Was treibt junge Frauen in den Jihad?
- Text: Helene Aecherli; Foto: Keystone
Sie schwärmen für Märtyrer, verherrlichen in den Social Media das Leben im Jihad, locken Gleichgesinnte ins Kriegsgebiet und amten als strenge Sittenwächterinnen. Was bringt junge Frauen dazu, ihr Leben dem Terrorismus hinzugeben?
«Merkt euch, Cameron/Obama, ihr werdet unter unseren Füssen sein, und eure Länder und eure Ungläubigen werden vernichtet. Und wenn nicht ihr selbst, dann eure Enkelkinder oder deren Enkelkinder. Sollten wir je in eure Länder zurückkehren, dann nur, um dort unsere Fahne zu hissen. Ich werde einzig unserem geliebten Ameer verpflichtet sein, unserem Herrscher, dem Zerstörer der Feinde, Abu Bakr al-Baghdadi, und dem Islamischen Staat.» Umm Layth (20), ehemalige Radiologie-Studentin aus Glasgow
Diese Kampfansage veröffentlichte Aqsa Mahmood letzten Herbst in ihrem Tumblr-Blog, den sie führt, seit sie vor gut einem Jahr ausgerissen ist, um sich in Syrien dem Islamischen Staat (IS) anzuschliessen. Aqsa Mahmood ist zwanzig Jahre alt, in Glasgow geboren und aufgewachsen. Heute nennt sich die einstige Radiologie-Studentin Umm Layth, Mutter Layth. Älteren Tweets zufolge hatte sie schon lange davon geträumt, in den Jihad zu ziehen. Sie tauschte sich auf Twitter mit Gleichgesinnten aus, postete kindliche Zeichnungen von Kämpferinnen. Eine davon zeigt ein Schulmädchen, schwarz verhüllt, in ihren Händen eine Kalaschnikow, über ihrem Kopf eine Gedankenblase, darin eine betende Frau und der Weg ins Jenseits. Aqsas Eltern, erfolgreiche Geschäftsleute pakistanischer Herkunft, blieben verzweifelt in Glasgow zurück. «Wir sind voller Trauer und Scham über unsere Tochter», liessen sie sich im «Scottish Express» zitieren. Und sie warnten: «Wenn unsere Tochter, die alle Chancen und Freiheiten hatte, radikalisiert werden kann, dann kann dies in jeder Familie passieren.»
Frauen gelten traditionellerweise als Opfer und Friedensstifterinnen, kaum aber als Täterinnen
Aqsa Mahmoods Verehrung für die Terrormiliz machte weltweit Schlagzeilen. Ähnliches Aufsehen erregten die Österreicherinnen Samra K. (16) und Sabina S. (15), die in Raqqa, der «Hauptstadt» des Islamischen Staats, Gotteskrieger geheiratet haben sollen, sowie die britische Konvertitin und zweifache Mutter Sally Jones alias Umm Hussain al-Britani, die auf Twitter davon träumt, Christen eigenhändig den Kopf abzuschneiden. «Irre Einzelfälle», könnte man nun sagen und läge damit wohl nicht gänzlich falsch. Dennoch greift diese Schlussfolgerung zu kurz: Denn mit Umm Layth und ihren Mitschwestern offenbart der IS seine weibliche Fratze.
Dass nicht nur Männer, sondern auch Frauen der Blutspur des IS folgen, wird weitgehend ausgeblendet. Das ist symptomatisch. «Frauen in terroristischen Gruppen ist ein Thema, das von Wissenschaftern und Medien lange vernachlässigt wurde», sagt Tatyana Dronzina, Politologieprofessorin an der Universität Sofia und eine der wenigen, die seit Jahren die Rolle von Frauen im Terrorismus erforschen. Frauen gelten traditionellerweise als Opfer und Friedensstifterinnen, kaum aber als Täterinnen. Der Part werde vornehmlich Männern zugeschrieben. «Dieses Genderstereotyp macht uns blind dafür, dass Frauen dieselbe ideologische Inbrunst, Gewaltbereitschaft und Grausamkeit entwickeln können wie Männer.» So ist der IS bislang denn auch als reines Männerbündnis beschrieben worden, als «Ritterorden der zu kurz Gekommenen, der sozialen Versager, der Randalierer und Träumer», wie der «Tages-Anzeiger» schrieb. Die Kämpfer und deren Motive werden ausgiebig analysiert, Typen wie der erfolglose deutsche Rapper Deso Dogg, der im Gefängnis sass, ein Underdog.
Schätzungen zufolge sind jedoch 10 bis 15 Prozent der gut 3000 Gotteskrieger aus Europa, den USA und Australien weiblich. Laut den malaysischen Sicherheitsbehörden befinden sich mindestens fünfzig ihrer Staatsbürgerinnen auf IS-Gebiet; das National Security Committee Kasachstans verzeichnet einen Exodus von 150 Frauen, und Marokko gibt an, dass unter seinen gut 1300 Jihadisten 25 Prozent Frauen seien. Aus der Schweiz sind 37 Jihadreisende nach Syrien und Irak bekannt, ob sich auch Frauen darunter befinden, ist unklar. Eine Taskforce des Bundes prüft derzeit eine Hotline für besorgte Eltern, deren Söhne und Töchter mit dem IS sympathisieren.
Anfänglich wird nur per Übersetzungs-App miteinander kommuniziert
Noch gibt es keine klaren Profile der jungen IS-Aktivistinnen, die ihre Heimat verlassen und die gefährliche Reise auf sich nehmen; die Hijra, wie sie in Anlehnung an Prophet Mohammeds Auszug von Mekka nach Medina im Jahr 622 genannt wird. Zumindest Einblicke in die Befindlichkeit dieser Frauen liefern eine Handvoll Bloggerinnen wie Aqsa Mahmood oder auch Umm Ubaydah, die kaum Personalien preisgibt, ausser dass sie aus Nordeuropa stammt; aus Schweden, wie Experten vermuten. Umm Ubaydah ist berühmt geworden für ihren Tweet, den sie im August an ihre Freundinnen in der IS-kontrollierten syrischen Stadt Manbij geschickt hatte: «Ich mache Pfannkuchen, und es gibt Nutella, kommt doch schnell rauf.»
Eine weitere Quelle ist Shams, eine knapp 20-jährige malaysische Medizinstudentin, die als Bird of Jannah, Vogel des Paradieses, von sich und ihrem Leben beim IS erzählt. So gesteht sie etwa, dass sie schockiert war, als ihr Zukünftiger, ein junger Marokkaner, sie am Tag des Kennenlernens fragte, ob sie nicht gleich heiraten könnten. Sie habe dann aber Ja gesagt, weil sie sich als verheiratete Frau in ihrer neuen Heimat freier bewegen könne. Und sie beschreibt, wie sie und ihr Mann anfänglich nur per Übersetzungs-App miteinander kommunizierten, weil er kein Englisch sprach und sie kein Arabisch.
Die Anhängerinnen der Terrormiliz, das bestätigt die Forschung, sind eine überraschend heterogene Gruppe: Sie stammen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten, haben Pass und Geld, sind «gebildet und hoch politisiert», sagt der britische Soziologe Ilyas Mohammed, der für Forschungsarbeiten radikalisierte junge Muslime in ganz Europa interviewt hat. Die meisten dieser Frauen sind sehr jung, zwischen 15 und 25 Jahre alt, oft Kinder oder Grosskinder von Immigranten. Sie gehören einer Generation an, die sich im Gegensatz zu ihren Eltern von der Gemeinschaft des Aufnahmelandes sowie von der eigenen Community zusehends entfremdet fühlt.
Gründe hierfür sind die beschränkten Möglichkeiten zur politischen Partizipation; das Wegschauen westlicher Regierungen angesichts der wachsenden Ghettoisierung muslimischer Gemeinden; der Aufschwung rechtskonservativer Parteien und islamophober Bewegungen. Und der Zorn über die als ungerecht empfundenen Interventionen des Westens und seiner Verbündeten im Irak, in Bosnien, Mali, Afghanistan und Syrien.
Besonders ins Gewicht fällt aber auch die Unfähigkeit islamischer Vereinigungen, sich kritisch mit der eigenen Religion auseinanderzusetzen. «Es wäre einfach, darauf zu beharren, dass der IS nichts mit den korrekten Lehren des Islam zu tun habe», schreibt die jemenitisch-schweizerische Politologin Elham Manea im Essay «Time to Face the ISIS Inside of Us»: «Tatsache ist jedoch», betont sie, «dass die Aktionen der Terrormiliz eine Konsequenz des islamischen ideologischen Mainstreamdiskurses sind, der seit Jahrzehnten andauert.» Sie denke da an Prediger, die via Fernsehen, Internet und in Moscheen Botschaften von Hass und Intoleranz verbreiten. Die Christen, Juden und säkulare Muslime verfluchen, aber querbeet auch andere «Ungläubige», seien es Homosexuelle, Künstler oder muslimische Menschenrechtsaktivistinnen, die gegen den islamistischen Terror ankämpfen. Die Hassbotschaften blieben meist unwidersprochen, würden kaum durch aufklärende Stimmen herausgefordert. Auf diese Weise hätten radikale Prediger und Gruppierungen, unterstützt von Sponsoren unter anderem aus Saudiarabien und Katar, mühelos das Feld erobern können – Rattenfänger für junge Leute, das Prädikat «wahrer Islam» auf ihren Bannern
Denn anders als etwa die Terrororganisationen Boko Haram in Nigeria oder die somalische al-Shabaab verfolgt der IS die Absicht, einen auf der Scharia gründenden, multi-ethnischen sunnitischen Staat zu errichten; ein Projekt, das so noch nie da gewesen ist und sich als Alternative anbietet zum «Leben, das beschränkt ist von den Regierungen der Ungläubigen», wie es Bloggerin Umm Layth ausdrückt. «Der IS verbreitet eine Utopie, die Vision einer Gesellschaft, die sich um ihre Bürger kümmert, die gerecht ist, in der jeder eine Rolle hat und an deren Aufbau jeder mitwirken kann», sagt Humera Khan, Direktorin von Muflehun, einem Thinktank in den USA, der auf die Prävention von Extremismus spezialisiert ist.
Jihadist werde oft als «Robin Hood der islamischen Gesellschaft» verstanden
Junge Menschen, die sich dem IS anschliessen, müssen also nicht zwingend schon radikalisiert sein, oft genügt allein schon der Wunsch, etwas zu verändern, einem höheren Zweck zu dienen. Sobald sie aber vor Ort sind, durchlaufen sie einen Indoktrinierungsprozess, eine ideologische Gehirnwäsche. Mit dem Resultat, dass die Versklavung Tausender jesidischer Frauen, die Ermordung und grausame Bestrafung von Menschen, die ausscheren oder nicht dazugehören, ausgeblendet oder im Kampf «wir gegen sie» als legitim oder zumindest als unausweichlich erachtet werden.
Was eine junge Frau aber letztlich dazu bingt, einen Flug nach Syrien zu buchen, lässt sich nur erahnen. Auslöser können eine tiefe Religiosität und die Identifikation mit den Anliegen der Jihadisten sein – zusätzlich befeuert durch Kontakte aus dem Netz. Dies muss auch für die Bloggerin Bird of Jannah ein Trigger gewesen sein, denn sie schreibt: «Umm Tamim al-Britaniyah – sie ist die beste Freundin, die ich auf Facebook kennen gelernt habe. Wir haben immer über den Jihad und die Hijra diskutiert, und einen Monat nachdem sie sich aufgemacht hat, habe ich es getan. Wir versprachen einander, uns in Raqqa zu treffen.»
Forscher betrachten die Passion junger Frauen für den islamischen Extremismus aber auch als eine Form der Rebellion gegen die eigenen Eltern und deren Traditionen. Zumal jene, die sich aufmachen, um in den Jihad zu ziehen, explizit entbunden sein sollen von der Befehlsgewalt ihres Vaters und/oder ihres Ehemanns – was für viele Frauen sehr verlockend sein kann. Manche hingegen reisen einfach ihren Ehemännern nach, die bereits in Syrien kämpfen. Und irgendwo spielen wohl vemutlich auch naive Abenteuerlust und romantisierte Vorstellungen mit.
Harald Weilnböck, Mitarbeiter des Radicalization Awareness Network (RAN), eines Präventionsnetzwerks der EU-Kommission, wirft in diesem Zusammenhang das Konzept der Hyperfeminität und analog dazu der Hypermaskulinität in die Waagschale. Konzepte, die beispielsweise auch bei jungen Neonazis beobachtet wurden. «Junge, gewaltanfällige Männer und Frauen wissen in der Regel sehr wenig über die Geschichte und Ideologie der Bewegung, der sie sich anschliessen», erklärt er. «Männer motivieren vor allem Themen der Männlichkeit wie Ehre und Selbstverteidigung, während Frauen von der traditionellen Rolle der Hausfrau oder der erotischen Beziehung zum Helden fasziniert sind.» Gerade der Jihadist werde oft als «Robin Hood der islamischen Gesellschaft» verstanden. So sei es nicht verwunderlich, dass sich junge Frauen nach Syrien aufmachten in der Hoffnung, einen Kämpfer zu heiraten. Auch wenn dies nichts anderes bedeutet, als auf dessen Tod zu warten. «Ich kann Allah nicht darum bitten, meinem Mann ein langes Leben zu schenken», schreibt Bird of Jannah, «denn sein Tod ist vorbestimmt.»
In erster Linie dienen solche «Märtyrerinnen» jedoch PR-Zwecken
Die Leidenschaft, mit der sich Frauen der Terrormiliz anschliessen, weckt weltweit Ratlosigkeit. Doch in terroristischen Organisationen sind weibliche Mitglieder an sich nichts Aussergewöhnliches. «Alle bekannten radikalen Gruppen haben früher oder später Frauen rekrutiert, da ist der IS keine Ausnahme», sagt die bulgarische Politologin Tatyana Dronzina. So waren Frauen Mitgründer der Roten Armee Fraktion (RAF) und mordeten für die baskische Terrorgruppe ETA. Frauen engagieren sich in der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), im tschetschenischen Aufstand und kämpften unter den Tamil Tigers. «Frauen erhöhen die Glaubwürdigkeit dieser Gruppen und stärken unauffällig ihre Reihen.» Sie dienen als Botinnen oder Bewacherinnen, pflegen die Verletzten, werden an die Front geschickt, oft auch dazu gezwungen, wenn es zu wenig Kämpfer gibt, und für Attentate eingesetzt. Gerade die Tamil Tigers waren berüchtigt für ihre Selbstmordattentäterinnen, und auch jihadistische Gruppierungen greifen für Anschläge auf Frauen zurück. Denn Frauen gelten grundsätzlich als unverdächtig, werden meist weniger streng oder gar nicht kontrolliert.
In erster Linie dienen solche «Märtyrerinnen» jedoch PR-Zwecken – gegen aussen wie nach innen. «Eine Frau, die sich in die Luft sprengt, fordert die männlichen Jihadisten heraus und stärkt deren Kampfgeist», sagt Tatyana Dronzina. «Zudem garantiert eine Selbstmordattentäterin die grösstmögliche mediale Aufmerksamkeit. Es ist für eine Terrororganisation also der billigste und effizienteste Weg, ihre Ziele weltweit bekannt zu machen.» Billig auch deshalb, weil die Familie der Attentäterin nur mit der Hälfte des Geldes entschädigt werden muss, das den Angehörigen von männlichen Selbstmordbombern zusteht.
Kommt hinzu, dass eine Frau im Selbstmordattentat nicht selten den vermeintlich einzigen gangbaren Weg sieht, um sich von einem sozialen Stigma reinzuwaschen, etwa weil sie unverheiratet schwanger wurde oder ausserehelichen Sex hatte. Vergehen, die in fundamentalistisch-patriarchalischen Gesellschaften als Schande für die ganze Sippe gelten. «Der Märtyrertod», sagt Tatyana Dronzina lakonisch, «kann dann ein guter Deal sein.» Die Idee jedoch, im Selbstmordattentat einer Frau auch eine verquere Form von Emanzipation zu erkennen, verwirft sie entschieden. «Frauen in jihadistischen Gruppen haben mehr Pflichten, aber keineswegs mehr Rechte. Sie können zwar wählen, wie sie sterben, aber nicht, wie sie leben.»
Frauen obliegt die primäre Pflicht, sich mit Gotteskämpfern zu vermählen
Der Islamische Staat als künftige Nation will aber grundsätzlich weder Kriegerinnen noch Frauen, die sich in die Luft sprengen. Die einzigen Frauen, die innerhalb des IS Waffen tragen, sind die Mitglieder der Al-Khansaa-Brigade. Ein weibliches Polizeicorps, das im Februar 2014 in Raqqa gegründet wurde – benannt nach der legendären arabischen Dichterin al-Khansaa, die die Hauspoetin des Propheten Mohammed und Mutter von vier im Kampf verstorbenen Söhnen gewesen sein soll. Die Brigade zählt rund sechzig Polizistinnen, alle single und nicht älter als 25 Jahre. Ihr Verdienst: 160 Dollar im Monat. Sie haben die Aufgabe, an Checkpoints Frauen nach Waffen zu durchsuchen und als Frauen getarnte Männer auffliegen zu lassen. Zudem kontrollieren sie, ob sich die Bewohnerinnen Raqqas an den Scharia-Dresscode, die Vollverhüllung, halten, oder überprüfen das Unterrichtsmaterial an Schulen, sortieren verdächtige Gedichtbände aus und naturwissenschaftliche Bücher, massregeln Lehrerinnen. Frauen, die die strikten Regeln des IS brechen, werden ausgepeitscht.
Die weibliche Basis des Terrorstaats darf höchstens für Selfies und zu Propagandazwecken zur Kalaschnikow greifen. Denn den Frauen obliegt die primäre Pflicht, sich mit Gotteskämpfern zu vermählen; für Nachwuchs zu sorgen, um die nächste Generation von Kriegern sicherzustellen, den Haushalt zu führen und als Lehrerinnen, Krankenschwestern und Ärztinnen ihren Dienst am Staat zu erfüllen. Um diesem Anspruch Nachdruck zu verleihen, haben die Strategen der Terrormiliz ein Institut für Frauen eröffnet; das al-Zawra, eine Art Fachschule für Jihadistinnen. Auf dem Lehrplan stehen Kurse in Kochen und Nähen, Erste Hilfe, Islam- und Waffenkunde sowie Social-Media-Kompetenz und Webdesign.
Das Unterrichtsprogramm wirkt wie eine aufdatierte Version der «Message to the Muslim Sisters», die im Dezember 2009 von Umayma al-Zawahri, der Frau des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahri, verfasst wurde. Darin weist sie alle Frauen an, ihre Kinder zu Gotteskriegern zu erziehen und «ihre Brüder, Ehemänner und Söhne anzuspornen, Gebiete und Besitztümer von Muslimen zu verteidigen und die Jihadisten mit Gebeten und Geld zu unterstützen». Sollten die Frauen kein Geld spenden können, seien sie verpflichtet, religiöse Botschaften und die Taten der Jihadisten im Internet zu verbreiten.
Und so lobpreisen die «Jihad-Postergirls» wie Umm Ubaydah, Umm Layth und Bird of Jannah in ihren Blogs und auf Twitter denn auch die Vorstösse des IS und Hinrichtungen von Geiseln, etwa die Enthauptung des amerikanischen Journalisten James Foley: «Wallah, die Botschaft unseres Staates an Amerika hat mich so stolz gemacht.» Sie schwärmen beflissen von den Vorzügen ihrer neuen Heimat: «Wir müssen keine Miete bezahlen, alle Medikamente sind gratis. Und jeden Monat gibt es Lebensmittel: Pasta, Konserven, Reis, Eier.» Sie geben Reisetipps: «Kaufe eine 3G-SIM-Karte, solange du in der Türkei bist. Nimm für mindestens einen Monat Tampons oder Binden mit.» Sie locken mit Jobs: «Du kannst hier auch deine Kenntnisse in Nukleartechnik einsetzen.» Bürgen für Neuzuzügerinnen, da ohne persönliche Empfehlung keine einreisen darf, und brüsten sich, dass sie selbst im Bombenhagel auf ihre Verhüllung achten, um nicht in Schande zu sterben. Und sie setzen Zuhausegebliebene unter Druck: «Schäm dich! Du lebst noch immer in Bequemlichkeit, während die Männer hier auf Brettern schlafen und trockenes Brot essen.»
Der Ton ihrer Posts ist mal mitleidheischend, mal zynisch, mal fast unerträglich einfältig, voll ideologischer Schwatzhaftigkeit. Die Bloggerinnen mischen ihren englischen Tweets und Texten arabische Wörter, religiöse Floskeln, Lehrsätze radikaler Prediger und Internetslang bei, am populärsten ist die Abkürzung «lol», «laughing out loud». Twitter, Facebook und Tumblr haben Tausende von Accounts und Profilen gelöscht, die Propagandistinnen tauchen aber immer wieder mit neuen auf – zusehends vorsichtiger jedoch, die Verbreitung von allzu blutigen Bildern wird inzwischen vermieden. Doch auch der IS hat seine Online-Aktivisten unter Kontrolle: Nach dem Start der Luftangriffe der Alliierten im September verhängten die Terrorchefs ein Social-Media-Blackout. Denn aufgrund übereifriger Twitterer und Instagrammer vor Ort konnte die Gegenseite die Stützpunkte des IS lokalisieren.
Für viele Frauen, die dem Lockruf ihrer «Schwestern» naiv gefolgt sind, bröckelt die online vermittelte Fassade der fröhlich-frommen Expat-Gemeinde im Kalifat jedoch rasch. Im Kopf kann das Leben im Kriegszustand vielleicht noch als jihadistischer «Pflichtstoff» zurechtgelegt werden, doch in der Realität – überall lauern Scharfschützen, Häuser sind Ruinen, die Strassen von Leichen gesäumt – wird der allgegenwärtige Horror früher oder später unerträglich.
Frauen, die aufbegehren, werden geschlagen, vergewaltigt oder als Sklavinnen verkauft
Zeugnis davon gibt die 25-jährige syrische Lehrerin Khadija, einst passioniertes Mitglied der Al-Khansaa-Brigade und berauscht von der Macht und Autorität, die sie in den Strassen Raqqas ausüben konnte, wie sie gegenüber dem Fernsehsender CNN erklärte. Doch nach wenigen Monaten begann ihr die Gewalt, mit der sie fast täglich konfrontiert wurde, Angst zu machen. Zu sehen, wie Frauen wegen geringster Vergehen ausgepeitscht wurden, erfüllte sie mit Grauen. Das Bild eines 16-jährigen Buben, der wegen Vergewaltigung gekreuzigt wurde, brannte sich in ihr Gedächtnis ein, ebenso das Gesicht jenes Mannes, dessen Kopf vor ihren Augen abgehackt wurde.
Am schlimmsten aber war für sie die Brutalität, mit der besonders die ausländischen Kämpfer die Frauen behandelten, selbst jene, mit denen sie verheiratet waren. Frauen, die aufbegehren, werden geschlagen, vergewaltigt oder als Sklavinnen verkauft. Kommt dazu, dass auch Frauen des IS bei Kämpfen zwischen rivalisierenden Milizen immer wieder Opfer sexueller Gewalt werden, obwohl es eigentlich zum Ehrenkodex gehört, die weiblichen Mitglieder gegen Übergriffe von aussen zu beschützen.
Doch wer fliehen will, begibt sich in Lebensgefahr. Denn als Frau beim IS reinzukommen, ist einfacher, als ihn wieder zu verlassen. Die Terrormiliz kontrolliert nicht nur die Kommunikation der Mädchen, sondern auch ihre Bewegungen. Ist eine Frau dazu noch verheiratet und hat Kinder, ist eine Flucht fast unmöglich. Und die Tatsache, dass in den Heimatländern möglicherweise Verurteilung und Gefängnis warten, erschwert die Rückkehr zusätzlich. Khadija gelang die Flucht in die Türkei. Für die allermeisten Frauen hingegen existiert keine Exit-Strategie.