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Porträts zum Frauenfussball: Frauenfussballförderin Tatjana Haenni

Porträts zum Frauenfussball: Frauenfussballförderin Tatjana Haenni

Zum EM-Anpfiff porträtieren wir drei Frauen über die vermeintlich nebensächlichste Nebensache der Welt: den Frauenfussball – und was ihn so besonders macht. Heute mit Tatjana Haenni.

Tatjana Haenni (55), die Frauenfussballförderin

Sie begann, Fussball zu spielen zu einer Zeit, als der Frauenfussball in der Schweiz noch eine echte Rarität war: 1979. Damals gab es in Bern, wo sie aufgewachsen ist, ein einziges Team. Fünf Jahre später, mit 18, wurde sie Nationalspielerin und bestritt 23 Länderspiele, später Trainerin und Funktionärin, arbeitete von 1999 bis 2017 bei der Fifa und war dort unter anderem für die Organisation der Frauenfussball-WM-Endrunden verantwortlich, sie war ehrenamtliche Präsidentin der FCZ Frauen und ist nun – als erste Frau überhaupt – in der Geschäftsleitung des Schweizerischen Fussballverbands (SFV).

Wenn Tatjana Haenni also von sich sagt: «Aufgrund meiner Erfahrung reicht mir in Sachen Frauenfussball so schnell niemand das Wasser», dann ist das nicht überheblich, sondern schlicht die Wahrheit. Genauso, wie wenn sie sagt: «Die Fussballkultur ist bis heute – like it or not: eine Männerkultur.» In den Stadien, in den Vereinen, im Sportjournalismus – und vor allem in den Internet-Kommentarspalten: «95 Prozent Männer, die zu 85 Prozent unqualifizierte, abwertende oder sexistische Kommentare hinterlassen.» Etwa: Frauen sollen nicht Fussball spielen. Weil sie es nicht können. Oder weil es keinen interessiert.

Kümmern solche Sätze Tatjana Haenni? «Nein!», sagt sie – «I don’t care!» Denn ihr Universum sei der Frauenfussball. «Und das ist eine komplett andere Welt!» Just für dieses Verständnis kämpft die 55-Jährige. Es ist ihr grosses Credo. In ihrem Engagement, das sie sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, geht es nicht einfach darum, die Frauen in die bestehenden (männlichen) Strukturen einzubinden, sondern darum, eigene Strukturen aufzubauen – «und zwar von ganz unten bis ganz oben».

Ihr geht es darum, dass ein 15-jähriges, fussballbegeistertes Mädchen eines Tages die gleichen Bedingungen vorfindet wie ein 15-jähriger fussballbegeisterter Junge. «Denn es gibt schlicht keinen Grund, warum das nicht so sein sollte.» Talentförderung, sagt Haenni, sollte geschlechtsneutral sein.

Die Region Zürich, im Frauenfussball seit Jahren führend, ist für sie ein gutes Beispiel. Noch vor zehn Jahren hätten die Clubs dort gesagt: Die Mädchen könnten ja einfach kommen und mit den Jungs spielen. «Doch wenn du etwas aufbauen und wirklich etwas Eigenes gedeihen lassen möchtest, dann geht das so nicht.» Der Regionalverband und viele Klubs seien dann auf die Mädchen proaktiv zugegangen, haben eigene Turniere nur für sie organisiert. Und dann seien bereits im ersten Jahr an die zwanzig Juniorinnenteams entstanden. «Wenn man ein spezifisches Angebot schafft, dann kommen die Mädchen. Aber man muss sie auch wirklich wollen!»

Als Direktorin Frauenfussball beim SFV ist Haenni auch für die Leistungsspitze zuständig. Auch dort gehe es nicht darum, einfach das Männermodell zu kopieren. So seien im Frauennationalteam zwar ebenfalls fast alle im Ausland tätig und mit Profiverträgen ausgestattet. Eine Familie lasse sich damit nicht finanzieren, aber arbeiten müssten die meisten eigentlich nicht mehr. Aber sie tun es. Oder sie studieren. Freiwillig.

Haenni befürwortet das: «Fussballerinnen sind meist jung und haben im Gegensatz zu den Männerprofis noch keine Familie. Da ist es gut, machen sie was Sinnvolles in ihrer Freizeit, statt wie die Männer nur noch in ihren teuren Villen zu hocken und Fifa zu gamen.»

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«Was gewisse Fussballer verdienen, ist absurd»

In der Schweiz sieht die Realität ohnehin anders aus. «Ich kenne zwar nicht alle Verträge», sagt Haenni, «aber ich habe noch nie einen gesehen mit einem Verdienst über 4000 Franken pro Monat.» Findet sie das ungerecht? Haenni hält für einen Moment inne. Dann sagt sie. «In der Schweiz wird das grosse Geld im Männer-Fussball, -Eishockey und im Skisport verteilt. Viele andere Spitzensportler:innen verdienen kaum genug, um eine Familie zu ernähren. Insofern stehen wir Frauen nicht nur im Schatten des Männerfussballs, wir profitieren auch von ihm und von seinem wirtschaftlichen Erfolg.»

Tatjana Haennis Wunschziel lautet deshalb nicht Lohngleichheit – «sorry, aber was gewisse Fussballer verdienen, ist absurd!» –, sondern Fairness: «Gut und richtig wärs, wenn eine Profispielerin dereinst genug verdienen würde, um ein eigenständiges Leben zu führen, ohne sich dafür überfordern zu müssen mit Fussball, Job und allenfalls noch Familie.»

Und natürlich ist ihr nicht entgangen, dass dafür nicht nur ein sportlicher, sondern ein gesellschaftlicher Kulturwandel nötig wäre. «Warum war der Frauenfussball in den skandinavischen Ländern lange Zeit führend?», fragt sie. «Und warum kommen von dort so viele gute Frauentrainer:innen? Weil sie eine andere Denkweise mitbringen und ganz anders mit Frauen und ihren spezifischen Bedürfnissen umgehen. Da sind wir in der Schweiz noch einiges davon entfernt.»

Ist zum Beispiel je ein Männerfussballclub auf die Idee gekommen, Tatjana Haenni zu engagieren? «Oh, nein», sagt sie – und lacht: «Da hat man offenbar noch immer einen Besseren gefunden.» Oder es einer Frau einfach nicht zugetraut.

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