People
Kommentar: Wir wollen deine Diätkultur nicht, Gwyneth Paltrow!
- Text: Vanja Kadic
- Bild: Instagram
«Goop»-Unternehmerin Gwyneth Paltrow verrät in einem Interview, wie ihre «Wellness-Routine» aussieht. Unsere Autorin Vanja Kadic findet Paltrows Aussagen gefährlich – und will kein Comeback einer toxischen Diätkultur.
Inhaltshinweis: Essstörungen
Gwyneth Paltrow hat es wieder getan: Einmal mehr sorgt die Schauspielerin und «Goop»-Unternehmerin mit ihrem extremen, asketischen Lifestyle für Schlagzeilen. Im Podcast «The Art of Being Well» von Dr. Will Cole spricht sie über ihre «Wellness-Routine», wie sie es nennt. Der Clip davon geht zurzeit viral bei TikTok.
Ihre sogenannte «Wellness-Routine» sieht wie folgt aus: Sie fastet bis Mittag und trinkt morgens nur Kaffee, manchmal auch Selleriesaft mit Zitrone oder Zitronenwasser. Danach folgt eine Stunde Sport, ehe es zum Lunch eine Suppe gibt – aber keine reichhaltige, richtige, sondern eine Knochenbrühe. Zum Znacht gibt es dann viel Gemüse, das in ihren Paleo-Ernährungsplan passe. «Mir ist es sehr wichtig, meinen Detox zu unterstützen», sagt sie.
«Ist Hungern jetzt Wellness?»
Der Interview-Ausschnitt sorgt bei Social Media für Kritik. User:innen werfen Paltrow vor, ihr problematisches Essverhalten zu verherrlichen und dieses unter dem Deckmantel einer «Wellness-Routine» zu promoten. Sie sei die ultimative «Almond Mom», heisst es bei TikTok etwa – ein abwertender Begriff für Frauen, die sich der toxischen Diätkultur verschrieben haben.
«Knochenbrühe ist keine Suppe», lautet ein Kommentar unter dem Interview-Clip. «Ist Hungern jetzt Wellness?», fragt ein User. «Das klingt buchstäblich wie die Vorbereitung auf eine Darmspiegelung», so ein weiterer Kommentar.
Ich frage mich: Kommt mit den Mode- und Beauty-Trends der 2000er auch das gruslige Schönheitsideal dieser Zeit wieder? Bitte nicht! Mit einem Comeback von Low Rise Jeans, Röcken über Hosen oder Velours-Jogginganzügen kann ich gerade noch leben – nicht aber mit dem Wiederaufleben einer gefährlichen Diätkultur. Dem Glaubenssystem also, das Schlankheit verehrt und diese mit Gesundheit und moralischer Überlegenheit gleichsetzt. Das Glaubenssystem, das gewisse Essangewohnheiten verteufelt und das Konsumieren möglichst weniger Kalorien zelebriert und über den Genuss und die Freude am Essen stellt.
Ist skinny sein um jeden Preis nun wieder cool?
Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, welche negativen Auswirkungen diese Diet Culture, mit der ich aufwuchs, auf mich und meine gleichaltrigen Freund:innen hatte: Diese führte bei manchen zur problematischen Einstellung zum eigenen Körper, bei anderen gar zur Essstörung. Zu meinem Körperbau passte das Schönheitsideal jener Zeit, so dünn wie möglich zu sein, nie.
Sattsehen konnte ich mich an meinen damaligen Vorbildern trotzdem nicht: Als Teenie bewunderte ich super skinny Celebs wie Promi-Stylistin Rachel Zoe, Lindsay Lohan, Nicole Richie, Alexa Chung oder Mischa Barton. Und träumte mit 14 davon, auch mal Size Zero tragen zu können.
Mit den Jahren veränderte sich die Einstellung zu meinem Körper; der Traum, möglichst wenig zu wiegen, gehört nun glücklicherweise ebenso meiner Teenie-Vergangenheit an wie die Begeisterung für die Dünnheit von Promis. Und irgendwann, vielleicht mit dem Aufkreuzen der kurvigen Kardashians und Plus-Size-Models wie Ashley Graham oder Paloma Elsesser, etablierte sich in der Gesellschaft endlich auch ein anderes Beautyideal.
Plötzlich galten im Mainstream auch andere Bodytypen als schön. Jetzt scheint sich das Klima wieder zu verändern. Ist skinny sein um jeden Preis nun wieder cool?
Plus-Size-Models verschwinden vom Laufsteg
Schaut man sich die aktuelle Tendenz in der Popkultur an, befürchte ich leider: Ja. Ganz Hollywood spritzt sich Ozempic, das Abnehmmittelchen der Stunde, eigentlich ein Medikament zur Behandlung von Diabetes. Auf den Laufstegen schienen die Plus-Size-Models bei den vergangenen Fashion Weeks in New York, Mailand und London plötzlich verschwunden: Gemäss «The Cut» wurden 95,6 Prozent der Looks von Models in den US-Grössen null (EU-Grösse 30) bis vier (EU-Grösse 32) getragen.
Ja, selbst die Kardashians haben keine Lust mehr auf ihre Kurven und setzen – im Fall von Kim Kardashian – auf einen super extremen Kiloverlust, um an der Met Gala in ein Kleid zu passen. Auch die «SonntagsZeitung» berichtete vergangene Woche über den Trend: «Die Sehnsucht, schlank zu sein, ist grösser denn je», hiess es im Artikel.
Problematisches Essverhalten normalisieren
Man möge nun denken: Was hat das mit mir zu tun, wenn Gwyneth Paltrow oder die Kardashians in Interviews davon erzählen, dass sie nichts essen – und das nicht als ein auffälliges und höchst problematisches Essverhalten benennen, sondern als «Wellness-Routine»? Nun ja, da wäre zum einen die Vorbildfunktion. Paltrow hat allein bei Instagram 8,3 Millionen Follower:innen, Kim Kardashian 348 Millionen.
Stars mit einer dermassen grossen Anhängerschaft und mit einer solchen Bühne haben die Macht, extrem viele Menschen zu beeinflussen – positiv oder negativ. Sie tragen mit solchen Diät-positiven Aussagen dazu bei, dass wir problematisches Essverhalten normalisieren.
Paltrows Aussagen können gefährlich sein
Man mag Witze über die Abgehobenheit der Lifestyle-Unternehmerin machen: Schliesslich ist Paltrow ja für ihr bizarres «Wellness-Programm» bekannt. Dieses reicht von «rektaler Ozontherapie», bei der einem Ozongas in den Hintern gepumpt wird, über Vagina Steaming bis zur Bee-Sting-Therapie, bei der einen echte Bienen (!) stechen.
Wenn aber Celebrities wie Paltrow solch absurden Stuss vom Stapel lassen und vor allem nicht transparent offenlegen, warum sie sich so restriktiv ernähren (nämlich um einem absurden Schönheitsideal nachzueifern, das nicht nur in Hollywood immer noch das Mass aller Dinge ist), wird es gefährlich. Für junge Fans und Zuschauer:innen, die so ein Essverhalten normal oder erstrebenswert finden. Für Leute, die Essstörungen haben und sich davon beeinflussen lassen könnten.
«Sie nimmt zu wenig Nahrung zu sich»
Und das ist das Problem, wie auch Expert:innen sagen. «Gwyneth wirbt für Diäten und verpackt es als Wellness», sagt die australische Ernährungsexpertin Kim Lindsay zu «news.com». «Sie spricht über restriktive Diätmethoden wie intermittierendes Fasten und die Paleo-Diät. Das ist besorgniserregend, denn wir wissen, dass Diäten für die grosse Mehrheit der Menschen nicht nachhaltig sind und zu negativen gesundheitlichen Folgen wie Essstörungen, Gewichtsschwankungen und Herzerkrankungen führen können.»
Gemäss Lindsay sei auch die angegebene Ernährung des Stars problematisch. «Sie nimmt zu wenig Nahrung zu sich, um ihren Tag zu bestreiten. Knochenbrühe enthält sehr wenig Nährstoffe und sollte nicht als vollständige, ausgewogene Mahlzeit betrachtet werden.» Sie fügt hinzu: «Dies ist ein weiteres Beispiel für die Fehlinformationen der Diätkultur, die den Menschen vorgaukeln, dass sie sich im Namen der Gesundheit einer strengen Diät unterziehen müssen.»
Beckhams Comfort Food ist eine Scheibe Vollkorntoast
Gwyneth Paltrow ist bei weitem nicht der einzige Star, der fragwürdige Food-Beichten aus seiner vernebelten, hungernden Hollywood-Bubble absondert. Ich erinnere an dieser Stelle gerne an Victoria Beckham, die 2021 in einem Interview angab, dass ihr Comfort Food Vollkorntoast mit Salz sei und dass sie oft nur Gemüse isst, selbst wenn sie zum Abendessen ausgeht. «Es ist diese Sache mit den Kohlenhydraten, nicht wahr. Es sind diese Kohlenhydrate, die dich trösten, und ich liebe Salz, was soll ich sagen», so die Designerin über ihr Trostgericht.
Mir tut das immer leid, wenn ich solche Celebrity-Aussagen höre. Was muss das für ein Leben sein? Stellt euch das Mal vor: Ihr habt einen richtig schlimmen Tag hinter euch und wollt euch zum Znacht eine Mahlzeit gönnen, die etwas Trost spendet. Ich denke da an Pizza, an Pasta, an einen leckeren Burger oder eine feine Suppe (eine richtige! Keine Knochenbrühe). Dass sich Beckham in diesem Moment eine trockene Scheibe Toast «erlaubt» und dies dann als grosse Ausnahme zählt, stimmt mich traurig.
Ich mache bald Ferien in Italien. Hauptsächlich, um viel, viel Pasta zu essen. Und wenn ich meine 16. Portion «Pappardelle al ragù» inhaliere, werde ich an Gwyneth Paltrow denken. Und dankbar sein, dass sich meine Einstellung zu Essen nicht nur auf Nährwerte und Makrowerte reduziert, sondern dass die Schönheit, zu geniessen, im Vordergrund steht – und zwar mit jeder einzelnen Gabel Pasta.