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Kommentar zu Israel und Gaza: Schweigen gegen den Hass

Politik

Kommentar zu Israel und Gaza: Schweigen gegen den Hass

Der Israel-Gaza-Krieg drängt sich immer stärker auch in zwischenmenschliche Beziehungen vor: Man steht entweder auf der einen Seite oder auf der anderen. Doch Redaktorin Helene Aecherli schreibt in ihrem Kommentar: Schweigen kann der richtige Weg sein.

Ich kokettiere nicht, wenn ich sage, dass mir derzeit die Worte fehlen. Dabei weiss ich, dass sie da sind. Sie schwirren im Kopf herum, bilden Gedankenfetzen, Satzbruchstücke, innere Dialogsplitter. Aber sie genügen nicht, um ausgesprochen zu werden, reichen nicht aus, um die Komplexität der Geschehnisse zu erfassen, die sich seit dem 7. Oktober im Nahen Osten abspielen: Der furchtbare Terrorangriff der Hamas, bei dem über 1200 Frauen, Männer und Kinder in Israel massakriert und rund 240 entführt wurden.

Israels Einmarsch im Gazastreifen: Über 14000 Frauen, Männer und Kinder, vertrieben und getötet, ihre Häuser, Strassen, Spitäler zerstört. Und darüber hinaus als gnadenloses Grundrauschen, schreckliche Szenen, die sich quasi in Echtzeit über Instagram, TikTok und X verbreiten, die Solidarität und Mitgefühl wecken, aber auch Hass und Häme potenzieren.

Längst sind die Echokammern der Social Media zu zusätzlichen Schauplätzen des Krieges geworden, der immer stärker auch auf die Strassen westlicher Grossstädte vordrängt und in zwischenmenschliche Offline-Beziehungen: Man steht entweder auf der einen Seite oder auf der anderen. Enthaltung? Unmöglich.

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«Empathie wird selektiv zum Ausdruck gebracht, das Leiden der andern relativiert, verhöhnt oder schlichtweg ignoriert»

Im Prinzip ist es einfach, klare Worte zu finden, ohne Partei zu ergreifen. «Wenn dein moralischer Kompass nur auf das Leiden der einen Seite ausgerichtet ist, ist dein Kompass zerbrochen, und damit auch deine Menschlichkeit», schrieb der amerikanische Journalist Nicholas Kristof kurz nach dem 7. Oktober. Diese Worte habe ich verinnerlicht. Denn das Leiden aller anzuerkennen, es zu sehen und zu spüren, ist ein so intuitiver wie grundlegender menschlicher Akt, die Basis unseres Zusammenlebens.

Doch zeigt der aktuelle Nahostkonflikt wie kaum ein Konflikt zuvor, wie brüchig diese Basis ist. Wie selektiv Empathie zum Ausdruck gebracht werden kann, während das Leiden der andern relativiert, verhöhnt oder schlichtweg ignoriert wird. Ich bin entsetzt darüber, mit welch unerbittlicher Rechthaberei Bilder und Videos im Internet geteilt, geliket und kommentiert werden, die zynischer nicht sein könnten. Womit diese User:innen – darunter auch Bekannte von mir – nicht nur die Dynamik des Hasses beschleunigen, sondern sich zu Propagandist:innen der Kriegsparteien machen.

Und es enttäuscht mich zutiefst, dass gar manche Vertreter:innen feministischer und akademischer Organisationen, die sonst nicht davor zurückscheuen, Kriege und dadurch verursachte Menschenrechtsverletzungen anzuprangern, ausgerechnet jetzt schweigen.

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«Bei genauerem Hinhören offenbart sich möglicherweise gerade im Schweigen eine unterschätzte Kraft »

Schweigen wirkt oft konspirativ, schürt Misstrauen. Das Brechen des Schweigens wird in Zeiten der Krise deshalb immer wieder als Imperativ formuliert. Aber: Schweigen ist ambivalent. Bei genauerem Hinhören offenbart sich möglicherweise gerade in diesem aktuellen Schweigen, in dieser Wortlosigkeit, eine unterschätzte Kraft. Denn Schweigen bedeutet nicht zwingend, dass man mit einer Seite sympathisiert und sich deshalb bedeckt halten will.

Vielmehr spricht aus dem Schweigen häufig die Angst, missverstanden zu werden. Oder es zeugt von der Einsicht, dass man überfordert ist, weil man zu wenig über die komplexen historischen und gesellschaftspolitischen Hintergründe dieses neusten Nahostkonflikts weiss. Wer schweigt, verschafft sich selbst Raum, um in der Stille innezuhalten und nachzudenken, die eigene Haltung kritisch zu hinterfragen.

Wer schweigt, kann klüger werden und empathischer. Wer schweigt, gestattet sich, mal keine Meinung, statt einfach nur Recht zu haben. Vielleicht liegt im  Fehlen der Worte letztlich sogar ein Hebel, um dem Strudel von Hass und Häme, von Misstrauen und Unverständnis die Kraft zu nehmen. Zumindest dort, wo wir es direkt beeinflussen können – in unserem eigenen unmittelbaren Umfeld. Online wie offline.

annabelle-Redaktorin Helene Aecherli hofft, dass alle Geiseln freikommen, die Waffen in Gaza schweigen, und dass endlich über eine politische Lösung des Kriegs diskutiert wird. Nachhaltiger Frieden aber, davon ist sie überzeugt, wird eine Generationenaufgabe sein.

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