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Politikwissenschaftlerin Silja Häusermann: Was das Ja zur AHV-Rente für Frauen bedeutet

Politik

Politikwissenschaftlerin Silja Häusermann: Was das Ja zur AHV-Rente für Frauen bedeutet

Mit 58,2 Prozent Ja-Stimmen wurde die 13. AHV-Rente angenommen. Was bedeutet das für Frauen – und wie geht es jetzt weiter? Politikwissenschaftlerin Silja Häusermann beantwortet die wichtigsten Fragen.

annabelle: Haben Sie mit dem Ergebnis gerechnet?
Silja Häusermann: Sowohl alle Vor-Umfragen als auch das allgemeine Stimmungsbild und der sehr heftige Abstimmungskampf haben darauf hingedeutet, dass es eher zu einer Annahme kommen wird. Dass die Annahme so stark und so durchgehend ist, überraschte mich allerdings in der Deutlichkeit.

Was meinen Sie mit «durchgehend»?
Es gibt keine klaren Gräben zwischen Gegner:innen und Befürworter:innen. In fast allen sozialen Gruppen hat die Initiative sehr hohe Ja-Anteile oder Mehrheiten erreicht. Es gibt keinen Stadt-Land-Graben, keinen Geschlechtergraben, keinen Deutschschweiz-Romandie-Graben. Am ehesten gibt es Unterschiede beim Alter und Einkommen; aber auch dort haben nach ersten Auswertungen nur etwa die einkommensstärksten 10 bis 15 Prozent der Haushalte mehrheitlich Nein gesagt. Sogar bei den Jungen unter 35 scheinen etwa 40 Prozent dafür gestimmt zu haben. Dass die Zustimmung in der breiten Bevölkerung schlussendlich so stark war, liegt an der Argumentation der Kompensation des Kaufkraftverlustes. Und an der viel zitierten «Giesskanne» , also dass die 13. AHV-Rente allen zugutekommt – allen jetzigen Rentner:innen und den künftigen.

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«Die Stärkung der ersten Säule ist für Frauen enorm wichtig»

Frauen erhalten aktuell einen Drittel weniger Rente als Männer. Was bedeutet die Annahme der 13. AHV für sie?
Die AHV ist für Frauen eine extrem wichtige Säule. Gerade weil sich dort das oft tiefere Erwerbsverhalten viel weniger stark auf die Höhe der Altersrente auswirkt. In der 2. Säule sieht es ganz anders aus: Dort gibt es gewaltige Geschlechterunterschiede in den Einzeleinkommen. Da Frauen mehr Teilzeit arbeiten, mehr Unterbrüche haben und häufiger in tiefer bezahlten Berufen arbeiten, ist es für sie schwieriger, kontinuierlich in die 2. Säule einzuzahlen. Deshalb ist die Stärkung der ersten Säule für Frauen enorm wichtig.

Und dementsprechend wichtiger sind auch die 8,3 Prozent mehr Rente, die es durch die 13. AHV geben wird.
Genau. Es gibt viel mehr Frauen, die nur oder fast ausschliesslich auf die AHV angewiesen sind als Männer. Darum ist diese Einnahmequelle für sie zentral. Die aktuellen Reformdiskussionen zeigen, dass es wahnsinnig schwierig ist, die Situation in der 2. Säule für Frauen nur über einen ausgeweiteten Zugang zu verbessern. Letztlich müsste hier eine Verbesserung der Renten über ein verändertes Erwerbsverhalten gehen. Das heisst, sie müssten mehr arbeiten und mehr einzahlen, was in der Schweiz nicht ganz einfach ist und nur langsam vorwärtsgeht. Deshalb ist sehr effektiv, für Frauen eine Verbesserung durch die 1. Säule herbeizuführen.

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«Die 13. AHV-Rente hat die grösste Wirkung für Frauen mit einem hohen Altersarmutsrisiko»

Betreffen die Auswirkungen durch die 13. AHV alle Frauen gleich?
Das Armutsrisiko im Alter ist in der Schweiz für alleinstehende und geschiedene Frauen am höchsten. Alleinstehende Frauen, die nie verheiratet waren, haben allerdings ein viel ähnlicheres Erwerbsverhalten wie Männer. In der Regel haben sie ihr ganzes Leben gearbeitet und eingezahlt. Verheiratete Frauen haben hingegen häufiger weniger Einkommen erzielt. Kommt dann eine Scheidung hinzu, ist das ein riesiges Armutsrisiko für sie. Deshalb ist die Rentenerhöhung für diese Frauen besonders wichtig. Dementsprechend hat die 13. AHV-Rente die grösste Wirkung für Frauen mit einem hohen Altersarmutsrisiko.

Was gilt es jetzt für Frauen konkret zu tun?
Für die Frauen bleibt die Agenda gleich. Das Ziel muss sein, dass Frauen während des Erwerbslebens und auch im Alter mehr finanzielle Eigenständigkeit haben. Das kann nicht nur über die AHV, sondern muss vor allem über die Erwerbsbeteiligung und die 2. Säule passieren. In der nächsten BVG-Revision gibt es einen Vorschlag, dass Frauen eine bessere 2. Säule erlangen können. Indem man den Koordinationsabzug nochmals senkt, könnten sie deutlich mehr ansparen. Es ist umstritten, ob das genügt. Aber es ist sicher ein Schritt in Richtung stärkerer Frauenrenten.

Inwiefern?
Der Vorschlag ist, dass der Koordinationsabzug und damit der versicherte Lohn an den Prozentsatz der Anstellung geknüpft wäre. Damit würde insbesondere Teilzeitarbeit weniger benachteiligt. Aber natürlich löst das das Grundproblem nicht: Damit Frauen höhere Renten erhalten, braucht es eine kontinuierliche Erwerbsbeteiligung und höhere Arbeitspensen. Dass das möglich ist, setzt natürlich eine gleichmässigere Verteilung von Haus- und Erwerbsarbeit und bessere Strukturen in Arbeitsmarkt und Kinderbetreuung voraus. Heute ist es immer noch so, dass Frauen, die Kinder bekommen, in der Regel über lange Zeit weniger verdienen – und diese Einbusse bringt man im Hinblick auf das Alter nicht weg.

«Die Diskussionen über das Rentenalter werden nicht verschwinden»

Mit der Einführung der 13. AHV steigen nun die Kosten für den Bund schätzungsweise um bis zu fünf Milliarden Franken. Wie wirkt sich das potenziell auf die finanzielle Eigenständigkeit von Frauen aus?
Wenn die Finanzierung nur über die Lohnkosten erfolgen würde, dann wäre die Nettobilanz gerade für Frauen mit tieferen Einkommen sicher auf lange Sicht positiv, wenn sie die durchschnittliche Lebenserwartung erreichen. Aber im Moment selbst sind höhere Lohnabzüge natürlich eine Schmälerung des Einkommens. Darum diskutiert man jetzt, ob die Finanzierung nicht nur über die Lohnprozente passieren soll, sondern auch über die Mehrwertsteuer, bei der die Pensionierten auch mitzahlen. Oder wir müssen wieder übers Rentenalter reden.

Die Diskussionen gehen also weiter?
Ja. Die Diskussionen über das Rentenalter werden nicht verschwinden. Eine Erhöhung des Rentenalters ist ein extrem wirksamer Mechanismus, um die Einnahmen zu erhöhen. Wenn alle ein Jahr länger arbeiten würden, würde das zu etwa zwei Milliarden mehr Einnahmen führen. Mit einer Erhöhung auf 67 hätte man so gerade knapp die gestern beschlossene 13. AHV-Rente finanziert.

Die Renteninitiative wurde gestern aber mit über 70 Prozent abgelehnt.
Das deutet darauf hin, dass die Menschen es unfair finden würden, wenn das Rentenalter durchs Band für alle erhöht werden würde, weil die Arbeitsbelastung und die Lebenserwartung nach Einkommen und Bildungsstand unterschiedlich sind. Die grosse Knacknuss für die Parteien und die Regierung wird sein, einen Weg zu finden, wie man diese Frage auf eine sozialverträgliche Art anpassen kann. Aus Frauensicht muss man hier etwas aufpassen. Alle reden jetzt von diesem Lebensarbeitszeitmodell. Sprich: Personen, die lange gearbeitet haben, sollen früher in die Rente gehen können. Gerade Frauen haben viel Erwerbsunterbrüche. Da müsste man genau schauen, dass unbezahlte Care-Arbeit angerechnet werden könnte oder nicht so stark ins Gewicht fallen würde. Direkter wäre es wohl, ein differenziertes Rentenalter direkt an Einkommen und Bildung zu knüpfen.

Was sendet das «Ja» zur 13. AHV für ein Signal aus?
Es ist ein Ausdruck davon, dass sich die Menschen Sorgen um die gestiegenen Lebenshaltungskosten machen. Es reflektiert auch die Wichtigkeit der AHV als Sozialwerk. Das Vertrauen in die AHV ist recht hoch, auch weil die Menschen weniger stark auf die Renten in der 2. Säule vertrauen. Die AHV-Rente ist einfacher berechenbar und politisch geschützter.

Silja Häusermann ist Professorin und derzeit Abteilungsleiterin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich. Sie untersucht unter anderem den soziostrukturellen Wandel und Veränderungen von Wahlverhalten und Parteiensystemen. Häusermann ist zudem stellvertretende Direktorin des universitären Forschungsschwerpunktes «Chancengleichheit» der Universität Zürich.

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