Raus aus dem Hamsterrad
- Text: Gülsha Adilji; Foto: iStock
Gülsha Adilji hat es geschaft: Sie ist raus aus dem Hamsterrad und findet, dass es alle verdient hätten, dem endlosen Gerenne zu entkommen.
Im zarten Alter von 16 Jahren wurde ich samt Zahnspange und null Talent für die Auswahl von Lidschatten in die Arbeitswelt geworfen und wetze mir seitdem im Hamsterrad unserer Leistungsgesellschaft meine fleissigen Füsse wund. Ich korrigiere: Ich wetzte mir die Arbeiterfüsse wund, das ist Vergangenheit. Ich bin fertig mit dieser Malocherei, und ich wünschte, auch Sie könnten mal einen Gang zurückschalten, Sie hätten es sich verdient.
Ein paar Schreibarbeiten hier, eine Handvoll Auftritte auf Kleinkunstbühnen dort und ab und zu ein Moderationsjob, der nicht von einer Ex-Miss übernommen wurde – so sieht mein Leben aus. Wenig Geld, viel Seelenheil. Irgendwie schlängle ich mich durch. Noch nie habe ich so wenig gearbeitet wie die letzten zwei Jahre, und es ist echt sehr toll grad, wer hätte das gedacht? Dennoch habe ich immer wieder das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen.
Nach meinem «Ich hänge es momentan vor allem» folgt also immer die genaue Aufdatierung meiner letzten Jahre, die ich mit Doppel- und Dreifachbelastung bestreiten musste. Um zu rechtfertigen, dass ich jetzt nicht mehr so viel arbeiten mag und damit mein Gegenüber nicht das Gefühl bekommt, ich sei einfach faul und eine Belastung für die Gesellschaft. Viel zu sehr steckt die Angst in mir, dass mich Menschen falsch beurteilen könnten; denn Leistung und Fleiss werden in unseren Breitengraden hoch gehandelt und deren Abwesenheit somit schnell falsch gewertet. Deshalb erzähle ich auch – um dem Ganzen noch mehr Nachdruck zu verleihen einen halben Dezibel lauter –, wie sehr sich Stress auf die Gesundheit auswirkt, und dann krame ich die Ergebnisse einer Studie mit Hospizpatienten aus meinem Gedächtnis hervor. Man befragte die Menschen kurz vor ihrem Tod, was sie am meisten bereuen. Auf einem der ersten drei Plätze, ich weiss die genau Reihenfolge nicht mehr, war «Ich bereue, zu viel gearbeitet zu haben». Für mich und meinen Wandel war nicht diese Studie ausschlaggebend – ich kann sie ja noch nicht mal korrekt wiedergeben – ich wollte einfach nicht mehr ein Teil von diesem ganzen Unsinn sein. Sie bestätigt aber meine eigenen Erfahrungen.
Irgendwann fand ich mich durch verschiedene Zufälle mit einem 10-Prozent-Pensum wieder. Wenn man mal nicht acht bis zehn Stunden am Tag damit beschäftigt ist, ein Zahnrad in einem Gefüge zu sein, dessen Hauptziel im Grunde einzig darin besteht, irgendwelche fremde reiche Menschen noch reicher zu machen, hat man Gelegenheit zu reflektieren. Was rechtfertigt denn, dass ich mich entgegen jeglicher Natur mit so vielen nervigen Faktoren herumschlage und teilweise beinah ein Magengeschwür kriege ob der Unfähigkeit meiner Vorgesetzten und Arbeitskollegen? Wer will denn auf Knien leben unter der Last der Arbeit? Ist es, um sich immer mehr oder auch nur das Nötigste zu leisten, wie Wohnung, Essen und einmal im Jahr Ferien in Sharm el-Sheikh?
Glücklicherweise kann ich es mir erlauben, wenig zu arbeiten, aber viele stecken tief im – sehr häufig selbst auferlegten – Beschaffungsstress. Wie unausgeklügelt ist unser Wirtschaftssystem, wenn man durchs Band so viel leisten muss; egal, ob fürs Nötigste oder für ein wenig Luxus. Wenn wir zusammensässen, um alles neu zu ordnen, würden wir mit grosser Wahrscheinlichkeit ein neues Modell austüfteln. Wie das aussehen könnte, weiss ich nicht. Aber sicher würden wir uns schnell darauf einigen, dass wir viel weniger arbeiten sollten.
Deshalb: Raus aus den Hamsterrädern – die sind für Nagetiere gedacht mit einem wirklich sehr kleinen Gehirn, nicht für uns.