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Kommentar zum BVG-Reform-Nein: Dieser Deal war nicht gut genug

Politik

Kommentar zum BVG-Reform-Nein: Dieser Deal war nicht gut genug

Die Stimmbevölkerung hat die Reform der beruflichen Vorsorge deutlich abgelehnt. Zu Recht, findet unsere Autorin. Dass längst überfällige Anpassungen nur mit tieferen Renten zu haben waren, stiess sauer auf. Warum das Abstimmungs-Nein eine Chance sein könnte.

Was für eine Klatsche: Die Schweizer Stimmbevölkerung lehnt die BVG-Reform mit 67,1 Prozent deutlich ab. Kein einziger Kanton stimmte der Vorlage zu. Die Absage der Stimmenden kommt nicht überraschend. Die Debatte war hitzig, die Prognosen für ein Ja standen immer schlechter. Geschuldet war dies nicht zuletzt der Komplexität des Themas. Das Zahlenwirrwarr schien endlos. Stehen die Pensionskassen nun am Rande des Ruins oder geht es ihnen blendend? Treffen die tieferen Renten durch den sinkenden Umwandlungssatz wenige oder doch viele? Und schliesslich: Verbessert die Reform die Renten der Frauen oder bezahlen sie den Preis?

Klare Antworten suchte man vergebens. Kaum jemand blickte durch. Aufklärung unmöglich. Das Vertrauen in die Vorlage sank von Woche zu Woche. Das ungute Gefühl, sich auf einen schlechten Deal einzulassen, wuchs zu einem deutlichen Nein heran. War das die richtige Entscheidung? Ja. Der Deal war schlicht nicht gut genug. Warum? Dazu kommen wir gleich.

Mit dem Nein bleiben gewisse Vehikel bestehen

Zuerst die schlechte Nachricht: Mit dem Nein bleiben gewisse Vehikel bestehen. Vehikel, die für die Pensionskassen-Renten von Frauen Nachteile bringen und die finanzielle Ungleichheit der Geschlechter im Alter zementieren. Der fixe Koordinationsabzug verunmöglicht es Menschen mit tiefen Einkommen und Teilzeitarbeitenden – viele davon sind Frauen – in der zweiten Säule ausreichend fürs Alter zu sparen. Die aktuelle Eintrittsschwelle verwehrt denselben Menschen nach wie vor den Zugang zur beruflichen Vorsorge. Die heutigen Altersgutschriften machen ältere Arbeitnehmende teuer.

Die Reform hätte all das geändert: Die Altersgutschriften wären neu gestaffelt worden, die Eintrittsschwelle gesunken, der Koordinationsabzug hätte sich dem Einkommen angepasst. Das Versprechen: Mehr Menschen – allen voran Frauen – können mehr fürs Alter sparen. Klingt erst mal gut. Die Vorteile gab es aber nicht umsonst. Sie waren nur erhältlich in einem Paket mit tieferen Renten. Und damit sind wir an jenem Punkt, der die Vorlage zu einem schlechten Deal werden liess.

Mittel zum Zweck

Die Rentenkürzung stiess sauer auf – besonders den Frauen. Nicht nur, weil gerade sie vermutlich die tieferen Renten zu spüren bekommen hätten – so genau konnte das im Abstimmungskampf leider niemand sagen. Sondern auch, weil man als Frau das Gefühl nicht loswurde, Mittel zum Zweck zu sein. Man kürzt die Renten, steckt diese hässliche Kröte in das schillernde Kleid des neuen Koordinationsabzugs und Co. und hofft, dass die Stimmenden die Kröte im Glanz übersehen oder zumindest dulden. Für das Wohl der Frauen. Das ist misslungen. Und das ist gut so.

Die berufliche Vorsorge, wie sie heute funktioniert, ist aus der Zeit gefallen. Sie orientiert sich am Einverdienermodell mit Vollzeitkarrieren und stetig steigendem Einkommen. Die Realität ist längst eine andere. Karrieren sind gespickt mit Unterbrüchen. Menschen schulen sich mitten im Leben um. Löhne entwickeln sich bogenartig. Teilzeit ist Normalität. Nicht nur für Frauen.

Systemwechsel beim Koordinationsabzug

Die zweite Säule ist für viele Rentner:innen zentral. Mit dem Geld aus der Pensionskasse sichern sie ihren Lebensstandard im Alter. Ein derart tragendes System hätte längst auf die heutige Lebensrealität reagieren müssen. Frauenverbände fordern seit Jahren einen Systemwechsel beim Koordinationsabzug. Dass bisher nichts geschah, enttäuscht und wirkt ignorant. Dass die längst überfälligen Anpassungen nun nur zusammen mit tieferen Renten zu haben gewesen wären, ist unfair. Und: Es brachte das Vorhaben zum Scheitern.

Was jetzt? Das Paket muss zurück an den Absender – zur Überarbeitung. Es braucht eine neue, verständliche Vorlage mit konsistenten Zahlen, transparenten Berechnungen und möglichst klaren Antworten. Vor allem aber braucht es eine Reform, die die berufliche Vorsorge zügig ins Jetzt befördert und Überbleibsel aus vergangenen Zeiten eliminiert, ohne dass daran ein Preisschild hängt.

Das Nein ist eine Chance

Ja, das ist der berühmte Fünfer und das Weggli. Und ja, wir Frauen sollten beides bekommen. Mit einem Paket, das die Rentenlücke zwischen Frauen und Männern wirklich zu schliessen versucht. Damit die finanzielle Ungleichheit im Alter nicht mehr so ungerecht ist wie heute. Das steht uns Frauen – und allen Menschen – zu.

Zum Abschluss noch eine gute Nachricht: Das Nein ist eine Chance. Vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen, unser Vorsorgesystem grundlegend zu überdenken. Wir könnten unter anderem endlich mal darüber diskutieren, wie und wo wir die ganze unbezahlte Care-Arbeit, die vor allem Frauen leisten, in den Renten abbilden können. Vielleicht eröffnet dieses Nein die Möglichkeit zu einem grossen Wurf. Träumen darf man.

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