Porträts zum Frauenfussball: Torschützenkönigin Fabienne Humm
- Text: Stephanie Hess
- Illustration: Alice Kolb
Bis zum EM-Anpfiff porträtieren wir drei Frauen über die vermeintlich nebensächlichste Nebensache der Welt: den Frauenfussball – und was ihn so besonders macht. Heute mit Fabienne Humm.
Fabienne Humm (35), die Torschützenkönigin
Es ist Montag, 16 Uhr. Als ich Fabienne Humm am Telefon erreiche, sitzt sie gerade im Auto, ist auf dem Weg ins Training – und kommt direkt von der Arbeit. Wie gewöhnlich. Was wiederum insofern ungewöhnlich ist, weil die allermeisten ihrer Nationalteamkolleginnen längst im Ausland in einer der grossen Ligen spielen, vom Fussball leben und Profis sind.
Fabienne Humm nicht. War sie nie. Wollte sie nie. Sie arbeitet noch immer im gleichen aargauischen Handelsbetrieb, in dem sie einst die KV-Lehre absolviert hat. Und zwar Vollzeit. Daneben schiesst sie Tore für den FCZ. Viele Tore. Aktuell (mal wieder) so viele wie keine andere Stürmerin in der obersten Schweizer Liga. 14 sind es bei Redaktionsschluss offiziell – und da war das letzte und wichtigste noch nicht einmal mitgezählt: ein Kopfball im Play-off-Final gegen Servette in der 111. Minute zum zwischenzeitlichen 2:2, was den späteren Titelgewinn des FCZ erst möglich machte.
Das definitive Kader, mit dem die Schweiz Ende Monat an die Europameisterschaft fahren wird, steht zwar noch nicht. Doch eigentlich kann sich niemand vorstellen, dass die beste Torschützin der heimischen Liga nicht mit nach England fahren wird. Es wäre Fabienne Humms drittes internationales Turnier. Und das letzte ihrer Karriere, daran lässt sie keinen Zweifel. Immerhin ist sie bereits 35 Jahre alt – «und irgendwann ist auch mal genug».
Den Vertrag mit dem FC Zürich, bei dem sie seit 2009 spielt, hat sie hingegen gerade um ein weiteres Jahr bis Sommer 2023 verlängert. Für ihren Stammclub kam sie bisher in 274 Spielen zum Einsatz, schoss dabei 228 (!) Tore, feierte acht Meistertitel, sieben Cupsiege und wurde drei Mal Torschützenkönigin.
Seit dem 13. Juli 2015 ist Humm auch Weltrekordhalterin. An jenem Tag schoss sie an der WM in Vancouver im Spiel gegen Ecuador drei Tore – und brauchte dafür keine fünf Minuten. #hummbelievable meinte die Internetgemeinde und liess diesen Hashtag viral gehen. Warum nur, fragt man sich, spielt eine Frau mit einem solchen Palmarès nicht im Ausland? Und vor allem: Warum arbeitet die überhaupt noch?
Fabienne Humm wurde diese Frage schon sehr oft gestellt. Denn Angebote, um im Ausland zu spielen, hatte sie viele. Humm gab und gibt stets dieselbe Antwort: Heimweh! «Ich habe Mühe damit, weg von zuhause zu sein», sagt sie, während sie im Hintergrund den Blinker ihres BMWs stellt, Typ Kompaktklasse. In ihrer Stimme klingt weder Scham noch Wehmut mit. «Es ist mein Weg. Und ich bereue nichts. Ausserdem finde ich beim FCZ sehr gute Bedingungen vor, um mich ständig weiterzuentwickeln.»
Fussball war schon als Kind ihre grosse Leidenschaft. Zunächst begleitete sie nur ihren vier Jahre älteren Bruder an dessen Spiele mit dem FC Windisch. «Er ist noch heute mein grösster Fan», sagt Humm. Als sie alt genug war, durfte sie dann selber in eine Juniorenmannschaft – als Torhüterin. Sie war das einzige Mädchen im Team, doch das störte sie nicht: «Mit 14 machten sich die Gegner manchmal lustig über mich. Aber nach dem Spiel, wenn sie dann meist verloren hatten, war das kein Thema mehr.»
Sie rate jedem Mädchen, so lang wie möglich mit den Jungs zu spielen, sagt sie. «Das Niveau ist besser und man lernt, sich zu wehren, sich durchzuboxen.» Für Mädchen mit dem Selbstbewusstsein und dem Talent einer Fabienne Humm mag dieser Weg noch heute stimmen. Doch in der Breite profitiert der Frauenfussball, wenn fussballinteressierte Mädchen untereinander die ersten Bälle spielen können.
«Ich weiss nicht, ob ich noch die gleiche Freude am Fussball hätte, wenn ich ihn als Beruf betreiben würde.»
Die weniger Ambitionierten, das haben Studien gezeigt, gehen dem Sport sonst (zu) früh verloren. Doch Humm war schon immer sehr diszipliniert. Und ehrgeizig. «Noch heute bin ich oft die Erste auf dem Tainingsgelände», sagt sie. Vier Mal pro Woche trainiert sie mit dem Team und einmal individuell. Nicht des Geldes wegen, wie sie betont. «Nur vom Fussball kann ich nicht leben.» Im Gegenteil: Weil sie für sämtliche Zusammenzüge mit den Nationalteam jeweils unbezahlten Urlaub nehmen muss, sammelt sie in ihrem Betrieb kräftig Minusstunden; im Schnitt etwa fünf Arbeitstage pro Monat, die sie irgendwann abbauen muss. Letztmals Ferien hat Fabienne Humm 2019 gemacht: «Aber keine Sorge, ich erhole mich schon!»
Das Fussballspielen, so meint sie, sei einfach ihre grosse Leidenschaft. «Ich liebe es!» Und paradoxerweise war es just diese Liebe zum Spiel, die sie auch von einer Profikarriere abgehalten hat: «Ich weiss nicht, ob ich noch die gleiche Freude am Fussball hätte, wenn ich ihn als Beruf betreiben würde.»