Wahlversprechen von Kamala Harris: Was kann sie als Präsidentin wirklich für Frauen tun?
- Text: Susanna Petrin
- Bild: Dukas
Kamala Harris verspricht, das Recht auf Abtreibung wieder auszuweiten sowie Minderheiten besser zu schützen, sollte sie zur US-Präsidentin gewählt werden. Doch steht das in ihrer Macht? Ein Reality-Check.
Was der katholisch geprägte US-Präsident Joe Biden nur mit viel Selbstüberwindung zu flüstern wagt, verkündet Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris bei jeder Gelegenheit laut und deutlich: Sie ist für das Recht auf Abtreibung. Dieses Thema ist gemäss Umfragen das zweitwichtigste im amerikanischen Wahlkampf.
Wenn Harris bei ihren Auftritten darüber spricht, schildert sie drastisch individuelle Frauenschicksale. Etwa jenes von Jaci Statton, die auf einem Spitalparkplatz in Oklahoma fast verblutete, weil die Ärzt:innen es erst in letzter Minute wagten, ihr Leben durch einen dafür notwendigen Abort zu retten – aus Angst vor einer Gefängnisstrafe. Andere Frauen haben ähnliche Notsituationen nicht überlebt. Harris spricht zudem von Vergewaltigten, Minderjährigen und Inzestopfern, die dazu genötigt werden, ihre ungewollte Schwangerschaft auszutragen.
In den USA dürfen Millionen von Frauen nicht mehr über ihre eigenen Körper bestimmen. Das Land wurde 2022 in Sachen Frauenrechte um 50 Jahre zurückkatapultiert. Donald Trump ist indirekt dafür verantwortlich, denn er hat während seiner Amtszeit drei reaktionäre Richter:innen in den Supreme Court gehievt.
Die nun konservative Mehrheit des obersten Gerichts hat vor zwei Jahren das landesweite Recht auf Abtreibung gekippt. Seither obliegt es den einzelnen Bundesstaaten, Abtreibungen zu erlauben oder zu kriminalisieren. In über der Hälfte aller 50 Bundesstaaten gelten inzwischen Abtreibungsverbote, von total bis partiell. Sich widersprechende Gesetze stiften zusätzlich Verwirrung.
Roe v. Wade wieder zu aktivieren wird kaum möglich sein
Kamala Harris verspricht, progressive Abtreibungsrechte einzuführen. Die knapp Sechzigjährige wirkt dabei als aufgeklärte, erfahrene Frau und einstige Staatsanwältin sehr überzeugend. Doch was könnte sie tatsächlich bewirken, wie viel stünde als Präsidentin in ihrer Macht?
Das Wirksamste, nämlich das Leiturteil Roe v. Wade wieder zu aktivieren, wird während ihrer Amtszeit mit grosser Sicherheit nicht möglich sein. Dafür bräuchte es zunächst wieder eine demokratisch gesinnte Mehrheit am Obersten Gerichtshof. Doch Richter:innen werden in den USA auf Lebenszeit gewählt, und derzeit gelten am Supreme Court sechs von neun als konservativ; der ältestes unter ihnen, Clarence Thomas, ist 76 Jahre alt, die meisten anderen sind zwischen 50 und 70 Jahre alt, also noch relativ jung.
«Die Macht des Supreme Court kann nicht unterschätzt werden», sagt Josie Cox, Autorin des Buchs «Women Money Power», eine Geschichte der amerikanischen Frauenrechte. Ebenso wenig die Macht der einzelnen Bundesstaaten, die nun über Abtreibungsgesetze individuell entscheiden können.
«Unterprivilegierte, schlecht Verdienende und – als Resultat des systematischen Rassismus’ – Frauen of Color werden bei der Gesundheitsversorgung besonders benachteiligt», sagt Josie Cox. Sie könnten es sich nicht leisten, für einen Abort in liberale Staaten zu reisen.
«Welche Haltung die mächtigste Person der USA pflegt, kann nicht an der Nation vorbeigehen»
Harris verspricht liberalere Abtreibungsgesetze. Doch um ein abtreibungsfreundliches Gesetz durchzukriegen, bräuchte Harris in beiden Kammern des Kongresses, also dem Repräsentantenhaus und dem Senat, eine demokratische Mehrheit. Über deren Besetzung stimmt das Volk ebenfalls im November ab. Derzeit dominieren die Republikaner das Repräsentantenhaus und im Senat haben die Demokraten nur einen kleinen Vorsprung von zwei Sitzen. Es wird knapp.
«Sie war ihrer Zeit voraus»
Der Bürgerrechtsanwalt und Direktor des «National Center for Lesbian Rights», trans Mann Shannon Minter, sieht in jedem Fall Spielraum für liberalere Gesetze im Gesundheitswesen. Biden und Harris hätten sich in den letzten Jahren unermüdlich für Minderheitenrechte, gerade auch für die LGBTQIA+ Gemeinde, und eine verbesserte Gesundheitsversorgung stark gemacht – etwa mit dem sogenannten «Affordable Healthcare Act», der Arztbehandlungen erschwinglich macht.
Zudem sei Harris schon vor 20 Jahren, damals noch als Staatsanwältin in Kalifornien, durch ihre liberale, progressive Haltung aufgefallen. «Sie war ihrer Zeit voraus», sagt Minter.
Harris wählen, um Schlimmeres zu verhindern
Der Anwalt weist zudem darauf hin, dass sich unter Trump die Anti-Abtreibungsgesetze wohl weiter verschärfen und die Rechte von Minderheiten stärker beschnitten werden dürften. Auch Josie Cox sagt: Der Unterschied zwischen den Teams Trump/Vance und Harris/Walz könnte gar nicht grösser sein. «Trumps Vize-Kandidat J.D. Vance ist noch extremer, er hat früher davon gesprochen, ein nationales Abtreibungsverbot einführen zu wollen.»
Harris zu wählen, heisst deshalb nicht zuletzt: Noch Schlimmeres zu verhindern. Welche Haltung die mächtigste Person der USA pflegt, kann nicht an der Nation vorbeigehen. Kamala Harris spricht sich für Abtreibungen sowie für die Rechte sexueller und geschlechtlicher wie ethnischer Minderheiten aus. Sie fördert und stärkt damit zahlreiche Menschen, Initiativen, Organisationen, die landesweit auf dasselbe Ziel hinarbeiten.
Als amerikanische Frau – und erst recht als Teil der LGBTQIA+ Gemeinde – ist es ein «no brainer», Kamala Harris Donald Trump vorzuziehen. Ein «no brainer» ist eine Entscheidung, die derart naheliegend ist, dass man sie fällen kann, ohne sein Gehirn anzustrengen.
Alles andere würde bedeuten, gegen die eigenen Interessen zu stimmen. Harris geniesst denn auch einen Vorsprung bei weiblichen Wahlberechtigten – je nach Umfrage zwischen drei und 21 Prozentpunkte. Er müsste grösser sein, vielleicht wird er es noch. Spätestens, wenn wieder eine Frau auf einem Parkplatz vor einem Spital verblutet.