Manierlich zwischen Badetüchlein und Glacestand: Der Badi-Knigge von Stil-Experte Philipp Tingler.
Um im Mikrokosmos Schwimmbad eine gute Figur zu machen, sollte man mit den Kleidern nicht gleich noch sämtliche Manieren ablegen. Unser Autor Philipp Tingler weiss, wie man seine Sonnenseiten am besten zur Geltung bringt.
1. Die Grundregel: Distanz geht über alles
In einer Badi werden wie in einer Alphütte oder Zivilschutzanlage viele Dinge gemeinsam genutzt. Oberstes Gebot ist daher die Rücksichtnahme. Das heisst: Respektieren Sie den Raum Ihrer Mitmenschen. Sowohl physisch, indem Sie nicht klitschnass oder mit tropfender Glace über anderer Leute Badetücher hüpfen oder unkoordiniert mit Bällen oder Frisbees um sich werfen. Wie auch psychisch. Was vor allem heisst: Seien Sie leise. Ich weiss, das hört sich an wie eine Benimmregel aus den Fünfzigerjahren, ist aber heute, wo die Krachmachermöglichkeiten endlos geworden sind, wichtiger denn je. Lassen Sie Ihr Mobiltelefon deshalb zuhause oder sonst wo (das nennt man digitales Fasten), und führen Sie Face-to-Face-Gespräche in gedämpftem Ton. Denken Sie daran: Ihre Fortschritte bei Ihren orthopädischen Schwimmstunden oder im Hormon-Yoga interessieren schon kaum Ihre mitgebrachte Freundin. Und schon gar nicht das gesamte Sonnendeck, das zwangsweise zuhören muss. Auch tabu: schnarchen. Besinnen Sie sich auf eine klassische Badibeschäftigung, die zudem völlig geräuschlos ist: lesen.
2. Nicht zu viel Fleisch
Die Badekleidung ist der Weisse Hai der Garderobe: Wer unvorsichtig mit ihr umgeht, riskiert ein Inferno. Die allgemeine Maxime hierzu lautet: «Man soll das Fleisch nicht ins Fenster hängen, wenn es nicht zu verkaufen ist.» Die Geschmacksentwicklung breiter Bevölkerungskreise («breit» ist hier leider oft im physischen Sinn zu verstehen) scheint hingegen in eine andere Richtung zu gehen. Ein missverstandener, pseudo-emanzipativer Begriff von Natürlichkeit führt dazu, dass die Strände und Badeanstalten von Antibes bis Zürich von einer Welle von Problemzonen überrollt werden. Dabei sind die Grundsätze für die richtige Badekleidung so einfach wie erfrischend. Hier die drei wichtigsten Regeln:
a) Die Bademodefarbe muss zur Hautfarbe passen. Je dunkler die Haut, desto heller darf das Badekleid sein. Dunkle Badesachen gehen immer und sind jenseits der vierzig Pflicht.
b) Je mehr Jahre und/oder Kilos sein Träger auf dem Buckel (und sonst wo) hat, desto mehr Stoff sollte das Badekleid haben.
c) Sowohl hinsichtlich der Farbe wie der Stoffmenge sollte man zwei simple physikalische Gesetzmässigkeiten nicht aus den Augen verlieren: 1. Je mehr Material, desto langsamer der Trocknungsvorgang. 2. Je heller das Badekostüm, desto durchsichtiger wird es nach dem Kontakt mit Wasser.
3. Dezenz ist immer richtig
Die beiden wichtigsten geschlechtsspezifischen Badi-Dresscode-Regeln lauten:
a) Für Herren: Enge Badehosen mit hohen Beinausschnitten tragen nur Turmspringer, Homos oder Hair-Metal-Rocker (und nur Turmspringer dürfen sie tragen).
b) Für Damen: Der Umstand, dass oben ohne erlaubt ist, heisst nicht, dass jede sonnengegerbte Seniorin damit zur Abnahme ihres Bikini-Oberteils aufgefordert wird, unter dem ihre welken
Brüste aufgerollt sind wie eine Thora. Jenseits der vierzig kann sowieso eigentlich nur noch Jennifer Aston Bikini tragen. Okay, und Goldie Hawn. Apropos: Grundsätzlich sollten Sie in der Badi so wenig Juwelen wie möglich anlegen.
4. Haltung ist die halbe Figur
Die angemessene Badekleidung ist das eine. Das andere, fast noch Wichtigere, ist: Präsentation. Das bedeutet zunächst: Haltung. Zeigen Sie Grazie. Wenn Sie im Wasser sind: Pflügen Sie nicht prustend und fauchend durch den Anprall der Wogen. Wenn Sie an Land gehen: Lassen Sie sich nicht, tropfend und ächzend, wie erschossen auf ihr Tuch fallen. Wenn Sie an Land sind: Vermeiden Sie ungünstige Positionen. Man täuscht nicht wochenlang die Öffentlichkeit mit einem eingezogenen Bauch, um sich dann ein einziges Mal hinzusetzen und: alles aus!
5. Halten Sie sich in Schuss
Präsentation betrifft auch den Zustand Ihres Körpers. Halten Sie sich präsentabel. Falls Sie eine Dame sind und Frida Kahlos Neigung zu Körperbehaarung teilen, epilieren oder depilieren Sie, was das Zeug hält. Enthaarte Männer sehen hingegen nur ganz selten gut aus, es sei denn, wir sprechen über Rückenhaare, die sind bei jedermann unbedingt zu entfernen. Rasierte Achseln bei Männern sind affig. Zehennägel wie aus «Jurassic Park» sind immer unschön. Intensive Sonnenbräune, echt oder falsch, muss zum Typ passen, sonst sehen Sie aus wie Flavio Briatore, was unangenehm ist, insbesondere wenn Sie eine Frau sind.
6. Smalltalk ist erlaubt
Grundsätzlich ist Smalltalk mit alten oder neuen Bekanntschaften in der Badi durchaus erstrebenswert – mit Takt, Witz und Fingerspitzengefühl dafür, ob der andere eine Unterhaltung wünscht oder nicht, sodass aus einem spontanen Austausch Kurzweil, Anregung und Gewinn erwachsen können. Die zeitlose Liste von Smalltalk-Tabuthemen gilt auch hier: Politik, Religion, Einkommen, Körperfunktionen, Sex. Hingegen ist es heute nicht mehr verdächtig, dass sich Männer in der Badi Komplimente über ihre Körperform machen und ihr Körpergewicht vergleichen (Letzteres ist für den Smalltalk unter Damen nach wie vor tabu).
7. Kenne deinen Nachbarn
Gerade in Bezug auf den Smalltalk, aber auch sonst nicht unwichtig: Verschaffen Sie sich einen Überblick über die wichtigsten Typen der Gesellschaft in der Badi und deren Interaktionsverhalten. Die Besucher lassen sich in der Regel einer der folgenden vier Kategorien zuordnen:
a) Stammgäste: sehnig und sonnengegerbt, stets auf demselben Platz, reklamieren für sich gern Vorrechte, wofür kein Grund besteht.
b) Mittagspausen- und Feierabendpublikum: diverse Phänotypen, vor allem an einer kurzen Abkühlung interessiert, sozial unauffällig.
c) Poseure: Der klassische Strandkraftprotz stirbt leider aus und wird zunehmend ersetzt durch anämische Bartträger in Begleitung von jungen Damen aus der sozialen Kategorie der MAWs (= Models, Actresses, Whatever). Die Gruppe ist tendenziell vorwiegend mit sich selbst beschäftigt. Gleiches gilt für die Kohorte der hormongespritzten homosexuellen Partyqueens mit wenig eigenem Testosteron, die oftmals die selbst gewählte Segregation bevorzugen.
d) Kinder: Das sind alle unter 12. Die Grundregel von «Debrett’s Guide to Etiquette» in Bezug auf Kinder lautet: «Kinder können, obschon sie für Eltern die reinste Freude sind, für andere Leute eine extreme Geduldsprobe darstellen. Eltern müssen ihren Nachwuchs in Ordnung halten. Dazu gehört, Kinder von der Produktion von Lärm und Unordnung sowie von vorlautem, dominantem und unhöflichem Benehmen gegenüber Erwachsenen und anderen Kindern abzuhalten. Sowie ganz allgemein zu verhindern, dass Kinder ihrer Umgebung das Leben zur Hölle zu machen.» Klingt selbstverständlich. Und gilt auch in der Badi. Ebenso wie das schöne Wort Goethes: «Man könnt erzogene Kinder gebären, wenn nur die Eltern erzogen wären.»
8. Das Letzte Gebot
Stammt aus «Tiffany’s Table Manners for Teenagers» und lautet: Jetzt wo Sie die Regeln kennen, können Sie damit beginnen, Sie zu brechen.
Philipp Tingler ist Schriftsteller und lebt in Zürich. Kürzlich erschien bei Kein & Aber sein Benimmbrevier «Leichter reisen», ein Kompendium des guten Tons und der guten Tricks für unterwegs. Eine ideale Badilektüre.