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Kommentar zu Protesten im Iran: Der Widerstand hat gerade erst begonnen

Politik

Kommentar zu Protesten im Iran: Der Widerstand hat gerade erst begonnen

Zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik wehren sich die Frauen im Iran explizit gegen ihre strukturelle Entrechtung, schreibt unsere Autorin Gilda Sahebi. Sie hat die Proteste nach Mahsa «Zhina» Aminis Tod für uns eingeordnet.

Der Mann mit dem islamischen Turban auf dem Kopf steigt aus einem Auto und ruft in die Handykamera: «Dreckstück! Zieh dein Kopftuch an!» Die Frau, die die Szene aus ihrem eigenen Auto filmt und die gerade beschimpft wird, hat offensichtlich ihr Kopftuch abgenommen.

Neu ist nicht nur, dass so viele Frauen in der Öffentlichkeit ihren Hijab ablegen. Neu ist vor allem, was jetzt passiert. Die Frau schreit zurück: «Was geht dich das an? Hau ab! Du hast keinen Anstand!» Der Mullah dreht sich um und steigt, sichtlich empört, wieder in sein Auto. Die Frauen im Iran – sie wehren sich, wie dieses Video aus den sozialen Medien zeigt. Sie schlagen zurück.

Ihr «Verbrechen»: Das Kopftuch sass nicht gemäss Sittenregeln

Die Proteste gegen das Regime haben das gesamte Land erfasst, fast alle Städte und Provinzen. Ausgegangen sind die Proteste von Kurdistan, nachdem Mahsa «Zhina» Amini, eine 22-jährige Kurdin, Mitte September von der Sittenpolizei festgenommen und getötet wurde. Ihr «Verbrechen»: Ihr Kopftuch sass nicht gemäss den iranischen Sittenregeln.

Die Wut über Aminis Tod hat dazu geführt, dass Frauen im Iran ihre Kopftücher abnehmen – ein Akt des Widerstands, den Frauen zurzeit tausendfach in allen Ecken des Landes vollziehen. Das Ablegen des Hijabs ist im Iran mit drakonischen Strafen verbunden. Peitschenhiebe, Gefängnisstrafe und, im Fall von Zhina Amini, Prügel bis zum Tod.

Frauen dürfen nicht die Menschen sein, die sie sein wollen

Dabei geht es nicht um das Kopftuch an sich. Es geht nicht um Religion; auch viele gläubige Frauen sind gegen den Hijabzwang. Sondern es geht darum, wofür dieser Zwang steht: für die systematische Unterdrückung von Frauen seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979. Diese ist einer der wichtigsten Säulen des politischen Systems der fundamentalistischen Machthaber.

Frauen dürfen sich nicht kleiden, wie sie wollen, sie dürfen nicht tanzen, sie dürfen nicht singen, sie dürfen öffentlich nicht ihre Weiblichkeit zeigen. Ihre Aussagen vor Gericht sind nur die Hälfte eines Mannes wert; vom Erbe bekommen sie nur halb so viel wie ihre Brüder. Sexualität ist ein striktes Tabu. Frauen dürfen nicht die Menschen sein, die sie sein wollen.

Jin, Jiyan, Azadi! Frauen, Leben, Freiheit!

Queers sowieso: Gerade wurden zwei Frauen zum Tode verurteilt, weil sie lesbisch sind. Und so wehren sich die Frauen, zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik, explizit gegen ihre strukturelle Entrechtung. Und an ihrer Seite kämpfen Männer. Auch das hat man noch nicht gesehen: wie Männer sich vor Frauen stellen, wenn sie angegriffen werden, weil sie den Hijab ablegen. Wie Männer mit den Frauen auf den Strassen rufen: Jin, Jiyan, Azadi! Frauen, Leben, Freiheit!

Diese Einigkeit, diese Solidarität ist es, die diese Proteste von anderen unterscheidet: Es ist nicht die wirtschaftliche Lage, die die Menschen vereint, nicht eine gefälschte Präsidentschaftswahl, sondern einer der Grundpfeiler der Suppression: die Unterdrückung der Geschlechter. Das stellt eine ganz andere, viel nachhaltigere und genuinere Verbindung zwischen den Protestierenden her.

Dieser Protest ist so stark, weil er identitätsstiftend ist. Dieser Widerstand muss sich nun organisieren. Das Regime übt sich seit 43 Jahren in gewaltvoller Oppression, mit starker Armee und Miliz. Auch wenn diese Proteste am Ende niedergeschlagen werden sollten: Sie sind der Beginn einer grösseren Bewegung. Und sie werden, irgendwann, das Ende dieses Regimes besiegeln.

Gilda Sahebi ist Ärztin und Politikwissenschaftlerin. Als Autorin schreibt sie unter anderem für die «taz» über Themen wie Rassismus, Antisemitismus und den Nahen Osten.

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Farima

Ich denke auch, dass aus dieser Bewegung organisierte Strukturen entstehen können und freue mich darüber, auch wenn der Preis schmerzhaft hoch ist. Eine Ausführung, wieso die Unterdrückung der Geschlechter der Grundpfeiler der islamischen Republik ist, fehlt leider und dass Frauen das erste mal explizit zurückkämpfen stimmt so nicht. Sie haben 1979 sehr stark gegen die neuen Gesetze gekämpft und sind damals schon brutal niedergeschlagen worden und seither widersetzen sie sich einzeln Schritt für Schritt: durch das stückchenweise auflockern der Verhüllung haben sie unter der ständigen Gefahr, ihr Leib und Leben zu riskieren, seit jeher Widerstand geleistet. Ich finde das sollte explizit betont werden, auch, da es wegbahnend für den Beginn der kollektiven Proteste war. Sonst guter Artikel, liebe Grüße!