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Gekipptes Abtreibungsgesetz in den USA: Hände weg von unseren Körpern

Politik

Gekipptes Abtreibungsgesetz in den USA: Hände weg von unseren Körpern

Dass der amerikanische Supreme Court das landesweite Recht auf Abtreibungen in den USA kippte, ist eine Katastrophe. Wen diese Entscheidung am härtesten trifft und warum uns das Thema auch in der Schweiz alle etwas angeht.

«Mein Herz ist gebrochen», «Ich finde keine Worte», «Fühle mich leer, hilflos, ohnmächtig», «Ich habe Angst, Sex zu haben», so Stimmen bei Social Media: Das Urteil des Supreme Court (Oberster Gerichtshof der Vereinigten Staaten) am Freitag sorgte weltweit für Entsetzen. Seit fast fünf Jahrzehnten galt in den USA mit dem Urteil «Roe versus Wade» ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch – dieses hat das Oberste Gericht nun verworfen. Da die Verfassung kein Recht mehr auf Abtreibung gewährt, können die Bundesstaaten ab sofort Schwangerschaftsabbrüche verbieten.

Das Urteil ist ein direkter Angriff auf unsere körperliche Selbstbestimmung – und Millionen von Menschen, die schwanger werden können, verlieren den Zugang zu legalen und sicheren Abtreibungen. Wie viele Menschen werden aufgrund dieser Entscheidung sterben? Denn nur weil Schwangerschaftsabbrüche verboten werden, heisst es nicht, dass es keine mehr gibt – vielmehr werden sie heimlich und unter gefährlichen Bedingungen durchgeführt, die im schlimmsten Fall zum Tod der betroffenen Person führen können.

Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches wird zur Straftat

Dass «Roe versus Wade» gekippt wurde, ist eine Katastrophe. Eine Katastrophe besonders für alle, die schwanger werden, obwohl sie kein Kind wollen. Sich ein Kind finanziell nicht leisten können. Nicht freiwillig schwanger wurden. Oder ein Kind aus gesundheitlichen Gründen nicht austragen können oder wollen.

Nach der Entscheidung am Freitag ist das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen in mindestens acht US-Bundesstaaten sofort umgesetzt worden. In 13 Staaten sind sogenannte «Trigger Law»-Gesetze in Kraft, die Abtreibungen in den nächsten 30 Tagen verbieten sollen. Die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches wird nun vielerorts zu einer Straftat, die mit langjährigen Gefängnisstrafen geahndet wird. Und nicht nur Abtreibungen: Auch Fehlgeburten dürfen in den betroffenen Staaten potenziell als Straftat untersucht werden.

Wer in Arkansas, Louisiana und Oklahoma eine Abtreibung vornimmt, dem drohen zehn Jahre Gefängnis – es sei denn, der Eingriff dient der Rettung des Lebens der schwangeren Person. In Missouri droht jeder Person, die eine Abtreibung vornimmt, eine Gefängnisstrafe von bis zu 15 Jahren – es sei denn, der Eingriff erfolgt im Falle eines medizinischen Notfalls.

Die Hälfte des Landes wird vom Abtreibungsverbot betroffen sein

Die «Washington Post» schätzt, dass etwa die Hälfte des Landes vom Abtreibungsverbot betroffen sein wird. Besonders ekelerregend: Während 13 Staaten Schwangerschaftsabbrüche erlauben, um das Leben der Schwangeren zu retten, sehen nur fünf Ausnahmen für Vergewaltigung oder Inzest vor. Man zwingt nun also Menschen, die vergewaltigt und dabei schwanger wurden, das Kind auszutragen. Ich verstehe nicht, in was für einer Welt das von jemandem gutgeheissen werden kann. Und unter welchen Umständen das als ethisch korrekt gelten soll.

Der Aufschrei und die Verzweiflung nach der Entscheidung des Supreme Court, mittlerweile dank Personalentscheidungen aus der Ära Trump mehrheitlich konservativ, ist riesig. Aber auch der Wille, dagegen zu kämpfen: Bei Tiktok solidarisieren sich User:innen aus Staaten, in denen Abtreibungen legal bleiben sollen, mit Amerikaner:innen aus anderen Teilen des Landes. Sie bieten ihnen ihre Unterkunft und Hilfe für ihren «Camping Trip» (wie es Tiktok-gerecht für den Gang in die Ärzt:innenpraxis heisst) an.

Fachpersonen teilen bei Social Media Tipps für eine sichere medikamentöse Abtreibung, die sich zu Hause durchführen lässt. Und unzählige US-Firmen wie Starbucks, Netflix, Disney oder PayPal bieten ihren Mitarbeiter:innen an, die Reisekosten für eine Abtreibung in einem anderen Staat zu übernehmen.

Denn wer nun besonders unter der Illegalisierung von Abtreibungen leidet, sind Menschen mit geringem Einkommen, die sich eine Reise in einen anderen Staat und eine kurze Auszeit vom Job nicht leisten können. Und People of Color.

Kritik an «The Handmaid’s Tale»-Vergleich

Bei Social Media sorgen denn auch Vergleiche mit der dystopischen Serie «The Handmaid’s Tale» für Diskussionen. In der Verfilmung von Margaret Atwoods Roman aus dem Jahr 1985 übernimmt eine fundamentalistische Gruppe nach einer nuklearen Umweltkatastrophe die Macht in den USA. Indem Frauen als Sklavinnen gehalten und zu sexueller Dienerschaft gezwungen werden, will die Gruppe sichergehen, dass Nachkommen garantiert sind. Bei Instagram und Tiktok häufen sich düstere Memes, in denen die aktuelle Lage mit «The Handmaid’s Tale» gleichgesetzt wird.

«Finde es interessant, dass weisse Frauen nicht aufhören, die Situation in den USA mit ‹The Handmaid’s Tale› zu vergleichen, obwohl BIPoCs (vor allem Schwarze und indigene Frauen) ihnen seit Ewigkeiten immer und immer wieder sagen, dass Atwood ihre Traumata exploited (ausgebeutet, Anm. der Redaktion) hat», schreibt etwa eine Twitter-Userin.

Eine andere Twitter-Userin ergänzt: «Zum Thema The Handmaid’s Tale: Margaret Atwood hat im Grunde genommen das, was indigenen und Schwarzen Frauen in den USA in der Geschichte widerfahren ist, auf weisse Frauen in einem fiktiven Werk angewendet. Dann und nur dann haben viele Weisse erkannt, wie schrecklich das ist. Es macht so wütend.» 

«Schwarzen Frauen wird nicht geglaubt»

Laut Michelle Colon, Gründerin der Organisation SHERo, die sich für Zugang zu Abtreibungen in Mississippi einsetzt, sei der Anteil an People of Color in den Staaten, die am ehesten ein Abtreibungsverbot verhängen, sehr viel höher. Laut Colon seien Gemeinschaften von POC bereits unverhältnismässig stark von Abtreibungsbeschränkungen betroffen.

POC seien – unabhängig von der Gesellschaftsschicht – allein durch die Geburt eines Kindes einem erhöhten Risiko ausgesetzt und hätten ein höheres Risiko als weisse Personen, bei der Geburt zu sterben. «Die Hauptursache ist Rassismus. Wenn Schwarze Frauen von Schwangerschaftskomplikationen betroffen sind, wird ihnen nicht zugehört. Es wird ihnen nicht geglaubt. Es wird angenommen, dass sie eine höhere Schmerzgrenze haben», sagt Dr. Ushma Upadhyay zu «NPR».

Es geht um Kontrolle und Macht

Egal ob in den USA, in Polen, in Malta oder in El Salvador, wo einem bis zu 30 Jahre Gefängnis drohen, wenn man sein Kind verliert (!) oder abtreiben lässt: Beim Verbot von Abtreibungen geht es nicht darum, Leben zu retten, sondern um Kontrolle und Macht. Über unsere Körper und über unsere Freiheit. Jede Person hat das Recht verdient, selbst über sich, den eigenen Körper und das eigene Leben zu entscheiden. Und dazu gehört auch, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, wenn dies erforderlich ist.

Es geht nicht darum, Embryos zu schützen, sondern Frauen zu bestrafen. Frauen, die es wagen, sexuell aktiv zu sein, ohne sich fortpflanzen zu wollen. Denn mit Unterstützung können Betroffene in den USA – einem Land, in dem Waffen mehr Rechte als Frauen haben – nicht rechnen: Das Sozialsystem ist kaputt, das Foster System überlastet. Doch genau in diesem System sollen nun alle, die schwanger werden, ihr Kind austragen müssen. Auch wenn sie dies nicht wollen oder dazu in der Lage sind.

In der Schweiz lancieren SVP-Nationalrätinnen Abtreibungsinitiativen

Wer denkt, dass nur Amerikaner:innen betroffen sind, irrt gewaltig: Die Diskussion um reproduktive Autonomie betrifft uns alle – und auch wir müssen unsere Rechte verteidigen und uns weiter gegen patriarchale Strukturen wehren.

Die beiden SVP-Nationalrätinnen Andrea Geissbühler und Yvette Estermann lancierten zwei Volksinitiativen für weniger Schwangerschaftsabbrüche, für die derzeit noch bis Juni 2023 Unterschriften gesammelt werden. Die «Einmal-darüber-schlafen-Initiative» fordert vor jeder Abtreibung einen Tag Bedenkzeit (weil man so eine Entscheidung ja im Normalfall immer gerne sehr unüberlegt und spontan trifft, I guess). Die zweite, «Lebensfähige-Babys-retten-Initiative», will Spätabtreibungen verbieten, die zu einem Zeitpunkt erfolgen, an dem das Kind ausserhalb des Mutterleibes – theoretisch – lebensfähig wäre.

Zusätzlich zu den beiden Initiativen soll gegebenenfalls auch noch eine «Herzschlag-Initiative» lanciert werden: In Anlehnung an die «Heartbeat Bill» in Texas erwägen Estermann und SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal die sogenannte «Herzschlag-Initiative». Damit würden Abtreibungen illegal, sobald der Herzschlag des Fötus – also ab der fünften oder sechsten Schwangerschaftswoche – hörbar ist.

Nachrichten wie das Ende von «Roe versus Wade» sind zermürbend und machen Angst – weil einmal mehr bewusst wird, wie schnell ein Rückschritt passieren kann. Umso wichtiger ist es, dass wir uns auch in der Schweiz nicht in falscher Sicherheit wähnen, sondern weiterkämpfen – für die Selbstbestimmung über unsere Körper, für unsere Autonomie, für unsere Rechte.

Für Fragen und Sorgen zum Thema Schwangerschaftsabbruch gibt es die Fachstellen für sexuelle Gesundheit – hier findest du eine in deiner Nähe: sexuelle-gesundheit.ch/beratungsstellen 

Hier findest du eine Liste von Adressen von Ärzt:innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen: schwangerschaftsabbruch.org

Du willst mit jemandem reden? Hier findest du Hilfe: 143.ch

Die Frauenberatung unterstützt und berät Frauen, die von sexueller und/oder häuslicher Gewalt betroffen sind: frauenberatung.ch

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Betta

Danke für diesen Text. Ich finde diese Aussichten haarsträubend.