Verteidigungsministerin Viola Amherd fordert einen obligatorischen Armee-Infotag – auch für Frauen. Denn die Schweizer Armee ist die älteste Männerbastion des Landes. Höchste Zeit also für eine neue Marschroute, denn Sicherheit ist auch Frauensache.
Dieser Artikel ist erstmalig am 25. Juni 2021 erschienen.
In den leidenschaftlichen Debatten zur Gleichstellungspolitik gibts einen grossen blinden Fleck: die Armee. Das ist zwar nicht sonderlich erstaunlich – gilt sie doch als Konzentrat jener wirtschaftskonservativen Haltung, die die Schweiz bis heute prägt; als eine Institution, die wie kaum eine andere zur DNA der Nation gehört, zur Herde der «heiligen Kühe».
Und an das camouflagefarbige Vieh scheint sich bis heute niemand heranzutrauen. Dies, obwohl die Armee die Steuerzahlenden jährlich über fünf Milliarden Franken kostet, rund eineinhalb Milliarden mehr als der Bereich Landwirtschaft und Ernährung. Zeit also, die Armee auf den Radar zu nehmen und zu fragen: Wie hat sie es eigentlich mit den Frauen?
Zehn Mal weniger Frauen als in den Teppichetagen
Eine Bestandesaufnahme: Seit Inkrafttreten der Armee XXI im Jahr 2004 sind Frauen auf freiwilliger Basis zu allen Truppengattungen zugelassen. Doch bleibt ihr Anteil marginal, aktuell liegt er bei 0.8 Prozent, und ist damit sogar noch mehr als zehn Mal tiefer als der – ebenfalls viel zu geringe – Frauenanteil auf den Teppichetagen der hundert umsatzstärksten Unternehmen.
In absoluten Zahlen ausgedrückt heisst das: Von derzeit insgesamt 143 372 Armeeangehörigen sind 1253 weiblich. Damit gehört die Schweiz zu den Schlusslichtern Europas. In Deutschland beträgt der Frauenanteil bei den Streitkräften rund 13, in Frankreich 20, in Belgien 9 Prozent und Österreich schafft es immerhin auf 4 Prozent.
Wirklich zu irritieren scheint dies niemanden. Weder reagierte SVP-Verteidigungsminister Ueli Maurer, der 2008 der Nation immerhin «die beste Armee der Welt» in Aussicht gestellt hatte, noch acht Jahre später sein Nachfolger und Parteikollege Guy Parmelin. Frauen, so scheint es, wurden ganz einfach ignoriert.
Frauen waren und sind nicht mitgemeint
«Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten», steht in der Bundesverfassung. Frauen waren und sind da nicht mitgemeint. Die allgemeine Wehrpflicht, diese Personalunion aus Bürger und Soldat, ist weltweit einzigartig und seit der Gründung des Bundesstaats 1848 das erfolgreichste Programm zur Förderung der nationalen Identität – der männlichen, notabene.
«Das Milizsystem nach dieser alten Façon hat sich tatsächlich bis heute halten können. Es war mit der Armee 61 und einer Truppenstärke von über 600 000 Mann bis weit in die 1990er-Jahre hinein erfolgsverwöhnt und international hoch angesehen», betont Stefan Holenstein, Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft (SOG). «Man konnte es sich schlichtweg leisten, auf Frauen zu verzichten.»
Nun ist es nicht so, dass Frauen für die Armee gar keine Rolle spielten. Während des Zweiten Weltkriegs dienten sie als Sanitäterinnen, Späherinnen und Sekretärinnen, betreuten Geflüchtete oder waren verantwortlich für die Haltung der Brieftauben.
Keine Wehrpflicht, kein Stimm- und Wahlrecht
Doch mussten Frauen regelrecht darum kämpfen, überhaupt Zugang zu dieser Männerbastion zu erhalten. Wie die Juristin und Journalistin Sibilla Bondolfi in ihrer Dissertation «Wehrpflicht und Gesellschaft» schreibt, wurde erst auf unnachgiebiges Verlangen der Frauen hin 1939 der zivile und ein Jahr darauf der Frauenhilfsdienst gegründet, der später in Militärischer Frauendienst umbenannt wurde.
«Weil Frauen keinen Militärdienst leisteten, blieb ihnen die politische Mitbestimmung jahrzehntelang verwehrt»
Manche Frauen erhofften sich wohl, durch ihr freiwilliges Engagement in der Armee den Weg zum Stimm- und Wahlrecht zu ebnen. Denn politische Rechte genossen damals explizit nur Wehrpflichtige; die Männer eben. Anders formuliert: Weil Frauen keinen Militärdienst leisteten, was sie ja gar nicht durften, blieb ihnen das grundlegende Bürgerrecht der politischen Mitbestimmung jahrzehntelang verwehrt; eine raffinierte, man könnte auch sagen perfide Regelung zum Schutz einer anderen heiligen Kuh in diesem Land: des Patriarchats.
Heute aber, im Jahr 51 nach Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechts, reisst die Militärbastion den Frauen regelrecht die Tore auf, umwirbt sie mit Charme-Offensiven und PR-Kampagnen. «Die Situation hat gedreht», sagt SOG-Präsident Stefan Holenstein. «Wir können nicht mehr weitermachen wie bisher und quasi freiwillig auf das Potenzial von über fünfzig Prozent der Bevölkerung verzichten.»
Ein Akzeptanz- und Personalproblem
Denn die Armee hat ein Akzeptanz- und infolgedessen auch ein Personalproblem. Sie bekundet zunehmend Mühe, genügend Stellungspflichtige zu finden. Für viele junge Männer ist die 18-wöchige Rekrutenschule nicht mehr kompatibel mit Lehre oder Studium, die Wiederholungskurse sehen viele als Karrierekiller.
In den letzten Jahren liefen der Armee die Soldaten regelrecht davon, und zwar buchstäblich: Sechzig Prozent beenden ihre Dienstpflicht nicht, jedes Jahr scheiden aufs Neue Tausende aus. Hauptgründe hierfür, das zeigt eine Untersuchung der Militärakademie an der ETH Zürich: mangelhafter Führungsstil der Vorgesetzten, Unvereinbarkeit des Dienstes mit dem zivilen Leben, fehlende Motivation für den militärischen Alltag.
Immer mehr Männer wechseln zudem in den Zivildienst, offenbar weil sie in der Betreuung von Menschen in Alters- oder Behindertenheimen mehr Sinnhaftigkeit sehen. Geht der Aderlass ungehindert weiter, so rechnet die Armee hoch, fehlen ihr bis 2030 rund 35 000 «Mann», ein Viertel ihres aktuellen Bestands.
Verteidigungsministerin Viola Amherd«Frauen bringen andere Kenntnisse und Blickwinkel mit, weil sie andere Lebenserfahrungen haben»
Um diesem Trend entgegenzuwirken, wagt sie nun – unter der Federführung der Chefin des eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) Viola Amherd, der ersten Verteidigungsministerin überhaupt – einen Schritt, den ihr die Privatwirtschaft längst voraus ist: die Erhöhung des Frauenanteils.
Nun könnte man einwerfen: Fallen die Männer aus, müssen plötzlich die Frauen ran. Doch von Lückenbüsserinnen, mit deren Hilfe «Alimentierungsprobleme», wie es im Armee-Jargon heisst, gelöst werden, will Viola Amherd nichts wissen. Im Gegenteil: «Frauen bringen andere Kenntnisse und Blickwinkel mit, weil sie andere Lebenserfahrungen haben», sagt die Bundesrätin.
Mehr Diversität und Gesichtspunkte
«Wir brauchen mehr Diversität, mehr Gesichtspunkte, die zu neuen, innovativen Ideen führen. Unser Ziel ist ein grösstmöglicher Pool von unterschiedlichen Fähigkeiten und Kompetenzen. Das ist für eine Armee des 21. Jahrhunderts unerlässlich.»
Um ihrer Absicht Nachdruck zu verleihen, erteilte sie der Arbeitsgruppe «Frauen in der Armee» den Auftrag, einen Bericht zur «Erhöhung des Frauenanteils in der Armee» zu erstellen – der pünktlich zum diesjährigen 8. März, dem Internationalen Tag der Frau, veröffentlicht wurde.
Verteidigungsministerin Viola Amherd«Will die Armee gute Leute, muss sie eine moderne Arbeitgeberin sein»
In seinem Massnahmenkatalog listet der Bericht – dies ist geradezu revolutionär –, unter anderem die Ausarbeitung von alternativen Dienstleistungsmodellen auf, Teilzeitstellen für Berufsmilitär etwa oder auch die Einrichtung von Kinderkrippen. «Will die Armee gute Leute», sagt Amherd dezidiert, «muss sie eine moderne Arbeitgeberin sein.»
Weg vom Image einer «theoretischen Armee»
Mit diesem Bekenntnis hat die Institution reelle Chancen, ihre Aufgaben neu zu vermitteln – und vom Image einer nur noch «theoretischen Armee» loszukommen; einer Armee also, die in vermeintlicher Absenz eines echten Feindes bloss noch Nebensächlichkeiten ausführt.
«Denn die subsidiären Einsätze der Armee zur Unterstützung der zivilen Behörden sind reale und wichtige Leistungen», sagt Pälvi Pulli, Chefin Sicherheitspolitik im VBS. Die Hauptaufgabe der Armee bleibt aber die Verteidigung. Von einer Panzerschlacht auf dem Feld geht man heute nicht aus, und die Wahrscheinlichkeit eines direkten Angriffs ist weiterhin gering.
Die Armee muss aber die Verteidigungsaufgabe immer nach den veränderten Umständen ausrichten. Im Fokus stehen Terrorattacken, grossflächige Cyberangriffe oder Naturkatastrophen. Und gerade führt die Corona-Pandemie der Gesellschaft ihre eigene Verletzlichkeit vor Augen.
Sie hat die dringende Notwendigkeit aufgezeigt, einseitige Abhängigkeiten zu minimieren sowie Vorratshaltung und Lieferketten zu überprüfen. «Auf all diese Ereignisse», betont Pälvi Pulli, «muss das Militär vorbereitet sein, um die zivilen Behörden zu unterstützen.»
Militärische Friedensförderung als Auftrag
Darüber hinaus hat die Armee den Auftrag der militärischen Friedensförderung inne. Aktuell leistet sie in Missionen der EU, Nato und der Uno Einsätze, etwa im Westbalkan, im Nahen Osten und in verschiedenen afrikanischen Staaten. Besonders gefragt ist Schweizer Know-how in der Ausbildung und bei der Logistik, in Zukunft möglicherweise noch mehr durch Mittel für Luftaufklärung und -transport.
Hans-Peter Walser, stellvertretender Chef der Armee«Glauben Sie mir, ich hätte am liebsten fünfzig Prozent»
Das VBS ist daran, die militärische Friedensförderung weiterzuentwickeln und die Einsätze stärker auf die internationale Nachfrage auszurichten. «Und dafür», sagt Pälvi Pulli, «brauchen wir spezialisiertes Personal. Gerade auch Frauen.» Auf zehn Prozent soll der Frauenanteil bis 2030 erhöht werden – eine auf den ersten Blick bescheidene Quote.
«Glauben Sie mir, ich hätte am liebsten fünfzig Prozent», sagt Hans-Peter Walser, Chef Kommando Ausbildung und stellvertretender Chef der Armee. «Doch angesichts unseres aktuellen Frauenanteils von knapp einem Prozent sind zehn Prozent eigentlich schon zu ambitiös. Wir haben uns diese Messlatte gesetzt, damit wir gezwungen sind, uns zusammenzuraufen.»
Männliche Milizarmee ist nicht mehr zeitgemäss
Denn letztlich sei eine Milizarmee, die nur den männlichen Teil der Bevölkerung widerspiegelt, «einfach nicht mehr zeitgemäss». Mehr Frauen, davon ist Hans-Peter Walser überzeugt, versprechen zudem ein höheres Niveau und eine bessere Verankerung in der Bevölkerung.
Auch, da Frauen, gerade weil der Dienst für sie freiwillig ist, eher dranbleiben, ehrgeiziger sind. Während bloss gut 25 Prozent der Männer weitermachen, streben immerhin zwei Drittel der Frauen eine militärische Kaderposition an.
Unterstützung für diesen anvisierten Kulturwandel kommt selbst von traditionell armeekritischer Seite. Priska Seiler Graf, Nationalrätin und Co-Präsidentin der SP des Kantons Zürich, hatte bereits vor zwei Jahren im Parlament die Erhöhung des Frauenanteils in der Armee thematisiert.
Frauen als Gamechanger
Sie sagt: «Schafft sie das, sehe ich Chancen, dass sich die Armee verbessert. Frauen könnten der Gamechanger sein.» Es sei jedoch zwingend, so Seiler Graf, dass die Inklusion der Frauen ernst gemeint sei. «Frauen müssen das Gefühl haben, dass man sie wegen ihrer Kompetenzen will – nicht bloss als Poster-Girls für Imagekampagnen.»
Nationalrätin Priska Seiler Graf«Frauen müssen das Gefühl haben, dass man sie wegen ihrer Kompetenzen will – nicht bloss als Poster-Girls für Imagekampagnen»
Doch wie soll dieser Wandel bewerkstelligt werden in einer Organisation, die über ein Jahrhundert lang ein monolithischer Fels der Hypermaskulinität war? Die Ambitionen der Verteidigungsministerin und der Armeespitze um Thomas Süssli stossen denn auch keineswegs nur auf offene Ohren.
Sprüche wie: «Habt ihr nichts anderes zu tun, als euch mit den Frauen zu beschäftigen?» machen in der Armee die Runde. Gar manche Mannen trauern schon jetzt um die «Schule der Nation», und die «Weltwoche» fragt bang: «Soll künftig ein Amazonenheer die Landesverteidigung sicherstellen?»
Kulturwandel muss ganz oben vorgelebt werden
«Die Inklusion von Frauen ist sicherheitspolitisch wichtig und dringlich für die Zukunft der Milizarmee. Das bedeutet enorme Veränderungen. Deswegen gibt es grosse Widerstände», sagt Tamara Moser, erste Frau im Vorstand der Schweizerischen Offiziersgesellschaft und Leiterin von deren Projekt «Armee und Fraueninklusion».
Sie sagt: «Der Kulturwandel muss von ganz oben vorgelebt werden. Es ist wichtig, dass der Chef der Armee sich klar und konsequent für die Fraueninklusion ausspricht und die notwendigen strukturellen Massnahmen trifft.»
Die 39-jährige Juristin und Kommunikationsmanagerin ist im zivilen Leben Dozentin für Ethik und Recht, im Militär Majorin; sie leistet Dienst im Heeresstab. Sie ging vor gut zwanzig Jahren in die Armee, weil sie ihren Dienst für die Gesellschaft leisten wollte, wie alle Schweizer. Aber auch, «weil ich hoffte, dass ich nie mehr Diskussionen darüber führen muss, ob ich, nur weil ich eine Frau bin, etwas darf und kann oder nicht». Dass sie dies noch immer tun muss, zeige ihr, wie wichtig es ist, dass Frauen in der Armee nicht länger als Ausnahmen gelten.
Anpassungen von Kasernen, Uniformen und Sprache
Im Namen der SOG fordert sie deshalb bauliche Anpassungen in Kasernen, Uniformen, die auf Frauenkörper zugeschnitten sind, und eine gendergerechte Sprache, in erster Linie aber ein systematisches Vorgehen gegen «unconscious biases», unbewusste Vorurteile – sowie Sanktionen bei entsprechenden Verstössen.
Denn wer in weiblichen Armeeangehörigen nur schutzbedürftige Wesen sieht, die entweder nett oder kompetent, nie aber nett und kompetent sein können, wird die Soldatin neben sich im Schiessstand oder in der Kommandozentrale nie als gleichwertig betrachten.
«Vorurteile und Unbeholfenheit der Armee machen Alltag der Soldatinnen zum Spiessrutenlauf»
Diese Vorurteile, aber auch die Unbeholfenheit, mit der Frauen in der Armee begegnet wird – dort, wo Gruppendynamik und Rudelgehabe noch immer am stärksten spielen – machen den Alltag der Soldatinnen häufig zum Spiessrutenlauf.
Dies bestätigen weibliche Armeeangehörige aus Heer, Luftwaffe sowie Rotkreuzdienst gegenüber annabelle unter Zusicherung ihrer Anonymität: «Ich war mit drei Frauen in einer Kampftruppe. Da unsere Unterkunft dreihundert Meter von jener unserer Kameraden entfernt lag, warteten wir oft eineinhalb Stunden, bis wir abtreten durften. Man hatte uns vergessen.»
«Ich war die einzige Frau unter siebzig Männern. Als wir die Blachen fürs Bivakieren ausrollten, hörte ich: ‹Was machen wir jetzt mit dieser Frau?›» – «Ich bereitete nach einer Übung das Essen vor, da sagte einer: ‹Das sehe ich doch gern: Die Frau ist dort, wo sie hingehört, in der Küche.›» – «Ein Wachmeister stellte mich so vor: ‹Eure Vorgesetzte ist eine Frau. Ihr könnt jetzt eine Woche chillen.›»
Das Problem ist erkannt, zumindest an der Spitze. In der Ausbildung herrsche in Bezug auf Sexismus und Diskriminierung Nulltoleranz, sagt Ausbildungschef Hans-Peter Walser. «Das ziehe ich knallhart durch.» Dank dieser Haltung, versichert er, habe sich die Kultur in den letzten Jahren innerhalb der verschiedenen Truppengattungen stetig verbessert.
Raus aus der Bubble
Eine grosse Frage jedoch bleibt. Trotz allem. Nämlich die Frage nach dem Warum. Warum sollten Frauen freiwillig bei der Armee anheuern und wochenlang Schweiss, Drill und wunde Füsse erdulden? Weil sie dadurch die Möglichkeit erhalten, aus ihrer Bubble auszubrechen und mit Menschen aus anderen Schichten zusammenzukommen, erklären die weiblichen Armeeangehörigen im Gespräch mit annabelle.
Sie erzählen von persönlichem Wachstum, vom gewonnenen Mut, vor Leute hinzustehen und die Stimme zu erheben, von der Chance, sich neue Fähigkeiten anzueignen – Lastwagenfahren zum Beispiel –, von der Gelegenheit, Führungserfahrungen zu machen oder für Notsituationen ausgebildet zu werden.
Dies jedoch sind Worte von Frauen, die die Armee bereits für sich gewinnen konnte. Doch was ist mit den anderen 99.2 Prozent? Für den Einsatz in der Armee braucht es also vor allem auch eine intrinsische Motivation; den Willen, sich als Teil eines Systems für die Gesellschaft als Ganzes einzusetzen. Denn die Armee ist kein Abenteuerspielplatz, sondern das grösste Sicherheitsinstrument eines Landes, für das Bürger:innen in Uniform im schlimmsten Fall ihr Leben hergeben.
Sinnhaftigkeit der Armee in neuem Licht
Damit Frauen (und Männer) für diese militärische Grundidee motiviert werden können, muss die Sache jedoch vor allem Sinn machen. Wert haben. Und da wären wir beim Thema Schutz und Sicherheit. Denn beides ist keine Selbstverständlichkeit – war es nie und wird es auch nie sein.
Insofern hat «Helping Hands», die auf den Corona-Einsatz bezogene Ausbildung in den Rekrutenschulen im vergangenen Jahr, nicht nur die Sinnhaftigkeit der Armee in ein neues Licht gerückt. Sie hat auch vor Augen geführt, dass sich Menschen durchaus motivieren lassen, sich für das Wohl ihrer Mitbürger:innen einzusetzen – selbst in Zeiten des grassierenden Hyperindividualismus.
Just an diesem Punkt setzt eine Motion der FDP an, die verlangt, die Einführung eines obligatorischen «Bürgerinnen- und Bürgerdienstes» zu prüfen. Ein ähnliches Ziel verfolgt die überparteiliche Initiative «Service Citoyen». Sie macht sich für ein Wiederbeleben des Milizgedankens stark; dafür, dass Frauen und Männer gleichermassen dazu verpflichtet werden, sich für das Allgemeinwohl zu engagieren.
Neue Modelle zur Dienstpflicht
Im September soll die Initiative lanciert werden. Auch das VBS selbst möchte auf Ende Jahr neue Modelle zur Dienstpflicht präsentieren – und damit wohl auch die Wehrpflicht für Frauen wieder aufs Tapet bringen. Eine der prominentesten Befürworterinnen ist Babette Sigg, Präsidentin der Mitte-Frauen – selbst wenn sie dadurch, wie sie sagt, «zur Verräterin der Sache der Frau wird».
Denn das Ansinnen gilt allgemein als chancenlos, solang Frauen etwa bei Lohngleichheit und Altersvorsorge benachteiligt sind. «Doch für mich hat das eine mit dem anderen nichts zu tun», erklärt sie. Vielmehr würde die Wehrpflicht für Frauen eine Lücke in der Gleichstellung schliessen. «Denn die alleinige Wehrpflicht für Männer ist die einzige gesetzlich verankerte Ungleichheit, die in der Schweiz noch existiert.»
Als mögliche Blaupause dient dabei das «norwegische Modell». Norwegen hatte 2016 als erster Nato-Staat – und eines der gleichgestelltesten Länder der Welt – seine allgemeine Wehrpflicht auf die weibliche Bevölkerung ausgedehnt. Seine Devise lautet: «Alle müssen, aber nehmen tun wir nur die Besten.»
«Allein die Absicht, den Frauen in militärischen Belangen einmal zuzuhören, ist bereits progressiv»
Wie Per-Thomas Bøe, Sprecher der norwegischen Streitkräfte, erklärt, sind die Stellungspflichtigen eines Jahrgangs per Gesetz verpflichtet, eine Selbsteinschätzung ihrer Fähigkeiten und schulischer Leistungen einzureichen. Aus den jeweils rund 70 000 Bewerbungen werden 20 000 Personen zur Aushebung geladen, die Hälfte davon letztlich für den Dienst in den Streitkräften ausgewählt. «So schaffen wir es», sagt Per-Thomas Bøe, «die Besten und Motiviertesten zu gewinnen.»
Frauen sollen mitdiskutieren
Die Schweiz würde das norwegische Modell kaum eins zu eins übernehmen, sondern auf die hiesigen Bedürfnisse anpassen. Bundesrätin Viola Amherd will sich jedenfalls alle Optionen «ohne Scheuklappen» ansehen. Und: Sie will die Frauen in die aktuelle Diskussion miteinzubeziehen.
Aus diesem Grund gibt das VBS als Nächstes eine externe Studie in Auftrag, die Fragen klärt wie: «Welches Bild haben Frauen von der Armee?», «Unter welchen Bedingungen würden sie sich zum Dienst in der Armee melden?» und ganz besonders: «Wie sollte die Armee der Zukunft gestaltet werden?» Allein die Absicht, den Frauen in militärischen Belangen einmal zuzuhören, ist bereits progressiv. Geradezu revolutionär wäre es, ihre Stimmen gäben auch mal die Marschrichtung vor.