Leben
Olympia: 5 Athlet:innen, die Eiskunstlauf-Star Sarah van Berkel begeistern
- Text: Sarah van Berkel
- Bilder: Instagram / ilonamaher, jessfoxcanoe, jordanchiles; Gif: annabelle
Unsere Autorin Sarah van Berkel nahm als Eiskunstläuferin dreimal an den Olympischen Winterspielen teil. Hier verrät sie, welche Olympia-Sportler:innen sie in diesem Jahr neu entdeckt hat.
Ilona Maher: Beast, Beauty, Brains
Ilona Maher und ihr Team schreiben US-Sportgeschichte: Im 7er-Rugby gewinnen die Amerikanerinnen Bronze und damit die erste Medaille im Rugby für die USA in 100 Jahren. 1924 gewann das US-Männer-Team im Rugby Union Gold. Maher überzeugt nicht nur mit ihren athletischen Qualitäten: Was sie bei den Fans so beliebt macht – sie hat mittlerweile über drei Millionen Follower auf Instagram –, ist ihre authentische und witzige Art.
Mal erzählt sie selbstironisch und in Anlehnung an die Dating-Sendung «Love Island», dass sie sich freue, in der «Olympic Villa» (statt Olympic Village) die grosse Liebe zu finden. Mal vertilgt sie einen «kleinen Snack», ein Croissant, das fast so breit ist wie ihr Oberkörper.
Rugby spielen, das kann sie. Unterhalten – das kann sie ebenfalls. Doch Ilona Maher nutzt ihre Plattform nicht nur für Entertainment. Sie zeigt sich auch verletzlich, etwa als sie über ihre OIympia-Enttäuschung von Tokio und das Viertelfinal-Aus spricht. Sie kämpft gegen Geschlechtsstereotypen und für Body Positivity.
Maher hebt hervor, was eigentlich selbstverständlich sein sollte, aber für viele noch immer nicht ist: Dass Spitzensportlerinnen in allen Körperformen daherkommen, dass roter Lippenstift und Rugby wunderbar zusammenpassen, dass sie auch in einer roughen Sportart ihre Weiblichkeit leben kann. Ganz nach ihrem Motto: Beast, Beauty, Brains. Für ihren Auftritt auf und neben dem Feld gibts von mir die Bestnote.
Jessica Fox: Die erfolgreichste Olympia-Familie Australiens
Ihre Ausgangslage bringt den grösstmöglichen Druck: Die australische Kanutin Jessica Fox hat in ihrer langen Karriere 14 WM-Titel und insgesamt 22 WM-Podestplätze eingefahren. Auch drei Olympiamedaillen hat sie schon zu Hause: In London 2012 holt sie Silber, vier Jahre später in Rio gibts Bronze, in Tokio 2021 wird sie erneut Dritte. Doch der Olympiasieg fehlt im Palmarès der 30-Jährigen.
Klappt es in Paris, wäre es für sie besonders speziell: Sie ist in Frankreich geboren und ihre Mutter Myriam, die heute ihre Trainerin ist, gewann für Frankreich in Atlanta 1996 Olympia-Bronze in der gleichen Sportart. Zudem darf Jessica Fox als grosse Hoffnungsträgerin ihrer Nation die australische Flagge bei der Eröffnungsfeier tragen.
Erwartungen und Aufmerksamkeit scheinen Jessica Fox zu beflügeln: Im Kajak-Einer holt sie die lang ersehnte Goldmedaille. Damit ist sie die erste Australierin, die an vier aufeinanderfolgenden Spielen eine Medaille holt.
Doch nicht genug der Rekorde: Einige Tage später doppelt sie im Kanu-Slalom nach. Nicht schlecht, wenn man die geschwollenen Augen nach der Partynacht mit zwei Goldmedaillen kühlen kann, so wie Fox es in einem Instagram-Clip vorzeigt.
Tage später steht für Fox noch ein Wettkampf auf dem Programm. Sie startet in der erstmals an Olympia ausgetragenen Disziplin Kajak-Cross. Fürs Triple reicht es ihr zwar nicht, dennoch steht der Name Fox am Schluss zuoberst auf der Rangliste: Jessicas kleine Schwester Noémie gewinnt Gold! Nun ist Vater Richard Fox, seines Zeichens immerhin sechsfacher Kanu-Weltmeister, der Einzige in der Familie ohne Olympiamedaille.
Daniel Eich: Sportsgeist statt Medaille
Es sind bange Sekunden des Wartens für den Schweizer Judoka Daniel Eich am Schweizer Nationalfeiertag: Gewinnt der 24-Jährige in der Gewichtsklasse bis 100 Kilogramm Olympia-Bronze, weil sein Gegner, der Israeli Peter Paltchik, wegen zu vielen Verwarnungen disqualifiziert wird? Oder revidiert der VAR (Video-Schiedsrichter) das Urteil des Schiedsrichters? Nach rund einer halben Minute ist klar: Die dritte gelbe Karte für Paltchik – und damit seine Disqualifikation – wird zurückgenommen.
Der Kampf ist wenige Sekunden später zu Ende, Eich verliert. Für das Publikum in der Pariser «Champ de Mars»-Arena ist die Entscheidung nicht nachvollziehbar. Sie stellen sich lautstark auf die Seite des Schweizers und reagieren mit Buhrufen und Pfiffen gegen Paltchik, gegen den Schiedsrichter-Entscheid. Und Eich? In einem der wohl bittersten Momente seiner Karriere überzeugt er mit Sportlichkeit.
Statt zu reklamieren oder frustriert zu reagieren – was angesichts der Situation auch verständlich gewesen wäre –, gratuliert er seinem Gegner. Er stellt sich neben ihn und zeigte auf ihn, als ob er sagen will: Er hat es verdient, er ist der rechtmässige Sieger dieses Kampfs und der Medaille.
Die Buhrufe auf der Tribüne verstummen, stattdessen ist versöhnliches Klatschen zu hören. Auf der Matte muss sich Eich mit dem fünften Platz begnügen – aber in Fairness und Sportsgeist hat er Gold verdient.
Léon Marchand: Frankreichs neuer Sportheld
Vor den Spielen wurde er als einer der hoffnungsvollsten Athleten fürs Gastgeberland Frankreich gehandelt. Doch dass er gleich viermal Gold holt – das hätten ihm wohl die wenigsten zugetraut. Nun ist der Schwimmer Léon Marchand Frankreichs neuer Sportheld.
Und der 22-Jährige aus Toulouse wird gar als nächster Michael Phelps bezeichnet. Das kommt nicht von ungefähr: Marchand schwimmt in der Pariser Arena La Défense viermal in olympischer Rekordzeit zu Gold, und das in drei verschiedenen Disziplinen. Zudem trainiert Marchand seit drei Jahren in den USA bei Phelps’ ehemaligem Coach Bob Bowman.
Bis zu den 23 Medaillen des US-Amerikaners fehlen dem Franzosen zwar noch einige. Allerdings hat Marchand etwas geschafft, was dem erfolgreichsten Olympioniken der Geschichte nie gelungen ist: Zwei Olympiasiege (200 m Schmetterling und 200 m Brust) am selben Abend. Nicht nur die 15’000 Fans in der Schwimmhalle, darunter zweimal auch Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, feiern Marchand lautstark.
Der Jubel für Marchand ist auch in verschiedenen anderen Wettkampfstätten schier grenzenlos, Handyübertragungen sei Dank. Ob im Grand Palais beim Fechten, in der South Paris Arena beim Tischtennis und selbst auf dem Tennis-Court in Roland Garros – die Emotionen und der Lärm führen zu teils skurrilen Situationen, weil die Sportler:innen vor Ort nicht genau wissen, was gerade passiert.
Mittlerweile kennen sie ihn alle, in der Sportwelt und in seinem Heimatland: Léon Marchand, der Schwimmer, der Frankreich verbindet und ausflippen lässt.
Jordan Chiles: Chiles – und doch noch ein wenig Biles
Sie ist US-Amerikanerin und Turn-Olympiasiegerin. Nein, für einmal geht es nicht primär um Simone Biles. Von ihr haben wir in den vergangenen Wochen – zu Recht! – schon sehr viel gesehen und gelesen. Der Nachname dieser Athletin reimt sich auf Biles und ihre Erfolgsgeschichte ist stark mit der des Superstars verknüpft.
Apropos Superstar: Ihren Vornamen hat sie von ihren Eltern zu Ehren von Basketball-Legende Michael Jordan bekommen: Jordan Chiles ist 23-jährig und komplettiert in Paris ihren Olympia-Medaillensatz. Zu Team-Silber von Tokio kommen Team-Gold und Bronze am Boden. Fast wäre es allerdings gar nie so weit gekommen.
2019 will Chiles, die vier Geschwister hat, ihre Kunstturn-Karriere beenden. Sie hat das Gefühl, nicht mehr weiterzukommen, und kämpft mit Selbstzweifeln. Schliesslich ermutigt sie ihre Kollegin Simone Biles, weiterzumachen und in ihr eigenes Gym, das World Champions Centre, zu wechseln und mit ihr und ihrem Coaching-Team zu trainieren.
Das bedeutet für Chiles einen Umzug von Seattle nach Houston – zusammen mit ihrer Mutter Gina, aber ohne ihre Geschwister. Chiles findet in der Folge die Freude am Turnen wieder und auch sportlich zahlt sich der Wechsel aus.
In ihrem Privatleben macht Chiles hingegen eine schwierige Zeit durch: Im Herbst 2020 wird ihre Mutter wegen Betrugs zu 266 Tagen Haft verurteilt. Um ihre Tochter während ihrer ersten Olympischen Spiele unterstützen zu können, gewährt man ihr einen Haftaufschub von einem Monat. Nach den Spielen von Tokio tritt sie ihre Haftstrafe an.
Nun schreibt Chiles in Paris das vorläufige Happy End ihrer sportlichen Geschichte – mit ihren Eltern als ihre grössten Fans auf der Tribüne. Zuerst gewinnen die US-«Golden Girls» den Mehrkampf. Auch am letzten Tag des Turnwettkampfs teilen sich die Freundinnen Biles (2.) und Chiles (3.) das Podium und berühren mit einer ehrenvollen Geste: Sie knien nieder und verneigen sich vor Boden-Olympiasiegerin Rebeca Andrade aus Brasilien.
Sarah van Berkel (geb. Meier) ist ehemalige Eiskunstläuferin. Sie wurde 2011 Europameisterin und verzeichnet acht Schweizermeistertitel, drei Olympiateilnahmen und zwei EM-Silbermedaillen. Heute ist sie selbstständig in der Sportkommunikation tätig und arbeitet als Sportjournalistin.