Rebellische Afghanin: Eine Begegnung mit Mozhdah Jamalzadah
- Text: Antje Joel; Fotos: Tommaso Mei
Seit sie in ihrer TV-Show in Kabul so Unerhörtes wie Schleierzwang und Scheidung zur Sprache brachte, wird sie in ihrer Heimat ebenso verehrt wie gehasst. Im Exil in Kanada dagegen ist ihr Leben leer, sagt die Afghanin.
Mozhdah Jamalzadah, 28 Jahre jung, grossäugig, rundwangig, clever, hat den Kampf für Frieden in ihrer Nicht-mehr-Heimat Afghanistan zu ihrer Lebensaufgabe erklärt. Mehr noch, den Kampf für die Freiheit. Für die Gleichberechtigung afghanischer Frauen neben ihren Männern. Und für die Rechte und das Glück der Kinder, natürlich, die in jeder Hierarchie von Unterdrückung und Gewalt immer an ihrem untersten Ende und damit die das grösste Leid Tragenden sind. Für sie alle, für ihre kollektive Freiheit und den daraus hoffentlich folgenden Frieden setzt sich Mozhdah Jamalzadah ein. Dafür opfert sie ihre eigene Freiheit, den eigenen Frieden. Notfalls ihr Leben. Und darum muss es nicht überraschen, dass Mozhdah nichts mehr zu langweilen scheint als der Frieden, das Recht und die Freiheit, die in ihrem kanadischen Exil schon zu haben sind.
Mozhdah war fünf, als die Eltern mit ihr und den beiden jüngeren Brüdern aus der afghanischen Hauptstadt Kabul flohen. Vielleicht auch schon acht. Ihre Aussagen in den verschiedenen Fernsehshows widersprechen sich diesbezüglich. Das mag der Aufregung geschuldet sein. Oder der Idee, dass es für die Sympathie der Exil- und Fernsehzeitspender möglicherweise keinen Unterschied macht, wer genau wann aus Afghanistan floh. Der Vater, ein Universitätsprofessor für Englisch, Psychologie und Philosophie, brachte seine Frau und seine Kinder auf einer LKW-Ladefläche des Nachts über staubige, holprige Strassen bis Pakistan. Mozhdahs Augen und Stimme brennen, wenn sie sagt: «Diese Fahrt werde ich nie vergessen!»
Die Familie blieb ein Jahr in Pakistan. Bis Kanada, als erstes der drei Länder, in denen der Vater um Asyl ersucht hatte, dem Gesuch stattgab. Mozhdah versäumt in fast keinem Interview zu sagen: «Gott sei Dank Kanada! Dieses Land war das Beste, was uns passieren konnte.» Dennoch kehrte sie knapp zwanzig Jahre später zurück nach Afghanistan.
Nach Abschluss der Highschool in Vancouver studierte Mozhdah Politik und Philosophie. Auch Radiojournalismus. Sie machte ein bisschen Karriere als Model. Versuchte es dann als Sängerin. Präsentierte einen ersten Song auf Youtube, ein folkloristisch tönendes Stück in der Landessprache. Eine Hymne auf die afghanischen Männer. Das mochte ironisch gemeint sein. Oder es ist ein weiterer Beweis für Mozhdahs bisweilen haarsträubende, bisweilen herzzerreissende Heimatlosigkeit. Der Vater hatte das Stück geschrieben. Er hatte einen Gitarristen, einen Schlagzeuger und einen Bongospieler bezahlt. Das Wohnzimmer eines Freundes war Studio. Unter den Hunderttausenden, heimathungrigen Exil-Afghanen Nordamerikas brachte der Song es zum Hit. Der nächste schaffte es bis Afghanistan, als «Bester Song des Jahres». Ein junger Fernsehsender aus Kabul rief an. Wollte Mozhdah zurückkommen und die Talentshow «Afghan Star» moderieren?
Mozhdah, möglicherweise mit einem Gespür dafür, «endlich etwas für meine Leute in der Heimat tun zu können», wenigstens aber mit einem Gespür für Gelegenheiten, sagte Ja. Nach dem Entsetzen der Eltern zu urteilen, kann es das nicht gewesen sein, was sie gemeint hatten, wenn sie die Tochter über die Jahre im Exil mahnten: «Vergiss niemals, woher du kommst». In einem Interview mit der «Vancouver Sun» kommentierte die Mutter die Flucht ihrer Tochter nach Osten: «Mozhdah war immer rebellisch.» Immer das schwierige Kind. Mozhdah selbst sagt: «Ich war ein Tomboy.» Ein mädchen im Männergewand. «ich hatte keine Ahnung, wie ich mich als Mädchen kleiden sollte. Meine Mutter hat das später für mich entschieden.»
Nur Wochen nach ihrer Ankunft in Kabul 2012 präsentierte sie sich bereits in einem eigenen, trotzigen Format. Als Moderatorin der «Mozhdah Show». Sie sprach vor ihren Gästen über Themen, über die in Afghanistan keiner spricht: Schleierzwang, Kindsmissbrauch, Gewalt in den Familien, Scheidung. Sie trug enge Hosen und hohe Hacken und einen Stoffstreifen in ihrem Haar, der mit allem augenzwinkernden Wohlwollen nicht eine Kopfbedeckung zu nennen war. Der Kulturminister hielt mehr als eine Sendung zurück. Er drohte, sie ganz einzustellen, wolle die Moderatorin sich nicht fügen.
Andere drohten ihr gleich mit Mord. Sie war jetzt die «Hoffnung» und «Schande» Afghanistans. War Heldin und Hure. Hatte Feinde, so entschieden, wie eine Frau sie nur in Gesellschaften wie Afghanistan findet. Und ebensolche Gönner. Es schien, das rebellische Kind hatte endlich seine Heimat gefunden. Es war jetzt ein Star.
«Megastar!» Die Presse nannte sie die «Oprah Winfrey Afghanistans». Und Mozhdah, die vor den nordamerikanischen Fernsehkameras bekannte, dass Oprah ihr Vorbild gewesen sei, schlug noch im selben Atemzug die Augen nieder und sagte: «Natürlich würde ich mich niemals mit ihr vergleichen.»
Sie reiste jetzt in einer gepanzerten Limousine. Verbrachte ihre Tage in Luxus, geschützt hinter Beton und Stacheldraht. In Gesellschaft der allgegenwärtigen Bodyguards. Auf die Strasse konnte sie sich nur hinter Sonnenbrille und unter Tüchern versteckt wagen. Wegen der Fans. Und der Feinde. Mozhdah, die meistgefeierte, am vehementesten gehasste Frau Afghanistans. Ruhm war so leicht erreichbar. Im zerrissensten, gefährlichsten Land der Welt. Mit der weltweit höchsten Rate an Attentaten, der höchsten Rate an Selbstmordanschlägen, der höchsten Flüchtlingsrate. Bei ihrer Ankunft begrüssten die neuen Kollegen Mozhdah: «Du bist in die falsche Richtung geflohen!» In einem CNN-Interview aus jener Zeit sagt sie: «Als ich nach Kabul kam, war ich ein emotionales Wrack.»
Ich sah sie erstmals auf der letzten Seite des «Sunday Times Magazine», in der Kolumne «A Life in the Day». Jeden Sonntag schildert ein mehr oder minder hell scheinender Star einen typischen Tag in seinem Leben. An jenem Sonntag war da dieses junge Mädchen. Mit grossen Augen, runden Wangen und sehr langem, nicht wirklich überzeugend blondem Haar. Die Art, wie sie in die Kamera lächelte und da in ihrem Sessel sass, ganz in Schwarz, aufrecht und doch leger, mit hoch gestiefelten, übergeschlagenen Beinen, erweckte den Eindruck einer gewissen Geschäftsmässigkeit, die weiss, dass sie nicht allzu geschäftsmässig daherkommen darf, um erfolgreich zu sein. Dieser erste Eindruck, von dem ich zu dem Zeitpunkt möglicherweise nicht einmal wusste, dass ich ihn hatte, verlor und vertiefte sich bei jedem Telefonat, bei jedem Treffen in gleichem Masse.
Mozhdah war nicht zu fassen. In der Kolumne erzählte sie von ihrer alltäglichen Lebensgefahr, dort in Afghanistan, und wie sie gern in den tag hineinschlief. Sie erzählte von einer Bombe, die in dem Supermarkt in nächster Nachbarschaft explodiert war, in dem sie für gewöhnlich einkaufen ging. Sie schrieb, um ein Haar hätte auch sie zur Zeit der Explosion in den Gängen nach Brot und Butter gegriffen, wäre auch sie in einem Supermarktgang gestorben. Nicht, dass sie behauptete, der Anschlag habe ihr gegolten. Nur, dass sie sein Opfer gewesen wäre. Um dieses eine Haar. Und sie erzählte von den beiden Katzen, die ihr im alltäglichen Wahnsinn Afghanistan einen Teil ihrer Einsamkeit nahmen und an denen auch darum ihr Herz hing. Ihr leben schien eine fein kalkulierte Balance aus Terror und Normalität. Und weil ich mich fragte, ob das überhaupt möglich war, und wenn ja, zu welchem Preis, wollte ich sie treffen. Ich war einigermassen erleichtert zu hören, dass sie nicht länger in Kabul, sondern zurück in Vancouver war.
Unser erstes Treffen verschob ich in letzter Minute. Mozhdah Jamalzadah war verschwunden. Sie hatte seit Wochen keine E-Mails beantwortet. Unter ihrer Handynummer meldete sich eine Männerstimme, die ihre Managerin als die Stimme eines Familienmitgliedes zu erkennen glaubte. nach Mozhdah gefragt, legte der Mann zweimal wortlos auf. Die Managerin war besorgt. Es hate seit Monaten Morddrohungen gegen Mozhdah gegeben. Nicht nur in Afghanistan. Auch aus der afghanischen Gemeinde in Kanada und in den Vereinigten Staaten. Am Abend des abgesagten Flugs dann ein überraschendes E-Mail von ihr: «Ich freue mich, Sie morgen in Vancouver zu sehen.» Gefolgt von einem überraschten: Was solle das heissen, der Flug sei umgebucht, natürlich sei sie in Vancouver. War doch besprochen. Die unbeantworteten Mails, das von einem Fremden beantwortete Telefon, Missverständnisse!
Bei unserem ersten Treffen im «Starbucks» an der Granville Street, Downtown Vancouver, ist sie zu spät und ausser Atem. Ich meine: gefühlsmässig. Etwas sehr, sehr Wichtiges ist ihr dazwischengekommen. In letzter Minute. Da es unser erstes Treffen ist, weiss ich noch nicht: Mozhdah Jamalzadah ist der Mensch, den immer etwas ungeheuer Wichtiges hindert, eine Vereinbarung einzuhalten. Und zwar: immer in letzter Minute. Und zwar: immer gleich über Stunden. Oft über Tage. Ist das afghanisch? Rebellisch? Kindisch? Oder ist es das Symptom einer grossen Lustlosigkeit auf alles? Dieser allumfassenden Lebenslangeweile, der, wenn überhaupt, nur noch beizukommen ist mit Drama?
Sie hat Kabul Ende April 2011 verlassen müssen. Das heisst: Sie war im Begriff, von einem Besuch in Vancouver nach Kabul zurückzukehren. Kanadische Regierungsbeauftragte hielten sie auf. Die Drohungen gegen sie waren nicht länger allgemein. Sie hatten plastisches Ausmass angenommen. Im Internet feierten die erklärten Attentäter den Mord an Mozhdah, als hätten sie ihn bereits begangen: «Wir haben Mozhdahs Wagen überfallen. Wir haben Mozhdah entführt. Wir haben sie erschossen. Wir haben ihr den Kopf abgeschlagen.»
Mozhdah Jamalzadah, noch lebend und wohl in der Lage, den alltäglich banalen Drohungen von Entführung und Mord mit dem für sie üblichen Trotz zu begegnen, erhielt erstmals eine Vorstellung, wie sich dieses Sterben anfühlen würde. Sie blieb in Kanada. Sie sagt, seit sie begriffen habe, dass sie auf unbestimmte Zeit nicht nach Afghanistan zurückkönne, sei sie ein Wrack. Sie sagt, sie leide unter Depressionen. Unter dem Gefühl von Sinnlosigkeit. Sie sagt: «Hier ist mein Leben leer.» Angstfrei, aufregungslos. In seiner Gewöhnlichkeit unerträglich. Sie, die auch in Kanada stets eine Waffe trägt, als Schutz gegen Attentäter, sagt: «Ich bin selbstmordgefährdet. Allen Ernstes.» Ich frage: «Wo sind Sie zuhause?» Sie fasst die Handtasche in ihrem Schoss fester. «Schwierige Frage.»
«Können Sie sich vorstellen, mit einem afghanischen Mann zu leben?» Sie sieht mich nicht an, als sie sagt: «Ich lebe mit einem afghanischen Mann.» Und ich denke: Selbstverständlich! Es ist ihr neustes Drama. Das jüngste Geheimnis, das keines bleiben soll. Geheimnisse, unoffenbarte, sind dem Ruhm nicht von Nutzen. Mozhdah weiss das. Aber bitte, sagt sie, schreiben Sie auf keinen Fall seinen Namen, geben Sie seine Identität nicht preis, das brächte ihn in grösste Gefahr. Und das ist womöglich wahr. Und wahr ist auch, dass eine Prise Offenbarung, ein Rest Geheimniskrämerei, eine lebensbedrohliche Dosis Gefahr eine Garantie auf Neugier sind. Sie sagt, seine Familie sei noch in Afghanistan. Die Mutter, der Vater, Geschwister. «Sie werden seine Familie bedrohen, möglicherweise töten, wenn sie wissen, dass er mit mir zusammen ist.»
Mozhdah, das Sicherheitsrisiko, die ultimative Dosis Lebensgefahr. Für ihren Mann. Welcher Kanadier hätte ihr das bieten können? Sie hat sich den Mann nach ihrem letzten, dem vorerst finalen Besuch aus Kabul mitgebracht, hat ihn über die USA nach Kanada eingeführt. «Details kann ich leider nicht preisgeben, Sie verstehen.» Ich verstehe. Sie sagt, obwohl sie jeden Papierkram verabscheue, habe sie sich vorher schlaugemacht, habe sich eingegraben in Regeln, Bedingungen, Formalitäten. «Wenn ich etwas will, wirklich will, dann setze ich das durch.» Für den Augenblick hat das Mädchengesicht jeden Anflug von Weichheit verloren.
Sie lud mich in ihre schicke Anderthalb-Zimmer-Enge ein, in der sie und der namenlose Mann sich jetzt drängen. In einem Wohnblock in Vancouvers teuerster Gegend, Waterfront, zehn Gehminuten bis zum Pazifik. Alles in diesen Häusern ist darauf ausgerichtet, so viel Mietgeld wie möglich aus so wenig Raum wie nötig zu schlagen. Einen Wohnungsflur gibt es nicht, die Tür führt direkt in den Streifen Küche, das Wohnzimmer, mit Panoramafenster und Raucherbalkon, schliesst an sie an. Es gibt noch ein Badezimmerchen, fensterlos und von der Küche begehbar. Und eine Schlafnische. Monatsmiete: 1500 kanadische Dollar.
Ich staune. Ihren Job in einem Wäschegeschäft hat sie gerade gekündigt. Um mehr Zeit zu haben, sagt sie. Um wieder auf die Beine zu kommen. Wer sich einrichtet mit einem Leben als Wäscheverkäuferin, das hat Mozhdah begriffen, kommt nicht mehr auf die Beine. Er kommt nicht zurück nach Afghanistan. «Wie kommen Sie finanziell jetzt zurecht?», frage ich. Sie lacht. Und man hört: Geld ist das geringste ihrer Probleme. Geld ist gar kein Problem. Sie sagt: «Der Manager der Azizi-Bank in Kabul sorgt sehr gut für mich.» Und ich hätte gern gewusst, warum, zu welchem Preis. Aber natürlich empfiehlt sich die Frage nicht. Ich wusste nur, dass sie der Star der Werbung jener Bank war. Und einmal ging im Internet das Gerücht um, dass Mozhdah seit jüngstem die Frau des Sohns der Azizi-Bank sei. Aber natürlich ist nicht alles, was im Internet steht, wahr.
Facebook listet 19 Seiten unter dem Namen Mozhdah Jamalzadah auf. Sie sagt, nur eine davon sei ihre. «Welche?», frage ich. Sie sagt: «Moment.» Ruft Seiten auf, klickt Bilder an. Sagt: «Diese.» Fragt: «Oder?» Baby, ruft sie, welches ist noch mal meine Seite? Baby sagt: «Moment.» Klick. «Nein.» Klick. «Hier. Nein.» Klick. «Jetzt aber.» Oder? Die Bilder der Seiten gleichen sich. Mozhdah singend, Mozhdah mit Katzen, Mozhdah mit Gewehr, Mozhdah mit Kopftuch auf dem Flugfeld einer Airbase vor einem US-Kampfflugzeug stehend. Sie ruft: «Die laden meine Bilder auf ihre Seiten!»
Eine Seite heisst «I hate Mozhdah Jamalzadah», 45 Facebook-Nutzer haben «Gefällt mir» angeklickt. Auf dem Profilbild zeigt sie unter einem engen Westchen viel nackte Haut. Das Bild, immerhin, ist echt. Ihr Mann ohne Namen hat ihre Seite gefunden, die echte. Er dreht mir den Laptop hin. Mozhdah klagt: «Immer werde ich gescholten und verteufelt, weil meine Posen und Bilder angeblich zu sexy sind. Aber schauen Sie hier.» Sie zeigt ein Bild aus ihrer Facebook-Freundes-Liste, eine Dunkelhaarige, Dunkeläugige in afghanisch bunten Kleidern räkelt sich auf einem Teppich und schlägt die Wimpern auf. «Das ist sexy! Und darunter kein einziger fieser Kommentar. Ich dagegen zeige keine sexy Bilder von mir!»
Ihr Mann schweigt, lächelt und klickt. Er dreht mir den Laptop hin. Mozhdah in der Sonne, auf einem Balkon. Im knappen Top, viel nackte Haut, Wimpernaufschlag. «Das ist sexy», sage ich. Ich sehe ihn an. «Oder?» Er nimmt seine Augen nicht vom Bild. Lacht. Nickt. «Sexy», sagt er. «Und stört Sie das?» Ich frage ihn. Er lacht wieder. Sieht auf den Bildschirm. Er schüttelt den Kopf. «Natürlich nicht», sagt Mozhdah. Er sei schliesslich kein Spinner. «Er ist ein ganz normaler Mann.» Normal, sagt der Mann, ja. Mit einer eigenen Facebookseite. Auf der er im schwarz glänzenden Anzug vor einer schwarz glänzenden Limousine posiert. Lächelnd, mit einer Kalaschnikow in den Händen. Das war einmal sein Leben. In Kabul. Als Bodyguard.
Jetzt verbringt er an der Waterfront seine Tage, auf ein paar Quadratmetern im vierten Stock. Geht zweimal pro Woche ins Fitnessstudio, sonst nirgendwohin. Wohin auch? Zu wem? Er hebt die Schultern. Er kennt in Vancouver niemand. Keine Kanadier und schon gar nicht Afghanen. Er sagt: «Afghanen reden zu viel. Überhaupt die Muslime.» Solche Gesellschaft kann er nicht riskieren. Ich frage: «Wollen Sie auch zurück? Nach Kabul?» Nein, sagt er. «Kabul ist scheisse.» Alles in Kabul ist scheisse. Die Menschen, das Leben. Er zeigt auf Mozhdah, die lacht. Die ruft: «Baby, aber ich, ich kann es gar nicht erwarten, endlich zurückzugehen.» Die sagt, dass sie alles daransetzen wird, endlich zurückzugehen. Und von der er weiss, dass sie, wenn sie etwas will, wirklich will, es auch durchsetzen wird.
Er sagt: «Sie ist verrückt!» Aber er hat hier in Kanada keinen. Er hat hier nur Mozhdah, und Mozhdah, die das weiss, sagt: «Aber Baby, du kannst doch meine Freunde haben.» Er lacht lautlos. Er schüttelt den Kopf. Es ist eine so zaghaft bekümmerte Geste. Und Mozhdah, die das vielleicht und vielleicht auch nicht versteht, schiebt ihre vollen Lippen vor und sagt: «Was ist an meinen Freunden falsch, Baby?» Er seufzt. Geht auf die Glastüren zu und hinaus auf den Balkon, der so schmal ist, so zu nichts nütze, dass ich für einen verrückten Moment denke: Er springt! Alles ist möglich. In diesen anderthalb engen Zimmern. Zwischen diesen beiden. Aber natürlich geht er nur raus, um zu rauchen. Und ich denke: Die Freiheit hat manchmal so wenig zu bieten.
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«Ich hatte keine Ahnung», sagt Mozhdah Jamalzadah, «wie ich mich als Mädchen kleiden sollte»
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Mozhdah Jamalzadah in Kabul: In ihrer Show mit sexy Highheels und transparentem Kopftuch…
3.
…mit US-Soldaten…
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…und bei Aufnahmen für einen Trailer zu ihrer Sendung mit bewaffnetem Begleitschutz in der Ruine des geschichtsträchtigen Darul-Aman-Palasts.