Plötzlich Papa
- Text: Thomas Wernli; Foto: iStockPhoto
Eine Tür, die sich plötzlich von allein öffnet. Ein Stiefsohn, der quasi aus dem Nichts auftaucht. Nichts ist unmöglich – meint Thomas Wernli in seiner Kolumne.
Journalismus ist ein hartes Geschäft. Wenige Jobs, grosse Konkurrenz. Ein Haifischbecken. Vielleicht arbeiten wir auch darum in einem Aquarium, äh, Glasgebäude. Schon der Einstieg wird einem nicht einfach gemacht. Jeden Morgen gilt es als Erstes, ein Hindernis zu überwinden. Die schwere Tür zum Gebäude aufzuziehen. Ich habe schon Kolleginnen gesehen, die dafür beide Hände gebraucht haben. (Und bin natürlich sofort zu Hilfe geeilt.) Kurz darauf fällt sie krachend wieder ins Schloss und lässt das Haus erzittern, sodass man erschrickt: Hoffentlich hält das alles!
Öfter ist sie defekt, lässt sich gar nicht mehr öffnen oder nur mit viel Geduld wieder schliessen, wie kürzlich, als ein halbes Dutzend weibelnde Handwerker mit der Reparatur beschäftigt waren. Aus geheimnisvollen Öffnungen im Boden wuchs bunter Kabelsalat.
Am nächsten Morgen dann die Überraschung. Wie immer halte ich meinen Badge hin, und – Abrakadabra Klick-Klick! – die Tür öffnet sich wie von Geisterhand. Einfach so, von allein, automatisch, selbstständig. Als wollte sie mir sagen: «Tritt ein, herzlich willkommen.» Geht doch! Warum nur hat das zehn Jahre gedauert?
«Geht nicht? Gibts nicht.» Das war bei einem meiner früheren Jobs das Motto, das die Chefin prominent in ihrem Büro an die Wand genagelt hatte. Sie war sehr lösungsorientiert und duldete kaum Widerspruch (konnte aber leider auch nicht verhindern, dass die Zeitschrift eingestellt wurde).
So eine automatische Tür regt die Fantasie an, und ich habe mir überlegt, was in letzter Zeit plötzlich so alles möglich wurde, was ich mir schon länger gewünscht hatte. Etwa, dass die Coop-Kundenkarte nun doch bei der Tochterfirma Interdiscount gescannt werden kann. Oder dass man bei elektronischen SBB-Tickets dem Kondukteur nicht mehr zusätzlich das Halbtax-Abo zeigen muss. Oder dass man beim Fliegen das Handy anlassen kann.
Doch nicht nur Technisches ist plötzlich möglich, auch Gesellschaftliches. Zum Beispiel, dass eine Frau an der Spitze der Weltmacht Nummer eins steht (jedenfalls theoretisch). Oder dass Schwule heiraten können (in der Schweiz leider auch nur theoretisch). Oder Kinder adoptieren (na ja, gute Sachen dauern meistens etwas länger).
Mein Bedarf in Sachen Kinder ist allerdings gedeckt. Bei meinen (inzwischen erwachsenen) dreizehn Nichten und Neffen war ich beim Aufwachsen hautnah dabei. Mit meinen sieben Grossnichten und -neffen hat unsere in alle Welt zerstreute Familie den kritischen Höchststand längst überschritten, und das macht mir den Überblick nicht immer einfach. (An dieser Stelle herzlichen Dank meiner Schwester Ursula für Anzahl und Namen der Kleinsten – Lea, Mia, Paul, Felix, Valentin, Johanna, Blake William.)
Ach ja, und dann ist da noch plötzlich quasi aus dem Nichts der Sohn meines Mannes aufgetaucht. Mit einem «kleinen» Geburtstagswunsch zum 13. – der Teenager wollte die Sneakers Yeezy Boost 350 V2 Beluga von Kanye West für Adidas. Ausgerechnet von meinem Lieblings-Hate-Designer! Und (völlig unverständlich) kaum käuflich zu erwerben (weil superlimitiert, Mega-Hype usw.) …
Mein Plötzlich-Papa-Mann hat es natürlich möglich gemacht. Geht nicht, gibts nicht!