem Comedy-Programm, ausgehend von persönlichem Material. Dieses versuche ich dann zu verändern und gezielt zu formen, um die von mir gewünschten Aussagen zu treffen. Im Buch bin ich ähnlich vorgegangen: Ich habe mich an persönlichem Material bedient und es weiterentwickelt, um eine Geschichte zu erzählen, die über meine eigene hinausgeht. Ich wollte aber keine Autobiografie schreiben, denn dahinter sehe ich keinen Mehrwert.
Gibt es etwas, das Sie durch diesen Schreibprozess über das Thema gelernt haben? Über sich, über Migration?
Ich arbeitete mit mehreren Figuren, unter anderem mit einer zentralen Vaterfigur – dieser Vater ist auch an meinen eigenen Vater angelehnt. Durch die Entwicklung von Charakteren und den Versuch, mich in diese Figuren hineinzuversetzen, habe ich gewisse Aspekte in meiner Familie besser nachvollziehen können. Was meine eigene Familiengeschichte oder -Dynamik angeht, hat mir das Schreiben also bestimmt neue Perspektiven aufgezeigt.
Sie sagten in einem Interview, dass Sie sich früher darum bemühten, zur perfekten Migrantin zu werden. Wie stehen Sie heute dazu? Oder: Wie empfinden Sie das Spannungsfeld zwischen den beiden Kulturen, in denen Sie zu Hause sind?
Ich habe den Eindruck, dass man sich als Migrantin oft fragt: Was wäre, wenn ich diese Migrationserfahrung nicht gemacht hätte? Was wäre anders? Wäre ich derselbe Mensch? Wenn man beispielsweise Verwandte in einem anderen Land hat, die im gleichen Alter sind und sich überlegt, dass das auch das eigene Leben hätte sein können. Ich habe schon das Gefühl, dass in meinem Kopf ein Parallel-Film läuft. Ich glaube, wenn man migriert und Familie in einem anderen Land hat, wird diese Parallelwelt noch spürbarer.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihren Wurzeln?
Ich denke kaum noch über diese Fragen nach, es ist mir mittlerweile ziemlich egal geworden. Weil ich lange gedacht habe, dass ich Wurzeln, Heimat und Zugehörigkeit über Landesgrenzen definieren muss. Und ich keine echte Österreicherin bin, wenn ich mich nicht zu hundert Prozent mit allem identifiziere, was aus Österreich kommt. Ich fuhr früher diesbezüglich eine Alles-oder-Nichts-Schiene und fand es lange schwierig, mehrere Identitäten miteinander zu verbinden. Die Menschen um mich herum vermittelten mir das Gefühl, dass ich mich zwischen zwei Dingen entscheiden muss. Das war auch immer mein Gefühl – obwohl das in meinem Kopf nicht wirklich Sinn ergab. Weil es einfach nicht so ist.
Mittlerweile hat sich das also für Sie verändert?
Ja, heute finde ich Heimat oder Wurzeln hauptsächlich in Menschen – sei es in Familienmitgliedern, Freund:innen oder in Gemeinschaften, weniger in Ländergrenzen oder kulturellen Kreisen. Vom Balkan etwa kenne ich einfach die Orte, wo meine Verwandten leben und die Kultur meiner Familie, aber ich habe nie länger in einem der Nachfolgestaaten Ex-Jugoslawiens gelebt. Ich mache mir dazu also nicht mehr viele Gedanken, auch weil ich das Gefühl habe, dass das oft gegen einen verwendet werden kann. Dann heisst es etwa, man sei nicht integriert.
Warum machen Sie sich nicht mehr so viele Gedanken zu dem Thema?
Das war ein Prozess, in dem die Frage für mich an Relevanz verlor. Ich finde es schön und wichtig, sich mit der eigenen Kultur und Kulturen generell zu beschäftigen, mit der eigenen Familiengeschichte. Aber ich bewerte die Antworten darauf nicht mehr so stark. Sie ändern nichts an mir als Person.
Sie arbeiten hauptberuflich als Juristin und begannen am Anfang der Pandemie, Satire-Videos bei TikTok hochzuladen. Aus welcher Motivation heraus haben Sie damals angefangen, Videos zu drehen?
Aus Langeweile. Und einem grossen Mitteilungsbedürfnis. (lacht)
Welche Rückmeldung erhalten Sie von Ihren Zuschauer:innen?
Nach meinen Auftritten spreche ich gerne noch mit den Leuten im Publikumsraum. Von Menschen mit Migrationshintergrund höre ich oft, dass sie meine Inhalte und Gefühlswelten gut nachvollziehen können. Und dass es ihnen guttut, auch mal andere Perspektiven zu hören. Leute ohne Migrationshintergrund sagen manchmal, dass sie etwas gelernt haben. Ich freue mich immer, wenn Leute sagen, dass sie sich gesehen fühlen. Oder wenn meine Inhalte für sie interessant oder bereichernd waren und sie sich auch selbst ertappt fühlten. Meine Videos sind ein liebevolles Verarschen, oft steckt eine Kritik drin, aber ich möchte damit nicht hasserfüllt gegen Menschen treten.
Haben Sie ein Ziel, das Sie erreichen möchten?
Ich finde es schön, wenn Leute sich wiedererkennen, aber ich glaube nicht, dass Humor die Welt verändern kann. Kunst ist irrsinnig wichtig, Kunstfreiheit aus guten Gründen in den meisten Staaten ein Grund- und Menschenrecht. Aber ich würde Kunst auch nicht überbewerten. Vor allem kann sie nicht gute Politik und gute Bewegungen in der Zivilbevölkerung ersetzen. Humor kann einen Denkanstoss geben und vielleicht zu einer kleinen Erweiterung des Bewusstseins beitragen – aber ich glaube, das ist nur einer von vielen notwendigen Schritten, um etwas zu verändern.
Toxische Pommes heisst im wahren Leben Irina (ihren Nachnamen möchte sie nicht preisgeben) und arbeitet als Juristin in Wien. Sie hat Hunderttausende Follower auf TikTok und Instagram und spielt ihr eigenes Kabarettprogramm «Ketchup, Mayo & Ajvar – Die sieben Todsünden des Ausländers». Ihr Debütroman «Ein schönes Ausländerkind» (Hanser Literaturverlage) ist im Handel erhältlich. Termine für Lesungen: 3.5 bei Literarischer Nahversorger Schlierbach, 13.05 in der Buchhandlung Stauffacher in Bern, am 14.5 im Sommercasino Basel.