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Pop-up: Aniya Seki

Leben

Pop-up: Aniya Seki

  • Text: Julia HoferFoto: Cehphotographer.com

Die Berner Profiboxerin will Weltmeisterin im Fliegengewicht werden. Warum das klappen wird.

Aniya Seki erscheint in einer kurzen Jeanslatzhose und Flipflops zum Interview. Auf der Stirn hat sie eine grosse Beule, über beiden Augenbrauen prangt ein Riss, der eine frisch genäht. Aniya Seki, 32 Jahre alt, Tochter eines Japaners und einer Schweizerin, hat einen sanften Händedruck und ein süsses Lächeln. Trotzdem spürt man sofort, dass diese Frau unglaublich stark ist. Sie überlegt, bevor sie etwas sagt, und spricht langsam wie eine echte Bernerin, doch wenn sie eine rechte Gerade demonstriert und die Hand dabei so schnell zurückzieht, dass die Augen kaum folgen können, denkt man unweigerlich an die japanische Weisheit: Wasser ist härter als Stein.

Als Boxerin hat sie eine beeindruckende Bilanz: Von 29 Kämpfen gewann sie 27. Den Titel der Schweizer Meisterin hat sie nur deswegen nicht, weil sie in ihrer Gewichtsklasse, dem Fliegengewicht, hierzulande die einzige Profiboxerin ist. Aber was interessiert sie diese Auszeichnung schon: Aniya Seki will Weltmeisterin werden.

Ihre Mutter schickte sie bereits im Kindergarten in den Karatekurs, weil sie das Selbstbewusstsein des damals noch introvertierten Mädchens stärken wollte. Als Aniya Seki vor fünf Jahren, unterdessen längst eine erfahrene Karatekämpferin, im Fernsehen einen Bericht über den legendären Berner Boxtrainer Bruno Arati sah, wusste sie sofort: Das ist mein Trainer. Wie so oft in ihrem Leben traf sie einen intuitiven Entscheid – einen, mit dem sie richtig lag. Tatsächlich sah sie Arati kurz darauf beim Warenhaus Loeb und sprach ihn an. Der Trainer lud sie zu einem Probetraining ein. Einen Monat später hatte sie ihren ersten Boxkampf. Sie siegte.

Am Morgen ist Aniya Seki immer die Erste im Boxkeller und putzt. Am Vormittag und am Nachmittag trainiert sie, am Abend unterrichtet sie Schüler im Boxen. Sie ist so die rechte Hand des Chefs geworden, sie selber sagt sogar: «Für ihn bin ich so etwas wie eine Tochter.» Die Beziehung zwischen dem alten schnauzbärtigen Italiener, einem wortkargen Mürgel, wie man in Bern sagt, und der jungen Boxerin ist eng und existenziell wie im Film – es kommt nicht von ungefähr, dass Aniya auch Million Dollar Baby genannt wird. Sie mag seinen Humor. Und: «Er ist der erste Mensch, der Nein zu mir sagt», fährt Aniya Seki fort, die allein mit ihrer Mutter aufwuchs. «Nein ist sozusagen sein Lieblingswort.»

Bruno Arati gestattet ihr nur eine anstatt drei Stunden Training, damit der Trainingseffekt nicht verpufft, er ist wütend, wenn sie zu viel Schokolade isst, er verbietet ihr das Velofahren, weil es zu gefährlich sei. Er will nicht, dass sie gegen Sparringpartner kämpft, wegen der Verletzungsgefahr. Sogar den Boxfilm «Million Dollar Baby» setzte er auf den Index, weil sich die Filmboxheldin im Kampf den Halswirbel bricht und schliesslich stirbt. Wenn sein Schützling nicht dabei ist, sagt Arati schon mal, seine Aniya sei ein «Juwel». Doch kaum biegt sie um die Ecke, beantwortet er die Frage, ob sie Weltmeisterin werde, nur noch mit einem breiten Grinsen und den Worten: «Sie muss, sonst verhaue ich sie.»

Natürlich sei Boxen nichts anderes als harte Schläge austeilen, sagt Seki. Mit Gewalt habe es trotzdem wenig zu tun. Es sei ein Sport nach genauen Regeln. Und eine Lebensschule: Steh auf, wenn du zu Boden gehst. Nur einmal hatte sie Mitleid mit einer Gegnerin, die nach 30 Sekunden k. o. zu Boden ging: «Sie war viel schwächer als ich.»

Früher habe sie sich ständig mit andern Frauen verglichen, erzählt sie. Sogar ihren Job als Verkäuferin in einer Berner Edelboutique gab sie auf, weil sie es nicht ertrug, dass eine Kollegin ähnlich viel Umsatz machte wie sie. Mit solchem Unsinn hat sie inzwischen Schluss gemacht. «Heute messe ich mich nur noch im Ring.»

Schon bald wird der grosse Tag kommen. Wie vor jedem Kampf wird sie am Morgen früh aufstehen, mit ihrem Hund Rocky spazieren gehen, sich um 10 Uhr vom Coiffeur einen Kopf voller Zöpfchen flechten lassen, den Superkräfte verleihenden Boxdress anziehen, einen schwarzen Boxjupe und ein schwarzes Top.

Sie weiss, sie wird gewinnen. Und warum ist Aniya Seki so stark? «Weil ich es für mich mache. Für niemanden sonst.»

Aniya Seki boxt am 20. August im Kursaal Bern um den Weltmeistertitel im Fliegengewicht