«Paare streiten sehr oft über Geld»
- Interview: Mathias Plüss; Fotos: Pexels.com
Reiche Menschen können nicht mehr richtig geniessen, sagt Psychologin Claudia Hammond. Und Geld macht auch nicht wirklich glücklich. Trotzdem wollen wir immer mehr davon …
annabelle: Claudia Hammond, ich habe Ihnen eine Münze mitgebracht, einen Zwanzigräppler von 1896.
Claudia Hammond: Oh, wie aufregend! Sind die immer noch in Umlauf?
Ja, und die Schweizer Münzen von heute sehen immer noch gleich aus wie damals. Ich achte immer darauf, ob ich eine alte finde. Ist das nicht ein bisschen kindisch?
Menschen mögen Bargeld. Es zieht uns an. Schauen Sie nur, ich berühre die Münze, drehe sie um, betrachte sie. Das geschieht fast automatisch. Bei einer so alten Münze ist es zudem spannend sich vorzustellen, wo sie überall war, wofür sie ausgegeben wurde. Ihre Bedeutung beschränkt sich nicht auf die 20 Rappen, die sie wert ist. Sie verkörpert Geschichte, und sie verkörpert Zukunft – nämlich all jene Dinge, die man damit kaufen kann. Auch wenn das in diesem Fall wohl nicht viel ist.
Wird das Bargeld verschwinden?
Viele Spezialisten behaupten das. Gewiss lassen sich schon heute all seine Funktionen elektronisch ersetzen. Und natürlich könnten Grosseltern ihren Enkeln an Weihnachten auch einen Betrag aufs Konto überweisen. Aber es macht einfach nicht so viel Spass, wie eine 10-Franken-Note in einem Couvert zu überreichen. Deshalb glaube ich, dass uns das Bargeld noch ziemlich lang erhalten bleibt.
Sie empfehlen, bar zu zahlen statt mit Kreditkarte. Warum?
Ganz einfach: Weil man weniger Geld ausgibt. Es tut uns weh, eine 50-Franken-Note auf den Tisch zu legen. Mit der Karte bezahlt es sich rasch und schmerzlos. Entsprechend können Menschen, die mit der Karte zahlen, sich schon beim Verlassen eines Geschäfts nicht mehr an den Betrag erinnern. Wer bar bezahlt hat, weiss hingegen noch genau, wie viel es war.
Und mit den neuen Formen des berührungslosen Zahlens wird es wohl noch schlimmer?
Ja. Aber ich denke, es gibt einen Ausweg. In Zukunft werden wir alle Zahlungen unverzüglich auf der Kreditkarte oder auf dem Smartphone sehen und so jederzeit den aktuellen Kontostand kennen. Dadurch ist man sich seiner Ausgaben sogar mehr bewusst, als wenn man das Geld im Portemonnaie hat.
Die Schweizer mögen Bargeld, Banken und Versicherungen, und sie sparen gern. Was sagt das über sie aus?
Dass ihnen Sicherheit wichtig ist. Manche Länder sind ja viel besser im Sparen als andere. Es gab eine sehr interessante Studie, wonach dabei die Sprache eine wichtige Rolle spielt, genauer gesagt die Bildung der Zukunftsform.
Wie das?
In Sprachen mit sogenannt starker Zukunftsreferenz wie dem Englischen müssen Sie das Futur benutzen: Tomorrow will be cold. Das Deutsche hingegen kennt eine schwache Zukunftsreferenz: Zwar gibt es eine Zukunftsform, aber sie können auch einfach «Morgen ist es kalt» sagen. Das Interessante ist nun, dass die Deutschen mehr sparen als die Engländer, oder allgemeiner, dass Sprecher mit schwacher Zukunftsreferenz mehr sparen als die mit starker.
Tönt wie ein Scherz.
Ist aber so. Es stimmt nicht für alle, aber für viele Länder, und der Effekt ist ziemlich deutlich. Auf Deutsch fühlt sich die Zukunft näher an als auf Englisch, darum wird mehr gespart.
Dann müssten die Deutschschweizer aber mehr sparen als die Tessiner und Westschweizer, denn auf Italienisch und Französisch gibt es ein striktes Futur.
Genau dies hat besagte Studie auch gezeigt. Besonders interessant finde ich das Beispiel Äthiopien, wo drei starke und drei schwache Sprachen gesprochen werden. Hier lässt sich an der Sprache eines Einwohners sein Sparverhalten besser ablesen als am Ausmass seiner Überzeugung, Sparen sei wichtig.
Gehen Frauen anders mit Geld um als Männer?
Frauen sparen mehr, sie gehen weniger Risiken ein, und sie geben mehr Geld aus für kleine Luxusartikel, wenn es ihnen nicht gut geht.
Das entspricht ziemlich genau den Klischees.
Aber die Unterschiede sind viel kleiner, als die meisten Leute glauben. Die Differenz zwischen zwei beliebigen Individuen ist meist viel grösser als zwischen Männern und Frauen im Durchschnitt.
Sie haben den kleinen Luxus erwähnt, den Frauen sich gönnen – sind das die berühmten Frustkäufe?
Ja. Ich sehe darin nichts Negatives. Die Frauen wissen genau, was sie tun. Sie kaufen sich einen Lippenstift oder eine Crème, weil sie damit ihre Stimmung für eine Weile aufhellen können. Sie glauben keineswegs, ihre Probleme würden deswegen verschwinden.
Männer machen keine Frustkäufe?
Seltener. Und wenn, dann weniger bewusst.
Vordergründig ist Geld etwas Rationales: Es geht um Zahlen, um Berechnungen. In Wahrheit aber ist Geld ein hochemotionales Thema. Warum?
Das hat damit zu tun, dass Geld für so viele andere Dinge steht. Geld verkörpert Vertrauen, Beziehungen, Macht, Wertschätzung. Wenn Menschen entdecken, dass sie für die gleiche Arbeit weniger bekommen als andere, werden sie in der Regel sehr wütend. Nicht weil sie zu wenig Geld hätten, sondern weil sie sich herabgesetzt fühlen.
Welche Rolle spielt Geld in Beziehungen?
Paare streiten sehr oft über Geld. Mehr noch: Paare, die bevorzugt über Geld streiten, werden häufiger geschieden als solche, die über Sex, Hausarbeit oder Erziehung streiten. Reichtum spielt dabei übrigens keine Rolle, gestritten wird auf jedem Einkommensniveau.
Warum ist Geld so oft Anlass für Krach?
Weil wir alle mit unterschiedlichen Haltungen aufgewachsen sind. Jeder hat etwas, wofür er ein bisschen mehr Geld ausgibt, und der Partner hält das dann vielleicht für Verschwendung. Doch was dem einen als Luxus erscheint, ist für den anderen eine Notwendigkeit. Wir beurteilen ständig, wer wofür wie viel ausgibt. Und wenn man nicht einverstanden ist, wird es emotional.
Etwas anderes Irrationales, das mir auffällt: Viele Leute sprechen davon, wie wichtig es ist, ökologische und regionale Produkte zu kaufen. Wenn sie aber irgendwo ein Schnäppchen entdecken, sind alle guten Vorsätze augenblicklich vergessen.
Wir sind sehr preisfixiert. Die Versuchung des Schnäppchens ist gross – wir haben das Gefühl, etwas quasi umsonst zu bekommen. Was nicht wahr ist. Ich habe zum Beispiel schon oft einen günstigen Frühflug gebucht und dann gemerkt, dass ich ein Taxi zum Flughafen nehmen muss, weil die Züge noch nicht fahren. So ist der Preisvorteil weg, und man muss erst noch früh aufstehen.
Ich verbringe manchmal Stunden damit, einen besonders günstigen Zug zu finden.
Das kenne ich auch. Gerade als Freelancer lohnt sich das nicht, weil wir ja in diesen Stunden arbeiten und Geld verdienen könnten – mehr, als wir mit dem günstigen Ticket sparen. Aber so denken wir nicht. Die Verrechnung von Zeit und Geld läuft beim Menschen ziemlich seltsam.
Macht Geld glücklich?
Ja. Aber der Effekt ist nicht besonders gross. Die meisten Leute glauben, dass jemand mit einem Einkommen von 120 000 Franken ständig sehr glücklich sei, während man mit 20 000 Franken extrem unglücklich sein müsse. Doch so ist es nicht. Beziehungen und Gesundheit haben einen viel grösseren Einfluss auf unsere Zufriedenheit als Geld. Und dann kommt es auch darauf an, was man mit dem Geld anstellt. Erlebnisse machen glücklicher als Materielles.
Gibt es eine Schwelle, oberhalb derer mehr Geld kein zusätzliches Glück bringt?
Vermutlich. Die Frage ist, wie hoch sie liegt. Früher hat man sie bei 20 000 Dollar im Jahr angesiedelt. Die neuere Forschung geht eher von 75 000 Dollar aus. Es geht darum, so viel Geld zu verdienen, dass man sich keine Gedanken mehr darüber machen muss, ob man Miete oder Krankenkassenprämie bezahlen kann.
Ich habe eine Aussage von Ihnen gelesen, die sich wie ein böser Witz anhört: Reiche verlieren die Fähigkeit zu geniessen.
Man sieht das schon in Experimenten. Wenn man jemandem ein wenig Geld gibt, wird er danach ein Stück Schokolade schneller essen und weniger auskosten. Besonders Menschen, die rasch reich geworden sind, etwa durch einen Lottogewinn, verlieren die Freude an kleinen Dingen, etwa am Anblick eines Wasserfalls.
Warum?
Sie können sich ja nun alles leisten. Das beste Essen in den besten Restaurants. Die kleinen Dinge beglücken sie nicht mehr.
Was empfehlen Sie jemandem, der im Lotto gewonnen hat?
Die Sache behutsam angehen. Sich nicht gleich das Beste leisten, sondern den Lebensstandard allmählich erhöhen. So bleibt die Genussfähigkeit erhalten.
Mir persönlich ist Freiheit wichtiger als Geld. Wenn ich erzähle, dass ich letzte Woche zwei Tage in den Bergen war, höre ich manchmal: «Das würde ich auch gern, kann es mir aber nicht leisten.» Warum sind die meisten Leute kaum bereit, auf ein wenig Geld zu verzichten?
Es liegt eben daran, dass wir die Glückswirkung des Gelds überschätzen. Viele Leute sind etwa auch bereit, für 4000 Franken mehr im Jahr die Stelle zu wechseln. Doch an den höheren Lohn gewöhnt man sich rasch, der Effekt verpufft. Wichtig für die Zufriedenheit ist hingegen, ob man seine Arbeit gern macht und ob man gute Arbeitskollegen hat. Das sollte man nicht für ein bisschen Geld aufs Spiel setzen.
Ist es nicht auch eine Frage der Sicherheit?
Ja, das Sicherheitsbedürfnis der Menschen ist sehr unterschiedlich. Manche Leute sagen mir: Wie kannst du nur Freelancerin sein; was machst du, wenn du alle Aufträge verlierst? Aber mir ist es wichtiger, eine abwechslungsreiche, befriedigende Arbeit zu haben – einmal abgesehen davon, dass man auch eine feste Stelle verlieren kann.
In Ihrem Buch über die Psychologie des Gelds geben Sie sehr viele Tipps. Halten Sie sich selber daran?
Ich versuche es. Und viele Freunde auch. Es endet meist damit, dass ich Nachrichten bekomme wie «Ich mache, was du empfohlen hast, und bin jetzt in Paris». Wenn ich protestiere, ich hätte nichts Derartiges gesagt, heisst es: «Doch, du hast doch gesagt, Erlebnisse seien wichtig.» Die Leute picken sich das heraus, was ihnen passt.
Einer Ihrer Tipps lautet, Freunde zu bitten, uns billigen Wein zu schenken, der glaubhaft teuer aussieht. Warum das?
Weil Experimente gezeigt haben, dass Wein besser schmeckt, wenn man davon überzeugt ist, er sei teuer. Das sieht man sogar im Gehirn. Ein wichtiger Ratschlag ist daher auch, keine Weinseminare zu besuchen und nicht zum Weinkenner zu werden. Sonst durchschaut man das Spiel.
Und Ihre Freunde machen das Spiel mit?
Konkret mache ich es so: Ich lasse meinen Mann die Weinkäufe machen. Weil ich mich nicht auskenne, kann ich mir dann bei jeder Flasche vorstellen, es sei eine richtig teure.
Wofür geben Sie persönlich zu viel Geld aus?
Für Pflanzen. Ich gärtnere fürs Leben gern.
Aber Pflanzen sind doch nicht so teuer?
Wenn man viele davon kauft, schon. Und Pflanzen kann man nie zu viele haben.
Claudia Hammond (46) hat angewandte Psychologie studiert. Sie lehrt Gesundheitspsychologie am Londoner Ableger der Boston University und arbeitet als Fernseh- und Radiomoderatorin für die BBC. Ihr neues Buch «Erst denken, dann zahlen. Die Psychologie des Geldes und wie wir sie nutzen können» ist 2017 bei Klett-Cotta erschienen.
1.
Zahlen Sie Ihren Kindern regelmässig Taschengeld. Keine gute Idee ist es, Arbeiten im Haushalt zu entlöhnen – die Kinder gewöhnen sich sonst daran, dass man nur gegen Bezahlung mithelfen muss.
2.
Wählen Sie nicht das mittlere Angebot. Online wie im Laden verwenden Händler denselben Trick: Sie präsentieren ein günstiges, ein teures und ein sehr teures Stück gleichzeitig. Unser Kompromisssinn verführt uns dazu, das teure zu wählen. Obwohl das billige vollkommen genügt hätte.
3.
Eröffnen Sie ein Bankkonto in einer anderen Landesgegend. Trotz Online-Banking rührt man das Geld weniger an, wenn man das Gefühl hat, es sei weit weg.
4.
Zahlen Sie kein Geld für gute Schulnoten, das ist kein Anreiz. Besser ist es, für konkrete Aufgaben zu zahlen, etwa für das Auswendiglernen von Unterichtsstoff.
5.
Zahlen Sie niemals für einen Freundschaftsdienst. Sonst verschieben Sie das Geschehen auf die geschäftliche Ebene. Und Ihr Freund wird sich plötzlich fragen, wieso er weniger verdient als ein professioneller Helfer.
6.
Spielen Sie nicht immer die gleichen Zahlen im Lotto. Das Problem: Man kann nicht mehr aufhören. Zu gross wäre der Frust, wenn die Zahlen eines Tages kämen, und man hätte sie nicht gespielt.