Premiere: Regisseurtalent Bastian Kraft führt sein erstes Stück in Zürich auf
- Text: Martina Bortolani; Fotos: Benne Ochs
Kraftpaket: Der 32-jährige Bastian Kraft ist ein Riese von Mann und ein Riesentalent als Theaterregisseur. Am 3. November führt er im Schauspielhaus sein erstes Stück in der Schweiz auf: «Der Steppenwolf» von Hermann Hesse.
Menschen, die man bisher nur auf Bildern gesehen hat, stellt man sich oft grösser vor, als sie sind. Bei der Begegnung mit Bastian Kraft jedoch, dem 32-jährigen Regisseur und Shootingstar der jungen deutschen Theaterszene, denkt man als Erstes: Ist der gross!
Tatsächlich stehen da, vor dem Hintereingang des Hamburger Thalia-Theaters, 1 Meter und 97 Zentimeter Mann, verpackt in ein Jeanshemd, eine schmale Hose und hellbraune Schnürschuhe. Die Haare modisch zerzaust, die Augen auffällig grün. Er ginge auch als Männermodel durch.
Bastian Kraft stösst eine schwere, mit wilden Graffiti bemalte Industrietür auf. Im Hof des Theaters steht ein übergrosser grinsender Gartenzwerg als Schutzpatron der Schauspieler. «Kommt doch bitte rein in meine Welt!», sagt Kraft mit ungekünstelter Höflichkeit.
Die Thalia-Probebühnen im Hamburger Altona-Quartier sehen aus wie eine Mischung aus Roter Fabrik und Sowjetbunker. Es riecht nach Umkleidekabinen und Holz. Bastian Kraft gehört zum festen Regie-Ensemble des Theaters, er bewegt sich mit der Selbstsicherheit des Etablierten durch das Haus.
Vorbild mit Star-Status
Seinen Star-Status bemerkt man vor allem an den Blicken der jungen Schauspielstudentinnen, die an ihm vorbeihuschen und ehrfürchtig (und vielleicht ein wenig verliebt) zum grossen Bastian schielen.
Er selber gibt sich Mühe, diese Blicke zu ignorieren. «Ach was», sagt er, «ich bin doch kein Star! Dafür ist die Theaterwelt zum Glück viel zu klein.» Der junge Regisseur steckt in Hamburg gerade mitten in den Proben zu Heinrich von Kleists «Der zerbrochene Krug», dem Stück, das in wenigen Tagen Premiere hat. Zum ersten Mal auf der grossen Bühne! Das ist der Ritterschlag.
Das Thalia-Theater ist eine Institution in der Hansestadt. 1843 wurde es von Chéri Maurice (der eigentlich Charles Maurice Schwartzenberger hiess) gegründet, einem flamboyanten jüdischen Schauspieler. Er gab Akrobaten, Jongleuren und alternativen Artisten einen Platz für ihre schrägen und oft frivolen Stücke.
1934 wurde das Haus verstaatlicht, behielt aber bis heute seine subversive Experimentierfreudigkeit bei. Vor allem seit Joachim Lux, ehemaliger Chefdramaturg am Wiener Burgtheater und linker Querdenker, das Haus als Intendant übernommen hat, gilt das Thalia-Theater als Kaderschmiede für junge Talente. Bastian Kraft gehört hier ganz klar zu Lux’ Protégés.
Beim Festival «Radikal jung» des Münchner Volkstheaters gewann er vor zwei Jahren mit seiner Inszenierung von Franz Kafkas «Amerika» den Publikums- und den Kritikerpreis. Wie ein Besessener stürzt er sich auf die ganz grossen Werke: «Das Bildnis des Dorian Gray» von Oscar Wilde, «Orlando» von Virginia Wolf. Und er scheut auch die Auseinandersetzung mit brisanten zeitgenössischen Stoffen nicht, etwa «Axolotl Roadkill», dem umstrittenen Roman von Helene Hegemann.
Der Steppenwolf
Seit drei Jahren lebt Bastian Kraft in Zürich, wo er demnächst am Zürcher Schauspielhaus Hermann Hesses «Steppenwolf» uraufführen wird, eine Inszenierung, die man mit Spannung erwartet. Thomas Jonigk, Schriftsteller und Dramaturg am Schauspielhaus Zürich, geizt nicht mit Vorschusslorbeeren: «Bastian Kraft verfügt über eine mitreissende Energie: in seiner Arbeit mit den Schauspielern ebenso wie in seinen kreativen und ästhetischen Mitteln.»
Musste er den «Steppenwolf», diesen 1927 verfassten, von den 68ern verehrten und von der Bourgeoisie verpönten Literaturbestseller, eigentlich auch in der Schule pflichtlesen? «Erstaunlicherweise nicht», sagt Kraft. «Ein guter Freund meinte vor ein paar Jahren, diese Geschichte könnte mich reizen», die Suche der Hauptfigur Harry Haller nach dem Ich, die Zweifel, die Experimentierfreudigkeit, das Ringen zwischen bürgerlicher Trägheit und hippieesker Rebellion.
In Krafts Inszenierung wird Haller gleich von fünf verschiedenen Schauspielern besetzt. «Jeder von ihnen verkörpert ein anderes Ich des Protagonisten», sagt der Regisseur und schmunzelt, weil er bereits ahnt, was die Journalistin als Nächstes fragt. «Natürlich. Ich kenne diese Zerrissenheit auch von mir selbst.» Im Zürcher Kreis sechs, wo er wohnt, bündelt er «begeistert und in stoischer, fast spiesserhafter Gewissenhaftigkeit das Altpapier». Gleichzeitig liebe er die Anarchie in kreativen Städten wie Berlin oder Hamburg.
Als er die Probebühne betritt, zeigt er als Erstes seinen Platz am langen, patinierten Regietisch: Es ist der letzte Stuhl, ganz aussen rechts. Sitzen Regisseure nicht gern in der Mitte, flankiert von ihren Höflingen? «Ich sitze immer aussen, damit ich rasch auf die Bühne hüpfen kann», sagt er.
Kann er denn auch mal richtig auf den Tisch hauen, wenn ihm etwas nicht passt? Rumschreien sei gar nicht seine Art, sagt Kraft und schiebt einen Satz nach, der ein wenig einstudiert wirkt: «Autorität kommt über Inhalt.»
Er sieht das Theater nicht als demokratische Zone
Einer müsse die Verantwortung tragen. «Aber man arbeitet schliesslich mit den Egos der Schauspieler.» Da müsse man den richtigen Ton treffen. «Je selbstbewusster einer ist, desto lieber arbeite ich mit ihm zusammen.» Die Forschen seien auf der Bühne am präsentesten, am leidenschaftlichsten.
Nach seinem Studium für angewandte Theaterwissenschaften in Giessen stand Bastian Kraft selbst auf der Bühne, bevor er damit begann, Stücke zu inszenieren. Die Theaterakademie Giessen gilt als Thinktank des avancierten deutschen Theaters und Gründungsort des Rimini-Protokolls, einer performativen Theaterform, bei der oft Laiendarsteller miteinbezogen werden.
In der erfolgreichsten Produktion, «Deutschland 2», sprachen normale Bürger eine Debatte der Politiker im Berliner Bundestag nach. «Das ist Theater, das sich sehr stark an der Wirklichkeit orientiert», sagt Kraft. Auch er selbst sei viel eher Realist als Träumer.
Mittlerweile sind die Proben zu Ende. Bastian Kraft fragt, ob man ihn ins Thalia-Restaurant um die Ecke begleiten wolle. «Ich brauche jetzt eine ganz grosse Pizza», sagt er. Auf einer langen Betonbank sitzend erzählt er, wie gern er mitkäme nach Zürich.
Ohne dass er es ausspricht, wird klar, dass es nicht nur die Sehnsucht nach dieser «wunderbar kulturellen Stadt» ist, die ihn in die Schweiz zieht – sondern auch eine ganz bestimmte Person. Da können die jungen Schauspielstudentinnen wohl noch lange verliebt gucken.
Der Steppenwolf, nach Hermann Hesse. Regie: Bastian Kraft; Bühne: Simeon Meier; Kostüme: Inga Timm
Premiere: Samstag, 3. 11., 20.15 Uhr, Schiffbau-Box.
Vorverkauf: Tel. 044 258 77 77, www.schauspielhaus.ch
1.