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Ratgeber für Krisengebiete – Dieses Interview kann Ihr Leben retten

Ratgeber für Krisengebiete – Dieses Interview kann Ihr Leben retten

  • Text: Evelin HartmannFoto: Jane Dutton

Wie überlebe ich einen Bombenangriff, wie verhalte ich mich, wenn ich in ein Minenfeld gerate? Die britische Kriegsreporterin Rosie Garthwaite weiss es. Sie hat einen Ratgeber geschrieben, den man auf Reisen in Krisengebiete im Gepäck haben sollte.

annabelle: Rosie Garthwaite, vom herkömmlichen Verwendungszweck einmal abgesehen: Warum sollte man ein Kriegsgebiet niemals ohne Kondome bereisen?
Sie sind einfach unschlagbar praktisch. Wer keine Latexhandschuhe griffbereit hat, kann mit Kondomen seine Finger und Füsse vor Keimen und Feuchtigkeit schützen oder Wasser transportieren. Die Soldaten ziehen sie über die Mündung ihrer Gewehre, um sie vor starkem Regen zu schützen.

Eine Ärztin, die seit Jahren für Médecins sans Frontières arbeitet, hat Ihnen erzählt, wie sie im Südsudan einmal beinah einen Bombenangriff verschlafen hatte und gerade noch mit ihrer Kollegin flüchten konnte. Die Kollegin fühlte sich beim Wegrennen durch ihren grossen Busen ziemlich gehandicapt – sie trug keinen BH.
Daraus habe ich drei nützliche Lehren gezogen: 1. In Kriegsgebieten sollte man nicht mit Ohrenstöpseln schlafen. 2. Frauen mit grossem Busen sollten immer mit BH schlafen. 3. Glotz nicht tatenlos einem am Himmel kreisenden Flugzeug hinterher, wenn das Gebiet schon mal aus der Luft bombardiert wurde. Nimm die Beine in die Hand!

Wer Ihr «Handbuch für die gefährlichsten Orte der Welt» gelesen hat, ist für jedes Kriegsland gewappnet. Wie sind Sie bloss auf die Idee gekommen, ein solches Buch zu schreiben?
Ich reise sehr gern in Länder, die nicht hundertprozentig sicher sind. Ausserdem leben und arbeiten viele meiner Freunde an sehr gefährlichen Orten. So sind mit der Zeit eine Menge Überlebenstipps zusammengekommen. Dabei ist mir aufgefallen, dass einem auch ein banaler Anlass zum Verhängnis werden kann. Alkohol, Langeweile, Hunger, kein Sex, zu viel Sex. All das kann genauso tödlich sein wie Bomben. 2009 reiste dann eine enge Freundin in den Nahen Osten, um über den Gazakrieg zu berichten. Ich hätte ihr diesen Fundus an guten Ratschlägen am liebsten ins Handgepäck gesteckt.

Haben Sie keine Angst, Ihr Handbuch könnte als eine Art Lonely-Planet für Abenteuertouristen genutzt werden?
Ich hoffe nicht, dass mein Buch Menschen dazu verleitet, an Orte zu reisen, die sie ansonsten meiden würden. Es geht eher darum, gefährliche Situationen zu erkennen. Lebensgefahr kann auch während einer Thailandreise drohen, denken Sie an den Tsunami.

Während Ihre Freunde nach der Schule Strandferien gebucht haben, sind Sie für ein Jahr zur britischen Armee. Warum denn das?
Ich mochte nicht monatelang für 2.50 Pfund in der Stunde im Pub servieren, um danach ein halbes Jahr durch Südamerika zu reisen. Ich wollte beides: reisen und Geld verdienen. Bei der Armee habe ich viel gelernt, zum Beispiel wie man auf Augenhöhe mit Soldaten spricht. Das war später im Irak sehr nützlich – ebenso wie meine medizinische Grundausbildung. Es gibt nicht viele Kollegen, die wissen, wie man einen verletzten Arm auf 15 verschiedene Arten verbindet.

Als Sie in der zweiten Hälfte des Jahrs 2003 in den Irak gingen, waren Sie gerade mal 22, und das Land befand sich de facto noch immer im Kriegszustand. Fühlten Sie sich gut vorbereitet auf diesen Einsatz?
Absolut nicht. Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben! Ich habe später aus Basra für die Nachrichtenagentur Reuters gearbeitet – für 10 Pfund am Tag, ohne im Vorfeld geschult zu werden und ohne Schutz vor Ort. Ich habe viele Fehler gemacht und hatte oft einfach nur Glück. Es gibt Menschen, die in manchen Situationen genau dieselbe Entscheidung getroffen haben wie ich und heute tot sind.

Was ist der grösste Fehler, den man machen kann?
Die Empfehlungen der Einheimischen ignorieren. Einmal bin ich in einem Taxi auf eine Strassenkreuzung zugefahren, wo ein Pulk wild gestikulierender Menschen zusammenstand. Ich habe den Fahrer gedrängt weiterzufahren, obwohl er davon abriet. Plötzlich stellte sich uns ein Mann in den Weg und hielt zwei Handgranaten in die Höhe. Der Journalist, der mit mir im Wagen sass, stiess seine Tür auf und zerrte mich mit hinaus. Dann rannten wir um unser Leben.

Gibt es nichts, das Sie davon abhalten könnte, Ihren gefährlichen Job weiter auszuüben?
Wenn ich ein Baby bekäme, würde es mich wohl nicht mehr in Krisenregionen ziehen. Es gibt nur wenige Kolleginnen dort, die Familie haben.

Nach einem halben Jahr in Bagdad sind Sie nach Basra gegangen, um von dort als freie Journalistin zu berichten. Die ersten Wochen haben Sie bei einer schiitischen Familie gewohnt.

Ich hatte die Familie auf der Zugfahrt kennen gelernt, und sie meinten, dass es für mich allein zu gefährlich dort sei. Deshalb bin ich zu ihnen gezogen und habe mit sechs Frauen ein Zimmer geteilt. Wir hatten viel Spass – insbesondere an den kulturellen Unterschieden. Diese Frauen entfernen sich die Haare an nahezu allen Körperstellen, ausser auf dem Kopf. Als sie mich einmal unter der Dusche gesehen haben, brachen sie in wildes Gelächter aus.

Von Ihrer Gastfamilie müssen Sie viel über die Stadt gelernt haben.
Nach einem Monat kannte ich Basra besser als jeder andere Ausländer. Ich habe der britischen Armee erzählen können, was morgen passieren wird. An meinem letzten Tag in Basra gingen vier Bomben hoch, und ich war 15 Minuten vor den Soldaten dort. Wenn du mit Menschen zusammenarbeitest, denen du vertrauen kannst, erfährst du solche Dinge – nur so überlebt man.

Hat man als attraktive Frau aus dem Westen Vorteile?
Ob attraktiv oder nicht, spielt keine Rolle. In einem Kriegsgebiet sitzen alle im selben Boot. Ich denke, für Frauen ist es elementar, ihre eigene Körpersprache zu kennen und unter Kontrolle zu haben. Wenn es nötig war, einen Grenzposten anzulächeln, um passieren zu dürfen, habe ich das gemacht. Was aber zutrifft: Als Journalistin bekommt man manches Interview eher als ein männlicher Kollege, da einem das Gegenüber keine so kritische Gesprächsführung zutraut.

Das Buch gibt auch drastische Tipps, etwa wie man ein Bein amputiert oder damit umgeht, wenn jemand in nächster Nähe erschossen wird. Kann man sich je an solche Dinge gewöhnen?
Nein, niemals. Ich musste jeden Tag zur Leichenhalle gehen, um Reuters die Zahl der Getöteten übermitteln zu können. Diesen Anblick vergesse ich nie – auch nicht den Geruch. Wenn ich heute in sehr armen Ländern unterwegs bin, meine ich, die verrotteten Körper wieder zu riechen.

Ein Kapitel handelt von Liebe und Sex.
(Lacht) Krieg und Sex scheinen miteinander zu korrelieren. Die physische und psychische Belastung ist enorm, alle stehen unter Druck, es liegt immer eine gewisse sexuelle Spannung in der Luft. Aber feste Beziehungen entstehen selten. Und wenn, halten sie meistens nur für die Zeit, die man vor Ort ist.

Halten Sie sich eigentlich immer an die Ratschläge in Ihrem Buch?
Das wäre perfekt. Aber ich bin leider ziemlich unperfekt. Deshalb wurde ich auch vergangenes Jahr in Südafrika ausgeraubt. Ich hatte meine Handtasche im Auto liegen lassen – sichtbar für alle. Ich bin einfach zu gutgläubig: In der Schule gehörte ich zu denen, die ihre Bonbons offen auf dem Tisch liegen lassen, in der Hoffnung, dass die anderen Kinder sie nicht wegnehmen. Natürlich haben sie alles genommen.

Die Frontfrau


Rosie Garthwaite wurde 1980 in London geboren. Nach der Schule ging sie für ein Jahr zur britischen Armee. Danach studierte sie in Oxford Geschichte. Mit 22 Jahren ging Garthwaite in den kriegsversehrten Irak, wo sie die englischsprachige Zeitung «The Baghdad Bulletin» mit aufbaute. Später berichtete sie als freie Journalistin unter anderem für die Nachrichtenagentur Reuters und die BBC aus der Rebellenbastion Basra. Heute arbeitet sie als Fernsehjournalistin für den arabischen Nachrichtensender al-Jazeera. Sie lebt in Doha, Katar. Für ihr «Handbuch für die gefährlichsten Orte der Welt» hat Rosie Garthwaite neben ihren eigenen Erfahrungen die Überlebenstipps von über dreissig Kriegsberichterstattern, Sicherheitsexperten und NGO-Mitarbeitern gesammelt und aufgeschrieben.

Rosie Garthwaite: Handbuch für die gefährlichsten Orte der Welt. Verlag Bloomsbury, Berlin 2011, 304 Seiten, ca. 30 Franken

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1.

Der Irak im ganz normalen Ausnahmezustand, fotografiert von Rosie Garthwaite während ihrer Zugreise von Bagdad nach Basra (August 2003)

2.

Kinder in der Rebellenhochburg Basra (2003)

3.

In den Redaktionsräumen von al-Jazeera in Bagdad (2007)

4.

«Bei der Armee habe ich viel gelernt, zum Beispiel wie man auf Augenhöhe mit Soldaten spricht» (2. v. l.)

5.

Auf den Spuren der Lemuren: Rosie Garthwaite und ihr Kameramann unterwegs auf Madagaskar (2008)

6.