Werbung
Patti Hansen

Patti Hansen

  • Text: Jonathan Van MeterFotos: Getty

Die Ehefrau von Rolling-Stones-Gitarrist Keith Richards lässt sich nicht unterkriegen - auch nicht von Krebs! Ein sehr persönliches Gespräch in ihrem Zuhause bei New York.

Die Ehefrau des Rolling-Stones-Gitarristen Keith Richards lässt sich nicht unterkriegen. Auch nicht von Krebs. Ein sehr persönliches Gespräch in ihrem Zuhause bei New York.

Patti Hansens und Keith Richards’ Wohnsitz in Connecticut liegt eine Autostunde von Manhattan entfernt, an einer baumbestandenen Strasse hinter einer imposanten Einfahrt. Das Tor öffnet sich, wir passieren einen stilvollen japanischen Garten, kommen vorbei an Gästehaus, Tennisplatz, Swimmingpool und einem hübschen kleinen Gewächshaus. Das Haus selbst, das die beiden 1990 bauen liessen, ist typisch für die prachtvollen Backsteinvillen von New England, mit Blumenbeeten, Wintergarten und grosser Eingangshalle, aber es ist – pink, orange und blau – inspiriert von den Farben der Häuser auf der Insel Burano bei Venedig, einem der Lieblingsorte von Patti und Keith.

Die Dame des Hauses, in abgeschnittenen schwarzen Jeans und Kaschmir-Tanktop selbst eine Studie in Kontrasten, begrüsst mich an der Tür, umringt von einer Schar Katzen und Hunde. Sie ist die typische American Beauty, hochgewachsen, sonnengebräunt, sommersprossig, blond, zugewandt – und zugleich das Gegenteil: mit schwarzem Eyeliner und zerzaustem Haar ein wenig einschüchternd, die klassische Kate-Moss-Amazone in einer Fifty-Something-Version.

Wir treten ein, kommen an einer Wand vorbei, die von oben bis unten bedeckt ist mit Schwarzweissfotos von Patti Hansen aus den Siebzigern – glanzvolle Arbeiten von Arthur Elgort, Patrick Demarchelier, Bill King für «Glamour» und «Vogue», daneben Familienporträts und Schnappschüsse von praktisch jedem in Pattis riesengrossen Clan sowie gerahmte Kohlezeichnungen von Keith.

Überall im Haus stösst man auf solche Kontraste. In einem Badezimmer hängt eine Fotografie von Henri Cartier-Bresson neben einem Handtuch, das mit Schädel und gekreuzten Knochen bestickt ist. In einem der vielen Wohnzimmer steht ein vergoldeter Stutzflügel, ein Geschenk einer russischen Fürstin für Keith Richards («Sie hatte ihn offensichtlich sehr gern», sagt Patti Hansen), darüber ein Porträt des Rockstars, Zigarette im Mundwinkel, angefertigt von Johnny Depp.

Während unseres Rundgangs erreichen wir irgendwann eine verschlossene Tür. Patti Hansen, eine Hand auf dem Türknauf, wirft mir einen Sie-werden-es-nicht-glauben-Blick zu. «Keith geht hier nicht mehr runter», sagt sie und verdreht die Augen, wie das nur eine Frau zustande bringt, die seit 27 Jahren verheiratet ist. Wir steigen hinunter in den Keller, vorbei an lauter Goldenen und Platin-Schallplatten, mit denen die Kellerwand gepflastert ist, und treten hinaus in den Traum eines jeden Stones-Fans: eine Kellerbar, vollgestopft mit Rockmusik-Equipment und diversen Tischspielen. Früher hat Keith hier aufgenommen. Die meisten Verstärker und Mischpulte hat Patti Hansen weggeschafft (überall im Haus sieht man aber noch immer Gitarren und Saxofone und Keyboards). An der Wand hängt ein riesengrosses Plakat von Hansens Gap-Werbung von 1999. Eine andere Wand ist mit sämtlichen «Rolling Stone»-Titelbildern der Stones bedeckt – bis auf die aktuelle Ausgabe, die gerade in den Zeitungsläden ausliegt (die Neuauflage von «Exile on Main Street» stand weltweit in den Charts). «Ich werde einen Platz dafür finden müssen», sagt Patti Hansen.

Wieder oben, bringt sie einen Teller mit Käse, Pâté, Obst und Oliven. Ich setze mich an einen Tisch gleich neben der Küche. «Meine Freundin hat mich beraten, was ich vorbereiten soll», sagt sie. «Das ist nicht so mein Ding. Ich hätte Ihnen vermutlich Erdnussbutter und Marmelade hingestellt.»

Trotz ihrer lockeren Art ist sie in Wahrheit ziemlich nervös. Ich bin gekommen, um mit ihr über ihren Blasenkrebs zu sprechen.

Am Ende der Bigger-Bang-Tour der Rolling Stones (2007) stellte sie fest, dass Blut in ihrem Urin war. Wenige Tage später entdeckten die Ärzte Blutklumpen, einen Monat später war sie auf Chemo, und drei Monate später unterzog sie sich in der New Yorker Sloan-Kettering-Klinik einer komplizierten Operation, in der die Harnblase entfernt werden musste. Die Ärzte konstruierten aus ihrem Dünndarm eine künstliche Blase, entfernten den Blinddarm und die Gebärmutter.

Patti Hansen ist kein weinerlicher Typ, wie jeder bestätigt, der sie kennt. Sie ist stoisch, zurückhaltend, geradezu verschlossen, und hat in den letzten Jahrzehnten kaum Interviews gegeben. Doch nun, zusammengerollt im Sessel, berichtet sie mir von den Details ihres Kampfs gegen den Krebs und kämpft mit den Tränen. «Die Chemo ist wirklich grauenhaft», sagt sie. «Ich weiss nicht, wie andere das schaffen. Freunde von mir müssen diese Schinderei seit Ewigkeiten machen. Es ist so entwürdigend, so deprimierend. Nach dem ersten Mal war mein Arm total ruiniert. Woche für Woche musste ich hin und dachte dabei: Mein Gott, ich habe doch immer für mich gesorgt, ich ernähre mich vernünftig, und nun muss ich mir dieses ganze Gift reinstopfen.» Sie holt tief Luft und reibt sich mit beiden Händen das Gesicht. «Aber die Chemo hat den Tumor kleingekriegt. Krebs ist so ein grauenhaftes Monstrum. Es ist so radikal. Ein Arzt meinte, ich hätte zwei, drei Jahre mit diesem Ding zu leben. Darauf ich: ‹Raus mit dieser Mistscheisse.› Ich wollte dieses Monster ein für allemal loswerden.»

Ihre Therapie als erfolgreich zu bezeichnen, wäre untertrieben. «Alles ist gut gelaufen», sagt Keith Richards’ Managerin Jane Rose, die mit Patti Hansen befreundet ist und in der schwierigen Zeit an ihrer Seite war. «Die Ärzte haben es in den Griff bekommen. Und ehe man sichs versah, war Patti wieder auf den Beinen und lief auf der Etage herum. Ihre OP-Narbe fanden alle furchtbar sexy.»

Patti Hansen selbst sagt: «Gott sei Dank ist alles gut gegangen. Es hätte alles Mögliche passieren können.» Auf meine Frage, ob ihre Blase wirklich funktioniert, gibt sie eine typische Patti-Hansen-Antwort: «Ja, es ist ein Wunder! Nie mehr Windeln! Ich habe keine Probleme mehr. Das Ding ist viel besser als die natürliche!»

Das ist der Hauptgrund, weshalb Patti Hansen diesem Interview zugestimmt hat: Sie will dazu beitragen, Frauen vom Stigma Blasenkrebs zu befreien. «Man redet nicht darüber», sagt sie. «Als klar war, dass ich diese Krankheit hatte, dachte ich: Oh mein Gott, eine Alte-Männer-Krankheit. Ich ging in die Krebsklinik Sloan-Kettering, wo Männer mit Prostataproblemen herumsitzen. Und alle Informationen, die ich von dort bekam, waren für Männer gedacht. Die Klinik muss wirklich anfangen, sich auf Frauen einzustellen, denn immer mehr Frauen mit Blasenkrebs lassen sich dort behandeln. Ich habe schon mit zwei Frauen dort gesprochen, die dieses Problem haben.»

Die Sloan-Kettering-Klinik fragte bei Patti Hansen an, ob sie bereit wäre, einer Kampagne ihr Gesicht zu geben. «Ich habe sofort zugesagt. Aber es hat zwei Jahre gedauert, mir zu überlegen, wie ich da herangehe. Ich will kein Buch schreiben. Ich will nicht ins Fernsehen, ich hasse das. Das Einzige, was ich immer gut fand, sind Zeitschriften. Deshalb führen wir jetzt dieses Interview.»

Wie die meisten legendären Models wurde auch Patti Hansen an einem völlig unwahrscheinlichen Ort entdeckt, als Hotdog-Verkäuferin am Strand von Staten Island. Da war sie 16, das jüngste von sieben Kindern, von denen eines schon vor ihrer Geburt gestorben war. Sie wuchs in einer einfachen Arbeiterfamilie auf, Norweger in der zweiten Generation. Pattis vier Grosseltern waren zu Beginn des letzten Jahrhunderts nach Amerika ausgewandert und hatten sich in Brooklyn niedergelassen. Dort haben sich auch Pattis Eltern kennen gelernt, geheiratet, und dort bekamen sie die ersten drei Kinder. Während des Zweiten Weltkriegs zogen sie nach Staten Island, wo der Vater einen Job als Busfahrer fand. Als dann 1973 Wilhelmina Cooper höchstpersönlich vor der Tür stand und den Eltern erklärte, ihre Tochter könne 100 000 Dollar im Jahr verdienen, war der Vater schon so erschöpft vom Leben, dass er Patti seinen Segen gab.

In den nächsten zwei Jahren reiste sie für «Glamour» um die Welt, meistens mit ihrer (bis heute) besten Freundin, dem Model Shaun Casey. Als sie sich einen Shag schneiden liess, seien die Fotografen über sie hergefallen, erzählt Shaun Casey. Patti Hansen wechselte zu «Vogue», wo sie mit ihren Sommersprossen und ihrer (bei 1.75 m und 59 kg) relativ üppigen Figur rasch bekannt wurde. «Ich fand es schön, wenn meine Freunde mich als ihre Amazone bezeichneten. Ich habe nie flache Schuhe getragen. Je höher die Absätze, desto besser. Wir waren die ganze Nacht mit Highheels unterwegs. Aber aus den Kleidern bin ich praktisch rausgeplatzt. In den Redaktionen hiess es immer: ‹Nein, für Patti sind die Sachen sind viel zu eng.› Aber es hat mich nicht davon abgehalten weiterzuarbeiten.» Und tatsächlich arbeitete sie bald mit Helmut Newton, Avedon und Francesco Scavullo zusammen, der in «People» einmal gesagt hat, dass Cheryl Tiegs und Farrah Fawcett neben Patti Hansen ziemlich alt aussehen.
Mit 18 lebte sie allein in New York, schon bald verbrachte sie die meisten Nächte im Studio 54. Auch ihren 23. Geburtstag, 1979, feierte sie dort; die Bar wollte schon schliessen, doch sie wollte noch eine Flasche Champagner bestellen. Als Shaun Casey (die mit Bill Wyman befreundet war, dem damaligen Bassisten der Rolling Stones) Keith Richards hereinkommen sah, fragte sie ihn: «Meine Freundin hat Geburtstag. Kannst du uns helfen? Wir würden gern noch eine Flasche Champagner ordern.» Natürlich war er sofort bereit. «Ich zog Patti von der Tanzfläche, sie begrüsste ihn und ging wieder tanzen», sagt Shaun Casey. «Das war ihre erste Begegnung.»

Keith Richards war mit Jane Rose gekommen. «Er bemerkte Patti, die so ausgelassen tanzte, mit ihrem wilden Haar, ich habe seinen Gesichtsausdruck gesehen. In seinen Augen war so ein Schimmer. Ich kenne ihn ja wirklich gut, und da wusste ich, das ist die Frau für ihn.»

Es vergingen noch neun Monate, bis sie schliesslich zusammenfanden. Das war an Keith Richards’ Geburtstag. «Ich arbeitete mit Jerry Hall in Avedons Atelier», erinnert sich Patti Hansen. «Sie fragte: ‹Kommst du mit auf eine Party heute Abend?› Ich sagte: ‹Klar.› Seitdem sind wir zusammen. Es ging wirklich so schnell. Und ich hatte keine Ahnung, wer er war. Jerry ging mit Mick. Mehr wusste ich nicht. Es sollte wohl so sein.»

Sie und Keith wurden unzertrennlich. «Mein Freund Billy hat immer gesagt: ‹Mit diesem Kerl kannst du nicht ausgehen. Der ist doch verrückt.› Ich hab nur geantwortet: ‹Ich will aber mit ihm ausgehen. Um drei Uhr nachts zieht er los in irgendwelche Clubs.› Ich war total bereit. Ich wollte nie schlafen gehen. Er hat wohl gesehen, dass auf mich Verlass war. Dass ich bei ihm bleiben würde.»

1983 heirateten sie in Cabo San Lucas, 1985 wurde Theodora geboren, ein Jahr später Alexandra. «In den ersten fünf Jahren lebten wir mit den Kindern am Strand», sagt Patti Hansen. «Wir waren auf Antigua und Jamaica, ein unbeschwertes Leben in der Sonne, es war eine tolle Zeit. Bis die Kleinen in die Schule mussten. Da sind wir dann nach Connecticut gegangen.»

Patti Hansen, obschon das jüngste von sieben Geschwistern, ist nun quasi Familienoberhaupt. Eine Rolle, die sie sehr ernst nimmt. In den letzten zwanzig Jahren hat sie ihren Mann auf Tourneen durch die ganze Welt begleitet, hat sich um ihre Töchter gekümmert und ihre grosse, verzweigte Familie zusammengehalten, einen Clan, zu dem auch Keith Richards’ Kinder Marlon und Angela gehören (aus seiner 13-jährigen Beziehung mit Anita Pallenberg, die 1979 endete). Patti Hansens Schwester Beverly starb vor zehn Jahren, mit 56, an Speiseröhren- und Lungenkrebs, ihre beiden Töchter Melena und Marissa, die in der Nähe wohnen, sind für Patti wie eigene Töchter. (Die andere Schwester, Barbara, starb 2008 mit 65 an Lungenkrebs, unmittelbar nach Pattis Operation.) Und dann sind da noch die anderen Geschwister. Einer der Brüder hat acht Kinder, von denen fünf verheiratet sind und selber Kinder haben. Kurz nach Beginn ihrer Chemo im Dezember 2007 lud Patti Hansen zu einer Weihnachtsfeier ein – es kamen 75 Personen, alles Verwandte.

Die meisten reagierten hilflos, als bekannt wurde, dass der «Fels der ganzen Familie» (O-Ton ihrer Tochter Theodora) erkrankt war. Auf meine Frage, wie ihre Töchter reagierten, sagt Patti Hansen nach einer Weile: «Wahrscheinlich haben sie die gleiche Einstellung entwickelt wie ich. Sie haben Haltung bewahrt.» Und Keith? Sie verdreht die Augen. «Er hat sich nicht damit auseinandergesetzt. Er wusste nicht, was er machen sollte. Ich sagte: ‹Weisst du was? Du hast mir all das hier geschenkt›» – sie deutet mit ausholender Geste auf das grosse Haus, – «‹und dafür bin ich dir dankbar.› Ich wurde von einem Wagen abgeholt und hatte eine Krankenschwester. Ich wurde erstklassig versorgt. Ich musste nicht arbeiten. Ich habe keinen Job. Ich kann im Garten herumgehen und meditieren.»

Nach einer langen Pause fährt sie fort: «Keith dachte wohl, dass ich es nicht mehr lange mache. Er ist im Grunde sehr positiv eingestellt, aber bei einer Krebsdiagnose denken viele ja, das ist ein Todesurteil.»

Alle bestätigen, dass Keith Richards völlig fertig war. «Er konnte es einfach nicht verstehen», sagt Jane Rose. «Er hat immer gesagt: ‹Lieber ich als sie.› Man konnte fast glauben, es mit zwei Patienten zu tun zu haben. Aber sie war stärker, sie war die Kämpferin.»

Keith, sagt Alexandra über ihren Vater, habe eine schwierige Zeit durchgemacht. Er war auf den Fidschi-Inseln über einen Baumstumpf gestürzt und selbst dem Tod sehr nahe. «Er hat nicht gearbeitet und war viel allein», sagt Alexandra. «Er fährt in Amerika nicht Auto, konnte Patti also nicht zu ihren Arztterminen bringen. Überhaupt konnte er nicht so da sein, wie er es gewünscht hätte. Wir waren ja alle in einem Schockzustand, aber er hatte schon grosse Schwierigkeiten, damit umzugehen. Es war keine gute Zeit für uns alle.» Und Theodora sagt: «Es stimmt nicht, dass mein Vater ein harter Rocker ist, der keine Gefühle zeigt. Für ihn war das eine schlimme Erfahrung. Es war bestimmt eine der schwierigsten Situationen in seinem Leben.» Aber jetzt, nachdem die Operation so erfolgreich war und Patti wieder ganz präsent ist, sagt sie, ist alles wie früher, es geht weiter. «Wenn man sich unsere Familie ansieht, denkt man, nichts kann uns umbringen. Meine Eltern sind starke Persönlichkeiten. Die Hansens, kombiniert mit den Richards – eine Zeit lang habe ich wirklich geglaubt, ich bin unsterblich.»

Eine Woche nach meinem Besuch in Connecticut treffen wir uns in einem kleinen norwegischen Restaurant in New York. Patti und Keith hatten das Lokal kurz zuvor entdeckt und dort schwedische Köttbullar mit Preiselbeeren gegessen. Sie trägt schwarze Jeans, braune Lederstiefel, schwarze Tanktops und einen Haufen Silberschmuck. Sie sieht wie immer unglaublich feminin und zugleich sehr tough aus. Sie erzählt, wie sie und Keith vor vielen Jahren zum ersten Mal nach Norwegen gereist sind. «Ich habe meine Mutter angerufen und den Telefonhörer aus dem Fenster gehalten», sagt sie. «‹Mom›, habe ich gerufen, ‹hör mal, wie sie hier auf der Strasse feiern. Überall wird getrunken. Jetzt weiss ich, woher ich das habe!›»

Wir sind nur ein paar Blocks von der Fifth Avenue und Eleventh Street entfernt, wo Patti Hansen wohnte, als sie so alt war wie ihre Töchter heute. Die beiden leben in New York, arbeiten als Model und DJ. Was empfindet sie, wenn sie ihre Töchter all das machen sieht, was sie selbst vor dreissig Jahren gemacht hat? «Ach, es ist doch die schönste Zeit im Leben. Ich sehe die beiden und erinnere mich daran, wie es war. Ich will nur, dass sie gesund und glücklich sind und mit Männern zusammen sind, die sie ewig lieben.»

Das Altern sieht sie pragmatisch. «Warum sollte ich mit meinem Gesicht etwas anfangen?», sagt sie. «Man bekommt die Jugend nicht zurück.» Aber dann sieht sie Freundinnen, die etwas haben machen lassen, und wird unsicher. Sie stülpt die Lippen auf. «Oh, oh, sollte ich? Und dann bin ich so froh, dass ich nach Connecticut zurückkommen kann.»

Aber dann sagt sie doch noch: «Ich habe mir überlegt, ob ich mir Botox spritzen lassen soll, in den Hals.» Und nach einer Pause: «Ich habe es ausprobiert. Ich mache es nicht ständig, aber ich habe es versucht.»

Auf meine Frage, ob sich ihr Stil mit den Jahren verändert hat, schüttelt sie den Kopf. «Ich will nicht jemand sein, der sich nie ändert, aber ich glaube, an meinem Stil hat sich nichts geändert.

Nun ja, heute trage ich natürlich eher einen BH. Wenn ich ausgehe, sieht man meine Brustwarzen nicht, so wie früher in den Siebzigern und Achtzigern, als wir immer mit durchsichtigen Klamotten rumgelaufen sind. Ich glaube, ich bin ziemlich konservativ. Noch immer die gleichen Sachen – Lederjacken, Jeans, T-Shirts.» Nur eine Patti Hansen kann diesen Look als «konservativ» bezeichnen. Inzwischen vermarktet sie übrigens ein Element ihres Rock-Chics: In Kooperation mit zwei Partnerinnen bringt sie eine Handtaschenlinie heraus, die sich an einem Modell orientiert, das seit zwanzig Jahren in ihrem Kleiderschrank liegt. Die Taschen werden übers Internet verkauft (www.hungonu.com), ein Teil des Erlöses fliesst in wohltätige Zwecke.

Natürlich hatte ihr Mann enormen Einfluss. Sie trägt einen grossen, massiven Silberring, der Keith gehört, entworfen von David Courts, der auch Keiths berühmten Ring mit dem Totenkopf gestaltet hat. «Ich hasse diesen Schädel», sagte sie. «Überhaupt alles mit Schädeln! Aber mir gefällt Keiths Interpretation. Er sagt: So sehen wir alle aus.»

Eine Woche zuvor hatte ich gefragt, wie es für sie gewesen sei, 27 Jahre mit Keith Richards verheiratet zu sein. «In jeder Ehe gibts schwierige Zeiten. Sicher, wir hatten Probleme. Aber unter dem Strich war es fantastisch. Wir haben die gleichen Wertvorstellungen und den gleichen Hintergrund, wir kommen beide aus einer Arbeiterfamilie. Ich glaube, wir sind uns ziemlich ähnlich. Er arbeitet, ich kümmere mich um das Haus und sehe zu, dass es schön ist und er im Kühlschrank seine Würstchen mit Kartoffelstock vorfindet.»

Heute, beim Mittagessen, spricht sie über die Unterschiede. «Ich bin gläubige Christin. Ich glaube an Jesus Christus. Keith zweifelt das alles an. Er glaubt wohl an einen Gott, aber er ist kein Christ. Manchmal sagt er: ‹Du glaubst nur, weil deine Eltern gläubig waren›, und dann erwidere ich: ‹Komm mir nicht damit, Keith.› Ich habe einen starken Glauben. Man wächst damit auf, und dann trifft man seine eigene Entscheidung. Ich habe mich entschieden. Und die Politik? Ich selbst stehe den Unabhängigen nahe, in meiner Familie sind alle Republikaner. Und Keith ist Demokrat.» Sie lacht. «Aber vielleicht funktioniert es deswegen. Wir bemühen uns, dass es funktioniert.»

Paradox ist, dass Patti Hansen, die selbst sehr konventionelle Züge hat, sich in Keith Richards verliebte, weil er so unkonventionell ist. Als ich ihren Mann als eine Art Oberrebell bezeichne, als eine Gottheit für die Unangepassten, sagt sie: «Ist das nicht verrückt? Und dann behandle ich ihn wie einen x-beliebigen Ehemann.» Sie lacht und wird dann wieder ernst. «Er sollte bald auf Tour gehen, damit ich ihn wieder mit diesen Augen sehen kann.»

Aus der US-«Vogue», August 2010
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Matthias Fienbork

Werbung

1.

Patti Hansen mit ihrer Familie bei einer Filmpremiere 2001