Bei der Reform des Sexualstrafrechts braucht es zwingend die «Nur Ja heisst Ja»-Lösung – aus Respekt gegenüber Opfern und als Signalwirkung an die Gesellschaft, findet Redaktorin Sandra Brun.
Triggerwarnung sexualisierte Gewalt
Wenn ein Opfer künftig Nein sagt und ein:e Täter:in sich über dieses Nein hinwegsetzt, gilt das mit der vom Ständerat verabschiedeten Widerspruchslösung – der sogenannten «Nein heisst Nein»-Lösung – als Vergewaltigung. Unabhängig des Geschlechts des Opfers und auch ohne Gewaltanwendung. Tönt doch schon mal sehr viel besser als das aktuell geltende, veraltete Recht, oder?
Jein. Zwar gilt zurzeit tatsächlich immer noch nur «ungewolltes vaginales Eindringen bei einer Person weiblichen Geschlechts», mit Gewalt oder Drohung erzwungen, als Vergewaltigung. Doch während verschiedene Politiker:innen die «Nein heisst Nein»-Lösung als Quantensprung feiern und sich dafür gegenseitig auf die Schultern klopfen – und sich darüber freuen, die Thematik jetzt endlich wieder abgehakt zu haben –, lässt diese eines ganz massgeblich ausser Acht: Opfer werden damit auch weiterhin dazu gezwungen, sich aktiv zur Wehr zu setzen.
In einer Gewaltsituation könne ein Opfer ein Nein viel einfacher ausdrücken, argumentiert etwa Ständerätin Heidi Z’graggen gegenüber «SRF». Es sei schliesslich ein «natürlicher Reflex, Abwehrhaltung zu zeigen». Doch: Das entscheidende Kriterium bei einer Vergewaltigung ist eben nicht der Zwang, sondern die fehlende Zustimmung.
Wissentliche Grenzüberschreitungen statt physischer Gewalt
Das von verschiedenen Seiten geforderte Zustimmungsprinzip – auch «Nur Ja heisst Ja»-Lösung genannt – hätte deshalb nicht nur im Sinne der Opfervermutung Signalwirkung. Sie würde auch der Realität viel eher Rechnung tragen. Denn nur zu oft kommt es zu ungewünschten sexuellen Handlungen, bei denen nicht zwingend physische Gewalt angewendet wird, Täter:innen sich aber sehr wohl wissentlich über Grenzen des Opfers hinwegsetzen. Und nur zu oft sind Opfer physisch gar nicht in der Lage, sich zur Wehr zu setzen. Sei dies aufgrund ungleicher Machtverhältnisse, aus Angst, wegen Freezing – also Schockstarre – oder aus zig weiteren möglichen Gründen.
Dem Vergewaltigungsklischee in unseren Köpfen entspricht dies nicht: Wir wurden mit dem physisch überlegenen fremden Mann sozialisiert, der uns Frauen nachts auf dem Heimweg aus einem Gebüsch anspringt. Gegen den wir uns mit Händen und Füssen zu wehren versuchen, aber keine Chance haben. Geschunden, mit sichtbaren Verletzungen und Spuren, wenden wir uns dann umgehend an die Polizei, die uns natürlich – aufgrund der erdrückenden Beweislage dank sichergestellter Körperflüssigkeiten und protokollierten Verletzungen – glaubt. Der Täter wird verurteilt, der Gerechtigkeit wird Genüge getan.
«Was für ein Hohn, dieser Thematik nicht den dringend nötigen Ernst und Respekt entgegenzubringen und sich für eine wirkliche Verbesserung einzusetzen»
In der Realität führt das dazu, dass viele Opfer, bei denen eine Vergewaltigung eben genau nicht so stereotyp abgelaufen ist wie oben beschrieben, an sich zweifeln. An ihrer eigenen Unschuld. An der Schuld des Täters. Daran, sich auf das Recht in unserem Staat verlassen zu können. Denn nur zu oft kommen Täter:innen ungestraft davon bei sexuellen Handlungen, die nicht einvernehmlich geschehen. Sogar wenn ein klares «Nein» fiel. Zahlreiche Fallbeispiele bezeugen dies.
Eine Lebensrealität, die nicht ernst genommen wird
Sexualisierte Übergriffe sind für viele Frauen und andere marginalisierte Gruppen eine Lebensrealität. Was für ein Hohn, dieser Thematik nicht den dringend nötigen Ernst und Respekt entgegenzubringen und sich für eine wirkliche Verbesserung einzusetzen. Denn das befinden verschiedene Politiker:innen wie Ständerat Hannes Germann offenbar nicht für nötig.
Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen geschehen. Regelmässig. Und sie betreffen viele, viele Menschen. Das kann nicht kleingeredet werden. Jede fünfte Frau in der Schweiz hat schon ungewollte sexuelle Handlungen erlebt, das sind gemäss einer Umfrage von «gfs.bern» hochgerechnet 430’000 Frauen. Mindestens. Denn dabei muss von einer noch viel höheren Dunkelziffer ausgegangen werden.
Knapp 70 Prozent der Befragten kannten den Täter, nur bei 7 Prozent war es eine fremde Person. Rund die Hälfte der von sexualisierter Gewalt Betroffenen meldete den Vorfall nicht bei der Polizei – aus Angst vor Chancenlosigkeit oder Unglauben seitens der Polizist:innen etwa.
Fehlender Konsens ist keine Zustimmung
Mit der «Nur Ja ist Ja»-Lösung müsste nicht mehr darüber diskutiert werden, welche nonverbalen Signale allenfalls als ein Nein gedeutet werden könnten. Ob ein Wegdrehen eventuell Nein heissen könnte, ein «ich bin nicht sicher», ein «ich weiss nicht, ob ich das möchte». Und dabei geht es nicht um ein «sich zieren», «erobert werden wollen», «ein Katz-und-Maus-Spiel», wie es Nationalrat Roger Köppel erschreckenderweise suggeriert. Fehlender Konsens ist keine Zustimmung! Und von Liebe sprechen wir hier definitiv nicht.
In der Bevölkerung wächst langsam aber sicher das Bewusstsein für die Wichtigkeit von Konsens bei sexuellen Handlungen. Die Mehrheit stellt aktiv sicher, dass alle Parteien mit sexuellen Handlungen einverstanden sind und respektiert die Grenzen des Gegenübers. Dies ergab eine aktuelle Umfrage von «gfs.bern» im Auftrag von «Amnesty International Schweiz», die aber auch zeigte: Diese Meinung teilen vor allem die Menschen, die am stärksten von sexualisierter Gewalt betroffen sind – Frauen, Junge und queere Menschen.
Und doch führte diese Befragung auch Antworten zutage, die erschrecken: Jede fünfte Person deutet eine frühere Zustimmung des Gegenübers auch als Einwilligung zum aktuellen Sex. Und jede zehnte Person gab an, dass sexuelle Handlungen mit Partner:innen unter Umständen in Ordnung seien, auch wenn sie aktuell nicht zustimmen würden. Sexuelle Verfügbarkeit also, ungeachtet kommunizierter oder nonverbaler Ablehnung. Umso wichtiger, dass die «Nur Ja heisst Ja»-Lösung im Sexualstrafrecht eine klare Botschaft sendet. Und das Recht auf den eigenen Körper festgelegt wird. Das Recht auf die sexuelle Selbstbestimmung, auf selbstgesetzte Grenzen. Das Recht auf ein klares Ja.