«Ach, Viagra macht ja auch nicht geil», sagt Ralf König, der seinen neuen Comic den Wechseljahren des Mannes widmet. Ein Interview über Bäuche, Penisse und – eben – Potenz.
Die Kölner Wohnung könnte einem seiner Bücher entstammen: ein schwuler Adlerhorst gleich unterm Dach, voller Bilder von schönen jungen Männerkörpern. Der Hausherr ist – wie alle wirklich lustigen Menschen – im Kern ein Melancholiker, ein freundlicher, höflicher, eher zurückhaltender Mann, dessen eruptives Lachen allerdings den Kölner Dom zum Erzittern bringen könnte.
Ralf König («Der bewegte Mann») ist der wohl bekannteste Comiczeichner im deutschsprachigen Raum. Das Personal in seinen Büchern ist fast ausschliesslich schwul, doch schon immer wurden seine Comics gern von Frauen gelesen. Denn hier bietet sich endlich einmal die Gelegenheit, Männer zu belauschen, wenn sie unter sich sind und ganz ohne Rücksicht auf weibliche Empfindlichkeiten vom Leder ziehen. Auch Schwule hadern mit sich und stolpern von einer Peinlichkeit zur nächsten – wie im Grunde jeder Mann. Das beschreibt König so liebenswürdig und voller anarchischer Komik wie niemand sonst.
Nun lässt Ralf König, heute 56, seine Alter Egos Konrad und Paul ins krasseste Abenteuer ihres Lebens schlittern: die Andropause. Sein schwierigstes Buch sei es gewesen, sagt er, um jede Sprechblase habe er gekämpft. Und als der Verlag das Werk wider Erwarten gut fand, «da habe ich vor Erleichterung erst mal geflennt». «Herbst in der Hose» schlägt ein längst fälliges, zum Niederknien lustiges und sargnagelschwarz-trauriges Kapitel in der grossen Tragikomödie des Lebens auf. «Endlich sind Frauen mit dem ganzen Menopausen-Scheiss nicht mehr allein», sagt König. Das hätten wir nicht schöner formulieren können.
annabelle: Ralf König, die Wechseljahre kommen, wenn der Storch, der die Babys bringt, von einem Betrunkenen erschossen wird – sagt Homer Simpson. Bisher dachte ich eigentlich, Männer blieben von diesem Phänomen verschont.
Ralf König: Bei uns ist das ein schleichender Prozess. Aber in der Quintessenz nicht weniger dramatisch.
Wann haben Sie die ersten Veränderungen an sich bemerkt?
Den 40. Geburtstag fand ich schon seltsam. Mit 45 merkte ich, dass sich auch körperlich etwas tut. Zum Beispiel hatte ich allmählich keine Lust mehr auf Karneval. Dabei schunkelte und soff ich zwanzig Jahre lang leidenschaftlich in der ersten Reihe. Karneval in Köln ist etwas Grosses, Gewaltiges, man kann entweder richtig mitfeiern oder gar nicht. Ich kriege den Arsch nicht hoch, in den Keller zu gehen und ein Kostüm rauszuholen.
Vertragen Sie den Alkohol noch?
Nicht wirklich, fünf Kölsch, und ich muss mich drei Tage davon erholen. Sogar Kiffen rächt sich, davon bin ich am nächsten Tag zerstreut und schlapp. So wird vieles, was früher Spass machte, langsam seltener. Abends in Kneipen rumstehen? Mit 56 wird auch nicht mehr geflirtet. Da bleibe ich lieber zuhause auf dem Sofa.
Ist das schlimm?
Es ist tragisch. Klar, ich weiss, die meisten Menschen auf der Erde wären froh, wenn sie in Ruhe älter werden könnten. Ein Luxusproblem, darüber zu jammern. Trotzdem, das Thema Altern wird unter Männern immer so weggehüstelt. Ich wollte thematisieren, wie viel Angst das macht, ganz ohne Trostsprüche. «Das Alter ist nur eine Zahl»? Vergiss es.
Welche körperlichen Verfallserscheinungen stören Sie besonders?
Alle. Dass ich nicht mehr der sexiest man unter der Sonne bin. Okay, die absolute Knackschnitte war ich nie, aber seit ein paar Jahren gehe ich nicht mehr zum Sport. Deshalb habe ich nun ein Bäuchlein, was, wenn man wie ich der hagere Typ ist, sehr unvorteilhaft wirkt. Immer wenn ich mich im Spiegel sehe, krieg ich einen kleinen Schreck. Das ist ja auch nicht gesund, sich 20-mal am Tag zu erschrecken.
Männer werden doch angeblich nicht älter, sondern bloss interessanter.
Das behaupten Frauen. Die sagen auch, Männer könnten Glatzen kriegen und einen Bauch, und die finden sich immer noch super. Aber wir leben nicht mehr in den Sechzigerjahren. Auch Männer sind heute eitel und leiden sehr darunter, wenn ihr Lebenssaft schwindet.
Für Ihr Buch haben Sie die Symptome der Andropause gegoogelt. Welches hat Sie besonders erschreckt?
Da stand «Verringerung des Hodenvolumens». Da musste ich erst mal durchatmen. Und der Penis wird angeblich kleiner. Boah! Aber wenn man immer im Training bleibt, ist das angeblich zu vermeiden. Und man steht ja nicht eines Morgens auf, und die Hoden sind geschrumpft. Das passiert allmählich. Sonst gäbe es bei Männern im Klimakterium mit Sicherheit eine hohe Selbstmordrate.
Potenzverlust?
Katastrophe! Es heisst ja, der Mann könne bis ins hohe Alter testosteronbesoffen sein, aber bei den meisten ist dann wohl definitiv nicht mehr viel los. Strauss-Kahn, Berlusconi und diese ganzen alten Säcke, die noch junge Frauen begrapschen: Ich halte das für Verzweiflungstaten. Da zuckt vielleicht noch was, aber wohl eher oben im Kopf. Ob die dabei unten noch einen hart haben, möchte ich bezweifeln.
Es gibt doch Viagra.
Ach, Viagra … Kenn ich schon seit den Neunzigern. Das war eine Modedroge, ein grosser Spass, da war man noch standfester als sowieso schon! Aber geil macht es ja auch nicht. Bei langweiligem Sex nutzt auch kein Viagra, und am nächsten Tag hast du Kopfschmerzen und eine verstopfte Nase.
Heteromänner legen sich ein schnelles Auto oder eine junge Geliebte zu, wenn sie die Vorboten des Alters verdrängen wollen. Was tun Schwule?
Bestimmt gibt es ältere Männer, die sich mal einen Escort gönnen. Aber bei uns gibt es immerhin die Bären. Das sind diese vollbärtigen, beleibten Kerle, für die Älterwerden erst mal kein Nachteil ist. Einen Bauch mit Haaren drauf finden die sexy, ich übrigens auch. Leider bin ich weder behaart noch dick, da habe ich die Arschkarte.
Spüren Sie etwas von der Gelassenheit des Alters?
Selten. Bei einem Glas Weisswein und einem guten Buch im sonnigen Gartenrestaurant. Aber eigentlich wäre ich gern weniger gelassen.
Warum?
Ich vermisse die Grundpower, die mal da war. Früher konnte ich mich zum Beispiel hoffnungslos verknallen. War da einer mit Bambiaugen und Haaren auf Bauch, dauerte es meistens Jahre, bis ich von dem Trip wieder runterkam, und ich habe dabei alle entwürdigenden Stadien durchlaufen. So anstrengend das oft war, ich möchte die Zeit nicht missen. Diese ganze Aufregung, das Grenzenüberschreiten, die Turbulenzen, das Ausleben von Frust und Geilheit – ich bin froh, dass ich das alles gehabt habe. Oh Gott, jetzt rede ich schon wie ein alter Mann, der auf sein Leben zurückblickt …
Wie musste ein Mann sein, um Ihr Herz zu erfreuen?
Strunzgeile Machos haben mich immer verzückt. Egal, ob die mich wollten oder nicht. Ich hatte mal eine Affäre mit einem Brasilianer, die ging über sechs Jahre. Danach war ich pleite und emotional gerupft. Es war sechs Jahre Achterbahnfahren, sehr erschöpfend, zwei Jahre hätten wohl auch gereicht. Aber mit ihm hab ich viel von der Welt gesehen und verdammt guten Sex gehabt. Also, war das falsch? Ich finde, man kann sich das Leben mit Schlimmerem versauen.
Was tun Sie, um gut auszusehen?
Nichts. Seh ich gut aus?
Kein Training, kein Haarwuchsmittel, nicht mal Feuchtigkeitscrème mit Hyaluronsäure und Q10?
Ich glaube nicht an Faltencrèmes. Ich seh mich im Spiegel und nehme es hin, was sonst? Mein Freund ist zwölf Jahre jünger und findet mich attraktiv. Das hilft.
Schon mal eine Schönheitsoperation in Erwägung gezogen?
Ich glaube, ich kriege die Schlupflider meiner Mutter. Aber daran kann man angeblich was machen.
Kein harmloser Eingriff und auch nicht ohne Risiko: Wenn Sie Pech haben, können Sie danach die Augen nicht mehr richtig schliessen.
Okay, ich krieg keine Schlupflider. Ich beneide übrigens Frauen, weil die sich so selbstverständlich die Haare färben dürfen. Bei Männern sieht das immer gleich aus wie bei Mick Jagger.
Als prominenter Autor werden Sie ab und zu fotografiert und gefilmt. Ist es Ihnen wichtig, wie Sie auf den Bildern aussehen?
Aber hallo! Diese Facebook-Schnappschüsse! Oder wenn einem die Kamera so nah an die Visage rückt, dem dass man später die ganzen Furchen sieht! Wenn sie einem mit der Linse fast in die Nase reinzoomen!
Legendär sind Ihre Partyauftritte als Operndiva Elvira Brunftschrei. Haben Sie die auch ad acta gelegt?
Meinen Fünfzigsten hab ich noch mal richtig dick gefeiert, da schwebte ich als Jungfrau Maria auf die Bühne, mit einem leuchtenden roten Herzen auf der Brust, wie auf diesen Kitschgemälden. Oder als ich 2014 den Preis fürs Lebenswerk bekam, beim Comic-Salon in Erlangen, da stöckelte ich auf die Bühne wie eine wandelnde Discokugel. Aber seither bin ich nicht mehr im Fummel aufgetreten. Dazu bin ich nicht mehr schräg genug drauf. Ausserdem müsste ich mich dafür rasieren, und ohne das bisschen Bart sehe ich vier Tage lang aus wie ein gealterter Nacktfrosch.
Als ich mit zwanzig begann, Ihre Comics zu lesen, bedauerte ich es manchmal sehr, kein schwuler Mann zu sein. Ihr Leben erschien mir ungleich spassiger als meines.
Ich habe dafür gelegentlich bedauert, keine sexy Frau zu sein, denn so ein richtiger Heterostecher ist ja manchmal schon ziemlich lecker. Der ist für uns aber leider unerreichbar.
Gibt es auch Dinge, die Sie an Schwulen nerven?
Schwule haben kollektiv einen entsetzlichen Musikgeschmack. Die hören hier in den Kölner Kneipen ernsthaft Helene Fischer! Und manchmal nervt der Unterschied zwischen Sein und Schein. In der Lederszene machen erst mal alle auf ganz hart, aber am Nachmittag sieht man sie in den Cafés sitzen und tratschen und gackern. Das hat etwas sehr Komisches, für die Comics ein unerschöpflicher Quell des Humors. Aber wenn du denkst, du hast da gerade einen richtigen Kerl vor dir, und der fängt dann doch an rumzuschwuchteln … Auch da nutzt kein Viagra.
Haben Ihre Comics Sie eigentlich reich gemacht?
Nein, mit Comics ist es schwierig, heute erst recht, die Leute kleben ja mit der Nase nur noch am Smartphone. Ich muss ein Buch nach dem anderen zeichnen, um über die Runden zu kommen. In den Neunzigern, «Der bewegte Mann», «Kondom des Grauens» und so, da fluppte das eine Weile, aber ich habe das Geld sinnesfroh verplempert. Hey, ich war jung, dumm und geil! Ein wunderbarer Zustand.