Zeitgeist
Q&A: Expertinnen beantworten eure Fragen zum Thema KI
- Text: Sunnie J. Groeneveld, Afke Schouten
- Bild: Stocksy
Was kann KI besser als wir? Gibt es wirklich kein Entkommen? Und wie kann man KI im Alltag mit Kids nutzen? Die Digital-Expertinnen Sunnie J. Groeneveld und Afke Schouten beantworten Fragen aus der annabelle-Community.
«Was kann KI besser als wir?»
KI kann superschnell Muster in riesigen Datenmengen erkennen, viel besser als wir. Wenn sie einmal ein Muster gefunden hat, speichert sie es, und damit kann die KI blitzschnell Entscheidungen treffen. Stell dir vor, die KI durchforstet ein Haufen Rezepte und Essgewohnheiten und findet heraus, was in welcher Jahreszeit in unserer Gesellschaft gerne gegessen wird. Mit diesem Wissen kann sie einer Restaurantbesitzerin die perfekten Rezepte vorschlagen.
Aber, und das ist ein grosses Aber, bei ganz neuen Dingen, die die KI noch nie gesehen hat, steht sie auf dem Schlauch. Nehmen wir an, es gibt plötzlich ein neues Superfood, aber die KI hat davon noch nie gehört – dann kann sie dir das auch nicht empfehlen.
Auch beim Verstehen von Zusammenhängen oder bei richtig kniffligen Entscheidungen, wie wir Menschen sie treffen, hinkt die KI hinterher. Wenn du also ein grosses Familienessen planst und dabei auf alle möglichen Vorlieben, Unverträglichkeiten, Verfügbarkeit im Supermarkt, Anreisezeiten deiner Familie, welchen Ofen du hast, und deine persönlichen Präferenzen achten musst, ist die KI nicht so geschickt wie du. Denn die KI kann Dinge nicht in einen Zusammenhang bringen und hat auch nicht die Daten über all diese Aspekte zur Verfügung. (Afke Schouten)
«Man hört immer, KI betreffe uns alle, aber ich spüre das noch gar nicht wirklich. Geht KI uns wirklich alle an und wenn ja, warum?»
Ja, KI betrifft uns alle, auch wenn dies nicht immer unmittelbar spürbar ist. KI-Technologien durchdringen zunehmend unseren Alltag – von der Art, wie wir kommunizieren (z.B. Spracherkennung, automatische Übersetzung), über unsere Arbeit (Automatisierung, Entscheidungsunterstützungssysteme) bis hin zu unseren Konsumgewohnheiten (personalisierte Werbung, Empfehlungssysteme).
KI hat das Potenzial, unseren Lebensstandard zu verbessern, bringt aber auch Risiken mit sich wie Datenschutzprobleme, Arbeitsplatzschwund durch Automatisierung oder Fake News. Dies führt zu einer grosse Anzahl ethischer Fragen, die es gesellschaftlich noch zu verhandeln gilt. Es ist wichtig, dass wir alle uns, so gut wie möglich, mit KI auseinandersetzen, um die Zukunft mitzugestalten und eine Entwicklung zu fördern, die allen zugutekommt. (Sunnie J. Groeneveld)
«Inwiefern kann künstliche Intelligenz dazu beitragen, die Kreativität von Menschen zu fördern und innovative Ideen zu generieren?»
Innovative Ideen entstehen ja oft, wenn man Dinge miteinander verknüpft, die man bisher so nicht kombiniert hatte. Ein historisches Beispiel: Ursprünglich wurde Schokolade von den mesoamerikanischen Kulturen wie den Maya als bitteres Getränk konsumiert, oft gemischt mit Gewürzen wie Chili. Als Schokolade durch die spanischen Eroberer nach Europa kam, hatte jemand die damals innovative Idee, Schokolade mit Zucker zu süssen und später mit Milch zu vermischen, was ihren Konsum revolutionierte.
Generative KI-Applikationen wie ChatGPT, Dalle-E, Midjourney, Canva und viele andere können von uns als Sparring-Partner eingesetzt werden, um neue Kombinationen zu brainstormen. Schon nach Eingabe von ein paar losen Gedanken von uns können innert Sekundenschnelle Musikstücke, Texte, Videos oder Kunstwerke generiert werden, was ganz neue Chancen eröffnet.
Die Ideengenerierung im Dialog mit KI kann uns also inspirieren und auf neue, innovative Kombinationen bringen. Zudem kann KI repetitive oder zeitaufwendige Aufgaben übernehmen, was dem Menschen mehr Raum zum Experimentieren und zum kreativen Denken gibt. (Sunnie J. Groeneveld)
Afke Schouten«Wenn die KI voreingenommen ist, kann das unfair werden»
«Wie schütze ich meine Arbeit davor, dass sie ohne meine Zustimmung für KI Learning Tools genutzt wird?»
Nach wie vor gilt, dass man Urheberrechte und geistiges Eigentum schützen muss. Dazu gehört, Nutzungsbedingungen klar festzulegen, Identifikationsmerkmale wie Wasserzeichen einzusetzen, Patente zu registrieren und aktiv nach Rechtsverletzungen zu suchen, zum Beispiel durch Monitoring von KI-Trainingsdaten. Die Durchsetzbarkeit solcher Rechte in Fällen von Verstössen bleibt allerdings eine offene Frage.
2023 machte die Firma Getty Images Schlagzeilen mit einer Klage gegen Stability AI wegen unerlaubten Datenscrapings für das KI-Training. Dabei ist die Ausgangslage aktuell noch nicht entschieden. Aber es zeigt sich, dass offensichtliche Urheberrechtsverletzungen vorliegen, wenn KI geschütztes Material direkt und erkennbar nutzt. Viel schwieriger zu bewerten sind Fälle, in denen geschütztes Material in veränderter, unerkennbarer Form durch KI wiedergegeben wird. Hier warte ich gespannt auf das Urteil. (Sunnie J. Groeneveld)
«Inwiefern hat KI einen Bias?»
Stell dir vor, KI ist wie ein Spiegel, der nur das reflektiert, was ihm gezeigt wird. Wenn in diesem Spiegelbild Vorurteile, Klischees oder einseitige Sichtweisen stecken, dann übernimmt die KI diese, ohne zu hinterfragen. Das liegt daran, dass eine KI mit Daten trainiert wird – und diese Daten kommen von uns Menschen. Haben wir also bewusst oder unbewusst Vorurteile in die Daten eingebracht, lernt die KI genau diese.
Das Problem? KI-Entscheidungen finden überall statt, von der Auswahl der Bewerber:innen bei einem Job bis hin zu Empfehlungen, was du dir als Nächstes im Streaming anschauen solltest. Wenn die KI aber voreingenommen ist, kann das unfair werden. Stell dir vor, jemand bekommt wegen der Vorurteile in der KI-Datenbasis den Traumjob nicht oder wird immer wieder in eine Schublade gesteckt.
Wir arbeiten hart daran, KI fairer zu machen, indem wir vielfältigere Daten nutzen und die KI so programmieren, dass sie ihre eigenen Vorurteile erkennen und korrigieren kann. Aber es ist ein langer Weg, und wir alle – Entwickler:innen, Nutzer:innen, einfach jede:r – müssen aufpassen, dass wir der KI nicht unsere eigenen Vorurteile aufbürden. Denn am Ende soll die KI uns helfen, das Leben für alle ein bisschen besser und gerechter zu machen. (Afke Schouten)
«Welche KI nutzt ihr selber gern im Alltag? Und warum, was kann sie?»
Stell dir vor, du hättest einen Zauberstab, der all die langweiligen oder zeitaufwendigen Aufgaben für mich erledigt. Genau das ist für mich KI im Alltag! Ich nutze ChatGPT, um Texte zu schreiben, Bilder zu generieren, Zusammenfassungen zu erstellen, zu übersetzen, Ideen zu entwickeln und um mehr über verschiedene Themen zu erfahren. Ob es um beeindruckende Bilder für Präsentationen geht oder einfach nur um den Spass – ChatGPT ist mein Go-to-Tool. Ein Beispiel: Als ich Anfang dieses Jahres an der Grenze in Mexiko war, wo das Einwanderungsformular nur auf Spanisch verfügbar war, habe ich einfach ein Foto davon gemacht, und die KI hat mir geholfen, alles auszufüllen, ohne dass ich jeden Satz mühsam einzeln übersetzen und eintippen musste. Eine echte Lebensretterin in solchen Momenten! (Afke Schouten)
Ich nutze KI vor allem im Arbeitsalltag: In Software eingebettete KI hilft, das Protokoll eines Meetings zu erstellen oder Meetings zu planen. Sogar den Text auf einem Foto von einem Workshop, den ich geleitet habe, kann KI im Handumdrehen identifizieren und speichern. Auch bei Textvorschlägen für E-Mails lasse ich mir oft von ChatGPT Vorschläge machen. Das spart mir Zeit bei Dingen, die mir nicht viel Freude bereiten. Es ist, als hätte ich viele kleine Helfer an meiner Seite, die darauf spezialisiert sind, mir das Arbeitsleben leichter zu machen. (Sunnie J. Groeneveld)
Sunnie J. Groeneveld«Die Politik hinkt der schnellen Entwicklung der KI-Technologie hinterher»
«Wird KI wirklich bald richtig gute Musik machen?»
Ja, KI wird zunehmend besser darin, Musik zu komponieren, die emotional ansprechend und technisch komplex ist. Wer selbst einen Eindruck davon gewinnen will, besucht beispielsweise Udio.com, wo jede:r von uns dank KI zum:zur Komponist:in wird und beeindruckende Musikstücke in verschiedenen Stilen erzeugen kann. Die Herausforderung dieser KI-Modelle besteht darin, die subtilen Nuancen menschlicher Emotionalität einzufangen, aber die Fortschritte in diesem Bereich sind unglaublich. (Sunnie J. Groeneveld)
«Wie gut ist die Politik auf KI vorbereitet?»
Die Politik hinkt der schnellen Entwicklung der KI-Technologie hinterher. Obwohl einige Länder Rahmenbedingungen für ethische Richtlinien und Regulierungsvorschläge entwickelt haben, gibt es global gesehen eine grosse Varianz in der Vorbereitung und Umsetzung solcher Massnahmen. Wichtig ist, dass politische Entscheidungsträger:innen sich mit neuen Technologien auseinandersetzen, technologieaffin sind und das Potenzial und die Risiken von KI verstehen. Nur so haben Sie die Grundlage, um so zu handeln, dass sie Innovation fördern und gleichzeitig Missbrauchsrisiken und negative Auswirkungen minimieren. (Sunnie J. Groeneveld)
«Ich sehe häufig Berichte, die voraussagen, dass Jobs, in denen häufig Frauen unterwegs sind (der Klassiker … das Sekretariat), durch KI stärker betroffen sein werden. Wie seht ihr das? Und was würdet ihr empfehlen, wie kann ich meine Skills weiterentwickeln bspw. mit einem KV-Background?»
Das ist ein heisses Thema. Überall hören wir, dass die KI kommt, um uns die Jobs wegzuschnappen – vor allem in Bereichen, in denen traditionell viele Frauen arbeiten, wie im Sekretariat. Aber hier ist die gute Nachricht: KI ist nicht nur ein Jobräuber, sondern auch ein Türöffner zu neuen Möglichkeiten.
Ich merke selbst, wie die Nutzung von KI in meinem Alltag – sei es beim Texten mit ChatGPT, beim Planen von Meetings oder beim Erstellen von Präsentationen – die Anforderungen an mein Sekretariat verändert hat. Statt Routineaufgaben zu erledigen, bitte ich das Sekretariat nun um komplexere Aufgaben. Genau dort, wo die KI an ihre Grenzen stösst – beim Einordnen von Informationen im Kontext meiner persönlichen Vorlieben, beim Überprüfen, ob das, was die KI vorschlägt, wirklich das Beste für mich ist – da kommt das menschliche Geschick ins Spiel.
Ja, es stimmt, dass einige Jobs durch KI und Automatisierung verändert oder sogar ersetzt werden könnten. Aber das bedeutet auch, dass es eine riesige Chance für uns alle gibt, unsere Skills zu erweitern und uns in Bereichen weiterzubilden, die durch KI erst richtig spannend werden. KI ist kein Grund zur Panik. Es ist eine Einladung, zu wachsen und vielleicht sogar Wege einzuschlagen, die du dir vorher nie vorgestellt hättest.
Für jemanden mit einem kaufmännischen Hintergrund (KV) gibt es viele Wege, sich zukunftssicher zu machen. Hier ein paar Tipps:
1. Digital Skills ausbauen: Lerne alles über die digitalen Tools und Plattformen, die in deinem Bereich eingesetzt werden. Es gibt unzählige kostenlose Online-Kurse zu Themen wie Datenanalyse, digitales Marketing oder sogar Einführungen in die KI.
2. Soft Skills schärfen: Fähigkeiten wie kritisches Denken, Kreativität und zwischenmenschliche Kommunikation sind in der KI-Zukunft Gold wert. KI kann viel, aber menschliche Interaktion und Empathie nicht ersetzen.
3. Bleib neugierig: Die Welt der KI entwickelt sich rasant. Indem du am Ball bleibst und dich regelmässig über neue Trends informierst, kannst du frühzeitig erkennen, welche Chancen sich für dich ergeben könnten.
4. Netzwerke nutzen: Tritt Branchenverbänden bei, besuche Fachveranstaltungen und vernetze dich online. Oft ergeben sich aus diesen Netzwerken nicht nur neue Jobmöglichkeiten, sondern auch Ideen für Weiterbildungen. (Afke Schouten)
Afke Schouten«Mit KI zauberst du aus dem, was gerade da ist, ein leckeres Essen»
«Wie kann KI sinnvoll in einen Familienalltag mit zwei Kindern eingebracht werden?»
Stell dir vor, du stehst in der Küche, und der Blick in den Kühlschrank stellt deine Kochkünste auf eine harte Probe. Aber keine Panik, denn mit ChatGPT hast du einen kreativen Koch an deiner Seite. Sag ihm, was du da hast – vielleicht Tomaten, Nudeln und ein wenig Käse –, und schon liefert es ein einfaches Rezept für einen schnellen Nudelauflauf. So zauberst du aus dem, was gerade da ist, ein leckeres Essen, ohne schon wieder eine Pizza bestellen zu müssen.
Für diejenigen unter uns, die sich nicht unbedingt als die kreativsten Köpfe betrachten, kann ChatGPT zu einer wahren Partyretterin werden. Ihr wollt eine unvergessliche Geburtstagsparty für euer Kind organisieren, aber es fehlt an zündenden Ideen? Kein Problem, ChatGPT kann euch eine Superhelden-Party vorschlagen, mit einer Schatzsuche, die alle Kinder begeistern wird.
Und dann gibt es noch die Filmabende. ChatGPT kann fantastische Vorschläge machen, wenn ihr mal wieder nicht wisst, was ihr schauen sollt. Aber Achtung, ChatGPT weiss nicht, was ihr schon gesehen habt. Es ist also wichtig, dass ihr selbst einen kurzen Check macht, bevor ihr euch auf das Sofa fläzt. So stellt ihr sicher, dass der empfohlene spannende Animationsfilm nicht doch einer ist, den die Familie letztes Wochenende schon geschaut hat. (Afke Schouten)
Sunnie Groeneveld ist Studiengangsleiterin des Executive MBA Digital Leadership an der HWZ Hochschule für Wirtschaft in Zürich und wird per 1. August 2024 das Institute for Digital Business leiten. Sie ist zudem Managing Partner der Beratungsfirma Inspire 925, welche Unternehmen bei digitalen Transformations- und Innovationsfragen begleitet, sowie Verwaltungsrätin bei mehreren mittelgrossen Schweizer Unternehmen. Sie hat einen Abschluss in Economics von der Yale Universität in den USA. 2022 wurde ihr zudem ein Ehrendoktortitel des International Institute in Geneva verliehen.
Afke Schouten arbeitet seit Beginn ihrer Karriere im Bereich Künstliche Intelligenz. Sie ist die Gründerin von AI Bridge, einem Unternehmen, das sich der Mission verschrieben hat, Organisationen durch die AI-Transformation zu führen, um das Arbeitsleben aller zu erleichtern. Von der Handelszeitung als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten des Jahres 2024 ausgezeichnet, hat Afkes Fähigkeit, komplexe Ideen zu entmystifizieren, sie zu einer beliebten Trainerin und Rednerin in Bereich KI gemacht. Über ihre Branchenbeiträge hinaus prägt sie die zukünftigen KI-Führungskräfte durch ihre Rolle als MAS-Leiterin an der HWZ Zürich.