Politik
Kathrin Bertschy über neue Elternzeit-Initiative: «Ja, das kostet – aber es zahlt sich aus»
- Text: Andrea Kucera
- Bild: Keystone
Eine überparteiliche Allianz stellt heute Donnerstag eine neue Initiative für je 18 Wochen bezahlte Elternzeit für Mutter und Vater vor. Im Interview erklärt Mitinitiantin Kathrin Bertschy, Nationalrätin und Co-Präsidentin des Frauendachverbands Alliance F, warum sich die Investition in dieses «Generationenwerk» lohne.
Die Einführung einer Elternzeit ist ein politischer Dauerbrenner: Mindestens ein Dutzend Anläufe haben Politiker:innen auf nationaler und kantonaler Ebene in den letzten Jahren genommen – bisher ohne Erfolg. Nach wie vor gibt es in der Schweiz nur einen vierzehnwöchigen bezahlten Mutterschaftsurlaub und seit 2021 einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub.
Nun wagt eine überparteiliche Allianz mit Vertreter:innen aller Parteien ausser der SVP einen neuen Versuch: Heute Donnerstag stellt das Initiativkomitee in Bern die Familienzeit-Initiative «Starke Gesellschaft und Wirtschaft dank Elternzeit» vor. Sammelstart ist im Frühling 2025. Kostenpunkt: Rund eine Milliarde Franken pro Jahr.
Eine der treibenden Kräfte hinter der Initiative ist die Berner GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy. Die 45-Jährige ist Co-Präsidentin des Frauendachverbands Alliance F. Im Interview mit annabelle erklärt sie, weshalb die Eltern ihre Familienzeit nacheinander beziehen müssten, warum insbesondere die Männer von diesem neuen «Generationenwerk» profitieren würden und ab wann sich die Investition volkswirtschaftlich auszahlt.
annabelle: Kathrin Bertschy, warum braucht die Schweiz eine Elternzeit?
Kathrin Bertschy: Weil wir ein Land sein wollen, das in seine Kinder investiert. Ein Land, das dies nicht tut, ist kein Land der Zukunft. Früher investierte die Schweiz in ihre Bahninfrastruktur. Heute benötigen wir neue Schlüsselinfrastrukturen für die mittlere Generation, welche die Hauptlast für das Erwirtschaften des Wohlstands trägt: Sie zieht die Generation der Zukunft auf, sie ist erwerbstätig und sie finanziert die Sozialwerke. Es braucht ein neues Generationenwerk, das Eltern gute Rahmenbedingungen bietet.
Was fordert die Initiative konkret?
Wir fordern eine gleich lange Familienzeit für Mutter und Vater von je 18 Wochen. Die Eltern können diese Zeit in Anspruch nehmen, müssen aber nicht. Die Familienzeit wird paritätisch aufgeteilt und ist nicht übertragbar: Wenn ein Elternteil auf seinen Anteil verzichtet, geht der Anspruch nicht auf den anderen Part über, sondern verfällt.
36 Wochen Familienzeit tönt nach viel. Wie grosszügig oder knausrig wäre diese Lösung im internationalen Vergleich?
Mit der heutigen Situation mit 14 Wochen Mutterschaftsurlaub und zwei Wochen Vaterschaftsurlaub bildet die Schweiz das europäische Schlusslicht. Mit der neuen Lösung hätten Schweizer Eltern immer noch weniger Familienzeit zur Verfügung als in vielen anderen Ländern: Norwegen etwa gewährt den Eltern rund 40 Wochen, Frankreich 70 Wochen und Deutschland 14 Monate. Österreichische Paare bekommen 60 Wochen, wobei mindestens 13 Wochen für den Vater bestimmt sind.
«Die Bindung der Väter zum Kind wird verstärkt, wenn sie nach der Geburt zu gleichen Teilen wie die Mutter zuhause Verantwortung übernehmen»
Die Initiative hat einen anderen Weg gewählt. Sie will, dass Väter gleich viel Familienzeit wie die Mütter bekommen. Warum?
Weil die Forschung den Schluss nahelegt, dass sich die Bindung der Väter zum Kind verstärkt, wenn sie nach der Geburt zu gleichen Teilen wie die Mutter zuhause Verantwortung übernehmen. Sie sind glücklicher, gesünder und langfristig stärker engagiert. Das ist auch für die Mütter eine gute Nachricht.
Inwiefern?
Sie profitieren von einer gleichberechtigteren Partnerschaft und können sich beruflich besser entfalten. Aus der Erfahrung anderer Länder wissen wird, dass die Partizipation der Mütter am Arbeitsmarkt steigt, wenn auch die Väter in die Betreuung des Nachwuchses eingebunden werden. Kehren sie hingegen nach zwei Wochen an den Arbeitsplatz zurück, zementiert sich die traditionelle Rollenteilung: Der Mann bleibt hauptsächlich für das Einkommen zuständig, die Frau für die Betreuung des Nachwuchses. Aus der Forschung wissen wir: Solche Stereotype werden in den ersten Lebensmonaten des gemeinsamen Kindes besiegelt. Und dem wollen wir entgegenwirken.
Die Initiative legt fest, dass die 18 Wochen Familienzeit nacheinander bezogen werden. Warum diese Einschränkung?
Die Erfahrung in anderen Ländern zeigt, dass frischgebackene Eltern einfach Familienurlaub machen, wenn sie die Elternzeit gleichzeitig beziehen können. Gegen Familienferien ist nichts einzuwenden. Aber aus volkswirtschaftlicher Perspektive ist es nicht lohnenswert, ein solches Modell zu finanzieren. Was die Familienzeit für den Staat interessant macht, ist die Aussicht, dass Mütter für den Arbeitsmarkt freigespielt werden. Doch das gelingt nur, wenn die Eltern ihre Familienzeit nacheinander beziehen.
«Wir fordern, dass bei tiefen Einkommen 100 Prozent des Lohns entschädigt wird und nicht wie üblich 80 Prozent»
Väter könnten doch auch einfach unbezahlten Urlaub nehmen. Das wäre günstiger und entspräche der liberalen Grundordnung der Schweiz.
Wenn der Vaterschaftsurlaub nicht entschädigt wird, dann machen nur gutbetuchte Eltern davon Gebrauch. Alle anderen können es sich nicht leisten. Auch das zeigt die Erfahrung in anderen Ländern. Die Initiative will aber für alle Familien verbesserte Rahmenbedingungen! Deshalb fordern wir, dass bei tiefen Einkommen 100 Prozent des Lohns entschädigt wird und nicht wie üblich 80 Prozent. Niemand soll aus finanziellen Gründen auf die Familienzeit verzichten.
Apropos Finanzen: Wie viel würde diese neue Sozialleistung kosten, und wer soll dafür aufkommen?
Die Familienzeit kostet rund eine Milliarde Franken pro Jahr. Finanziert werden soll sie wie bis anhin die Mutterschaftsentschädigung und die Entschädigung für Militärdienstleistende durch die Erwerbsersatzordnung (EO). Und zwar über Lohnbeiträge, die hälftig von Arbeitnehmenden und Arbeitgeber:innen bezahlt werden.
Eine Milliarde Franken ist ein Haufen Geld. Warum soll die Wirtschaft diese Zusatzkosten auf sich nehmen?
Ja, die Familienzeit kostet, aber es zahlt sich aus. Eine im Auftrag des Initiativkomitees erstellte Studie kommt zum Schluss, dass sich diese Investition längerfristig lohnt: Jedes Jahr werden 2500 Vollzeitbeschäftigte mehr im Arbeitsmarkt tätig sein. Und zwar, weil dank der Elternzeit Mütter früher und zu höheren Pensen in den Beruf zurückkehren. Spätestens nach 25 Jahren sind die Kosten dank Mehreinnahmen in den Steuern und bei den Sozialversicherungen wieder gedeckt.
Es fällt schwer zu glauben, dass 36 Wochen Familienzeit nach der Geburt eine solche Wirkung entfalten können.
Diese Initiative löst nicht alle Vereinbarkeitsprobleme. Es braucht zusätzlich auch erschwingliche Kita-Plätze für die Zeit nach den ersten Lebensmonaten eines Kindes. Es braucht verschiedene Puzzleteile, damit Gleichstellung gelingt und Frauen dieselben Chancen haben auf dem Arbeitsmarkt wie Männer. Heute legen wir den Fokus auf die Familienzeit. Denn noch einmal: In den ersten Monaten werden die Weichen für das zukünftige Familienleben gestellt. Wer Kinder und Fachkräfte will, der muss bei der Elternzeit ansetzen.