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The Puppet Show: Venus Palermo sieht aus wie eine Puppe

Leben

The Puppet Show: Venus Palermo sieht aus wie eine Puppe

  • Text: Denise Jeitziner; Fotos: Margaret Palermo

Venus Palermo sieht aus wie einem Spielzeugkatalog entsprungen. Doch das Püppchen aus Brugg lebt. Und lässt Japanerinnen träumen.

An Venus Palermo ist alles echt – abgesehen von den extragrossen Kontaktlinsen und den dichten Klimperwimpern. In einem Spielzeugkatalog würde sie dennoch nicht auffallen zwischen Zapf Baby, Götz und Baby Born. Sie sieht aus wie eine Figur aus einem Manga-Comic oder eine lebensgrosse Licca Chan, die in Japan so beliebt ist wie Barbie bei uns. Dort zücken die Menschen ihre Handys, um ein Foto der Schweizerin zu schiessen – wegen ihrer grossen Augen, ihrer hellen Porzellanhaut und ihrem Herzformgesicht. Das ist das japanische Schönheitsideal. Weil die meisten Frauen nicht so aussehen, helfen sie mit Unmengen Make-up nach. Selbst Fotoautomaten sind auf Schönheit eingestellt: Hinsetzen, lächeln, und ein paar Minuten später spuckt die Maschine ein verschönertes Ich auf Fotopapier aus: grössere Augen, schmalere Nase und aufgehellter Teint.

Venus Palermo braucht das alles nicht. «Ich sehe auch ungeschminkt wie eine Puppe aus», versichert sie und zieht ihr Kinn noch ein bisschen näher Richtung Brust. Wenn sie so von unten in die Webcam schaut, wirken ihre Augen und die Stirn noch grösser und ihr Erdbeermund noch kleiner.

«Hello dolly molly inky pinky cotton candy clouds!»

Die 16-Jährige ist eine der Living-Doll-Ikonen im Internet; junge Frauen, die sich so lieblich kleiden und kindlich schminken, dass sie kaum von echten Puppen zu unterscheiden sind. Venus Palermo heisst sie tatsächlich; sobald sie zur Puppe wird, ist sie Venus Angelic. Jede Woche lädt sie ein selbst gedrehtes Video von sich auf You Tube, um die 130 sind es bisher. Nach wenigen Tagen erreichen sie Zehntausende Klicks und Hunderte von Kommentaren; ihr Make-up-Tutorial «How to look like a doll» wurde über sieben Millionen Mal angeklickt. Mit «Hello, I love you», begrüsst sie darin ihre Fans. Sie trägt eine weisse Rüschchenbluse, herzt einen grossen Plüschhund mit rosa Schleife, klimpert mit ihren falschen Wimpern und schaut nach oben in die Webcam. «Hello dolly molly inky pinky cotton candy clouds!» Venus’ kindliche Stimme klingt wie Minnie Mouse mit osteuropäischem Akzent. Ihre Mutter ist Ungarin, aufgewachsen ist sie in Brugg im Kanton Aargau. Inzwischen leben die beiden in London, «weil wir», wie die Tochter sagt, «lieber in einer grossen Stadt wohnen als in einem kleinen Dörfli».

Welche Wirkung sie auf Asiaten hat, realisierte sie, als sie zum ersten Mal in Thailand und Japan in den Ferien war. «Bis dahin dachte ich, dass ich ein ganz normales Meitschi bin. Jetzt weiss ich, dass ich das asiatische Schönheitsideal verkörpere», sagt Venus Palermo in etwas holprigem Schweizerdeutsch. Englisch, Deutsch, Spanisch, Japanisch und ein wenig Französisch spricht sie auch. Im Skype-Interview sieht Venus genau so aus wie in ihren Videos: zartweisse Haut, geschminkte Augen mit falschen Wimpern, grosse Pupillen, Lipglossmund. Bloss kichern tut sie noch mehr. Besonders wenn sie nicht verstanden hat, was ihre Mutter ihr als Antwort eingeflüstert hat. Diese sitzt neben ihr, unsichtbar für die Webcam zwar, aber nicht minder präsent. «Das Make-up hat nur fünf Minuten gedauert», flüstert sie im Hintergrund, und Venus wiederholt es via Skype. Oder: «Ich will Anwältin werden, weil man da Macht und Geld hat.» Das Duo Palermo ist unzertrennlich, Konflikte gebe es nie. Wenn Venus im britischen Frühstücksfernsehen auftritt oder beim deutschen Privatsender, ist ihre Mutter immer dabei. Sie beantwortet ihre Mails, verhandelt mit den Medien. Das grosse Geld lasse sich trotz aller Klicks nicht verdienen. Es sei ein Hobby, viel Arbeit und Selbstverwirklichung: «Wenn Mädchen in meinem Alter sich genau so schminken wie ich mich und versuchen, meine Outfits zu kopieren, ist das Wow!»

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Mangas in Japan: Mehr als Comics

In Japan gibt es das Phänomen der Living Dolls schon länger. Dort wundert sich niemand über kindliche Frauen mit Rüschchenminis, farbigen Perücken und Schleifchen im Haar. Ageha Girls heissen die Frauen, Cosplay der japanische Verkleidungstrend. «Wie eine Puppe auszusehen, ist eine Art japanische Version von Gothic», erklärt Jessica Bauwens-Sugimoto vom International Manga Research Center an der Kyoto Seika University. Süss – kawaii – ist das schönste Kompliment, das man einer Japanerin derzeit machen kann. Niedlich wollen sie aussehen, wie die Figuren der Mangas, die eine viel grössere Bedeutung haben als die Comics bei uns. Vom kleinen Bub bis zur Oma lesen alle die japanischen Geschichten, die mehr Lebenshilfe sind als Unterhaltung: Von ihnen erfährt man, wie man kocht oder wie man Kinder erzieht; sogar Ärzte greifen auf Manga-Comics zurück, um den Patienten die nächsten Behandlungsschritte zu erklären.

Inzwischen ist das Phänomen der Living Dolls im Westen angekommen; die beiden Ukrainerinnen Valeria Lukyanova und Anastasia Sphagina gelten als erste Europäerinnen, die auf den Trend aufgesprungen sind. Auch sie haben eine riesige Fangemeinde im Netz, auch sie posten regelmässig Fotos und Filmchen und tingeln von Fernsehshow zu Fernsehshow. Jeden Morgen stehen sie in aller Früh auf, um sich ihre Lieblingsmangafigur ins Gesicht zu schminken. Bloss sehen sie noch mehr nach Photoshop aus als Venus Palermo: blonde beziehungsweise paprikarote lange Haare, grosse Brüste, Beine wie zwei Grissini und eine Taille, die man mit den Händen beinahe umschliessen könnte. Um so auszusehen, haben sie sich Rippen entfernen lassen. «Es ist ein sehr schmerzhafter und komplizierter Eingriff, da auf der Innenseite der Rippen lebenswichtige Organe wie Lunge, Herz, Milz und Leber liegen, die natürlich nicht verletzt werden dürfen», sagt Dietmar Löffler, Chefarzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie der Klinik Alta Aesthetica in Rheinfelden. Über 18 000 ästhetische Operationen hat er bislang durchgeführt, aber keine einzige Rippenresektion. Solche OPs biete er gar nicht an, weltweit seien sie absolute Ausnahmefälle und würden «eigentlich gegen ärztlichen Rat» vorgenommen.

Unschuldiger Dollylook in Hotpants?

Den Living Dolls ist das egal. «Es geht ihnen darum, sehr schlank zu sein mit üppigen Brüsten und einem total ebenmässigen Gesicht, damit möglichst wenig eigene Persönlichkeit sichtbar ist», sagt der Zürcher Psychologe Thomas Steiner, der in seiner Praxis auch Patienten betreut, die eine Schönheits-OP vor oder hinter sich haben. Mit der Verwandlung zur perfekten Puppe versuchten die jungen Frauen die Pubertät, die ihnen Angst macht, unter Kontrolle zu halten. Und weil niedliche Puppen als liebenswert gelten, erhofften sie sich insgeheim, ebenfalls von allen gemocht und bewundert zu werden. «Ich bin auch lieb und nett wie eine Puppe. Immer!», sagt Venus Palermo. Anders als viele andere Mädchen ihres Alters, die sie als frühreif empfindet. Wenn man sich Venus Palermos Videos anschaut, sieht das jedoch auch alles andere als unschuldig aus. In «Dolly Lolita Outfits» räkelt sie sich auf einem Klippan-Sofa, ihre Plüschtiere schauen ihr dabei zu. In einem anderen Video führt sie verschiedene Strumpfhosen unter Hotpants und knallroten Pumps vor. Mal hat sie ein Hundespielzeug im Mund, mal tanzt sie mit weisser Bluse und Rüschchenjupe in der Dusche. Davon, dass sie auch männliche Fantasien bedient, will sie partout nichts wissen. «Nein, nein, nein, nein, nein! Das ist ein Hirngespinst der Medien!» Sie habe Google Analytics und wisse genau, wer ihr zuschaue – 13- bis 17-jährige Mädchen, die meisten aus den USA und Japan. «Die mögen den Dollylook und die Reinheit.»

Auch Mutter Palermo sieht im Hobby ihrer Tochter nichts Anzügliches. Beim Stichwort Gummisusi klinkt sie sich ausnahmsweise lautstark ins Interview ein. «Verderben Sie nicht meine Tochter! Venus, das hast du nicht gehört!» Die Manga-Forscherin Jessica Bauwens-Sugimoto kann dies bestätigen. Was Frauen süss fänden, würden japanische Männer eher als unheimlich bezeichnen. Klar gebe es Männer, die auf das Unschuldige, Kindliche stehen, allerdings auf den natürlichen Look und nicht die künstliche puppenhafte Mode mit den vielen Make-up-Schichten. Die Botschaft der Puppenfrauen sei eher: «Ich bin sexuell nicht verfügbar.» Auch Venus will nichts von einem Freund wissen. Das sei ja, als ob man mit einem Vegetarier über Fleisch reden würde, fällt der Mutter als Erklärung ein. «Die Puppenfrauen haben bestimmt kein natürliches Verhältnis zur Sexualität», sagt Thomas Steiner.

Zwischen «j’adore cette demoiselle!» und «creepy»

Auch die Entwicklungspsychologin Insa Fooken, die die Bedeutung von Puppen erforscht hat, ist skeptisch: «Man kann nur schlecht eine Ferndiagnose stellen. Aber für eine 16-Jährige ist das schon sehr ungewöhnlich.» Dramatisieren will sie das Phänomen der Living Dolls dennoch nicht. Die ewige Jugend sei eine Urfantasie des Menschen, Formen des Exzesses habe es schon im Rokoko gegeben. «Solange die Frauen sich bewusst sind, dass sie bloss so tun, als ob sie eine Puppe wären, ist das nicht unbedingt ein Alarmsignal.» Vor der Ära Barbie sei das Gesicht einer Puppe das Wichtigste gewesen. Neu sei die Fixierung auf den Körper.

Deswegen hat sich die britische Feministin Natasha Walter in ihrem Buch «The Living Dolls» in Rage geschrieben. Das Schönheitsideal sei immer mehr durch Erotik definiert, schon bei Spielsachen und Kinderserien. Beim Disneycomic «W. I. T. C. H.» etwa verwandeln sich die Girls in Busenwunder mit Minijupe, sobald sie ihre Zauberkräfte einsetzen. «Wenn du aussiehst wie eine Puppe, ist es kein Wunder, dass die Männer dich nicht als Mensch sehen», schreibt Walter in ihrem Buch.

Knapp acht Minuten dauert Venus Palermos Video «How to look like a doll». Nach drei Schichten Feuchtigkeitscrème, zwei Schichten Concealer – am besten pink oder pfirsichfarben –, Puder, Lidschatten, Eyeliner, viel Mascara, falschen Wimpern, überdimensionierten Pupillen und Lipgloss ist aus dem Mädchen eine Puppe geworden. «Ta-daaaa!» Die User-Kommentare schwanken zwischen «J’adore cette petite demoiselle!» und «creepy». Venus Palermo lässt sich von der Kritik nicht beirren, die sie von allen Seiten einstecken muss. Sie bleibt entspannt und lieb. Wie eine Puppe halt.

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«Ich bin auch lieb und nett wie eine Puppe. Immer!»

2.

Valeria Lukyanova (r.) und Anastasia Sphagina, die europäischen Doll-Pionierinnen aus der Ukraine.

3.

Schminke, falsche Wimpern, extragrosse Kontaktlinsen, Rippenentfernung: Living Dolls, wie sie sich im Internet präsentieren.

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