Pop-up: Hexe Wicca
- Text: Julia Hofer
Im Mittelalter wäre sie auf dem Scheiterhaufen gelandet. Heute ist Nicole Meier-Spring das Idol junger Mädchen.
Alice Schwarzer, die als «Hexe vom Dienst» verunglimpft wurde: Das war einmal. Heute taugt der Begriff Hexe nicht mehr zum Schimpfwort. Längst hat sich die Vorstellung durchgesetzt, die historischen Hexen seien weise Frauen gewesen und von den herrschenden Männern zu Unrecht verfolgt worden. Hexenverbrennungen sind zum Inbegriff der Frauenunterdrückung geworden.
Die bekannteste lebende Hexe der Schweiz, Nicole Meier-Spring (43), ist geweihte Hohepriesterin von Avalon. Als Kind sei sie jeden Abend von einem Hausgeist am Bett besucht worden, erzählt sie, heute kann sie angeblich Gespenster vertreiben und mit Raben und Eulen reden. Lieber aber spricht sie davon, dass sie – ganz profan – das erste Hexenmuseum im deutschsprachigen Raum eröffnet hat. Es steht im Aargau und wird vom regionalen Tourismusverband kräftig beworben. Ausgestellt ist dort etwa ein Kinderschuh, der vor vielen Jahren in einen Kamin eingemauert worden war, um bösen Zauber abzuhalten. Im Museumsshop findet man Pentagramme und Räuchermischungen für zuhause. Wer sich gar selbst zur Hexe berufen fühlt, kann einen Jahreskurs buchen.
«Alles ganz normale Leute», beschreibt Nicole Meier-Spring ihre Kursteilnehmer. Auch sie selbst macht einen bodenständigen Eindruck. Sie trägt schwarze schlichte Kleidung, eine unaufgeregte Frisur und dezenten Amulettschmuck. Sie ist die Tochter eines Bankangestellten und der Sicherheitschefin eines grossen Warenhauses. «Ich bin immer offen gegenüber fremden Kulturen und Religionen gewesen.» Als Kind war sie mit ihren Eltern oft auf Reisen. Mit zwölf Jahren las sie die ersten Bücher über Hexerei. Später lernte die ausgebildete Kauffrau Karten- und Handlesen. Sie studierte die Wirkung von Heilpflanzen, entdeckte die Naturreligion Wicca für sich und nannte sich fortan selbst so. So wurde sie zur Hexe.
Ausser einer alten Nachbarin («Hexe? Sie sind doch nicht böse!») irritierte es niemanden, dass Nicole Meier-Spring jetzt Wicca war. Die Dorfbewohner feierten ausgelassene Rituale mit ihr. Der Buschauffeur weist den Besuchern freundlich den Weg. Männer machen Sprüche («Sind Sie mit dem Auto oder dem Besen gekommen?»). Frauen wollen sofort eine Lebensberatung. Sogar Sektenkritiker Hugo Stamm hat nichts gegen die Wicca-Religion einzuwenden.
Nicht einmal die kleinen Kinder haben heute noch Angst vor Frauen wie Wicca. «Sie ist eine liebe Hexe», versichert das Nachbarsmädchen. Wie die Romanheldin aus Otfried Preusslers berühmtem Kinderbuch «Die kleine Hexe». Oder ihre Nachfolgerinnen Bibi Blocksberg, Zilly oder die «zauberhaften Hexen» aus der US-Fernsehserie «Charmed».
Vor allem junge Frauen lassen sich vom Charme der Hexen verzaubern. Wicca erhält jede Woche rund zwanzig E-Mails von Mädchen, die Hexen werden wollen. «Diese Mädchen befinden sich in der schwierigsten Zeit ihres Lebens», sagt sie. «Sie müssen zu sich selbst finden, werden von Hormonschüben geplagt, tun sich schwer mit den Eltern und der Liebe. Sie haben das Gefühl, nicht von dieser Welt zu sein. Und fühlen sich angezogen von allem, was übersinnlich ist – weil es auch nicht von dieser Welt ist.»
Wicca mailt geduldig zurück: Sie sei der Ansicht, man sollte mindestens 14 Jahre alt sein, wenn man sich auf den «alten Pfad» mache. Sie sei kein Guru. Jede Hexe müsse sich ihre Philosophie selber brauen, gemäss der Maxime der Wicca-Lehre: «Tue, was du willst, aber schade niemandem, denn was immer du machst, kommt dreifach zurück.»
Wenden sich verzweifelte Eltern an sie, redet sie ihnen in bester Psychologenmanier die Schuldgefühle aus («Sie haben nichts falsch gemacht»). Und rät ihnen, sich für das Treiben der Tochter zu interessieren, statt Verbote auszusprechen («Dann wird sie es heimlich tun»). Tja, früher haben die Eltern den Kindern mit der Hexe gedroht – heute sind sie die Einzigen, die sich noch vor ihr fürchten.