Katharina Hoby ist 54 und arbeitet als Chilbi- und Zirkusseelsorgerin in Küsnacht ZH. Uns hat sie davon erzählt, wie die Leute reagieren, wenn sie nach der Messe den Talar auszieht und sich ein Bier gönnt.
Als mir vor 14 Jahren die Stelle als Zirkus- und Chilbi-Pfarrerin angeboten wurde, habe ich mich zuerst mit meinen Kindern abgesprochen. Sie waren Feuer und Flamme; endlich hat Mama einmal einen coolen Job, für den man sich nicht schämen muss. Eine Pfarrerin zur Mutter zu haben, war für sie nichts, worauf sie stolz sein konnten – was sich schlagartig änderte, sobald sie dank meiner Stelle Freibillette für die Chilbi-Bahnen erhielten.
Auch ich bin ein Chilbi-Fan. Allerdings merkte ich schnell, dass das Schaustellerleben nicht meiner Vorstellung von idyllischer Wohnwagenromantik entspricht. Diese Menschen führen ein hartes Leben, müssen Tag für Tag um ihre Existenz kämpfen. Ich möchte da nicht tauschen. Weil alle nicht vorausplanen können, ist der Zusammenhalt unter den Schaustellern nicht mehr so gross wie früher. Es muss eben jeder für sich schauen.
Genau darum finde ich mein Amt so wichtig. Die Schausteller sitzen auf engstem Raum aufeinander, und wenn es tagelang regnet und weniger Besucher kommen, drückt das auf die Moral, und die Nerven liegen oft blank. Da hilft es, wenn ich als Aussenstehende vorbeikomme und mir ihre Sorgen anhöre. Sie vertrauen mir eher etwas Persönliches an, gerade weil ich nicht ständig vor Ort bin und darum den ganzen Klatsch nicht kenne. Ich bin eben eine «Private»; jemand, der nicht wirklich zur Chilbi gehört.
Neben den Gesprächen, die ich mit den Schaustellern führe, halte ich auch Gottesdienste an der Chilbi. Diese finden jeweils auf dem Autoscooter statt. Die Besucher nehmen dabei in den Autos Platz, was auf Passanten einen etwas befremdenden Eindruck macht. Viele bleiben stehen und schauen erst einmal skeptisch. Die meisten finden das Ganze dann aber noch spannend und bleiben bis zum Schluss. Als Pfarrerin halte ich auch den 1.-Advent-Gottesdienst im Zirkus Conelli. Mittlerweile brauche ich zwar keine Bachblütentropfen mehr, bevor ich den Fuss in die Manege setze, aber nervös bin ich jedes Jahr aufs Neue. Sobald mir der Sägemehlduft in die Nase steigt, sinkt mir das Herz in die Hose. Mittlerweile lebt aber der Zirkusgeist auch in mir: Ich vertraue darauf, dass alles gut kommt und ich mich auf die Artisten verlassen kann, die mit ihren Nummern den Gottesdienst untermalen.
Mein Ziel ist es, dass die Menschen das Zelt ein Stückchen leichter verlassen; ein Vorsatz, den ich bei jedem Gottesdienst im Kopf habe, der sich aber im Zirkus besonders gut umsetzen lässt. Das hat auch damit zu tun, dass die Menschen mit dem Zirkus ein positives Gefühl verbinden. Während Kirchen oft steif wirken, ist hier alles viel unkomplizierter. Auch die Sitzordnung gefällt mir besser als in der Kirche. Anstatt in Reih und Glied hintereinander zu hocken, sitzt man im Zirkus im Kreis; das Gefühl einer Gemeinschaft kommt dabei viel leichter auf. Es ist ein stärkeres Miteinander, die Distanz zwischen mir und der Gemeinde ist so geringer. Das macht es auch einfacher für die Leute, nach dem Gottesdienst auf mich zuzukommen. An der Chilbi ziehe ich meinen Talar aus, esse eine Bratwurst und gönne mir dazu ein Bier. Da sind die Leute im ersten Moment etwas überrascht. Dass eine Pfarrerin so etwas macht? Aber sie merken jeweils schnell, dass eben auch ich in erster Linie Mensch bin. Und so begegne ich den Leuten auch: als eine von ihnen. Ganz egal ob im Umfeld der Kirche, an der Chilbi oder im Zirkus.