Leben
Ohne Frauen kein Frieden
- Text: Helene Aecherli; Fotos: Ryan Brown/UN Photo, Bruno Gumyubumwe/UN Women
Dass man Friedensverhandlungen nicht allein den Männern überlassen darf, erkannte der Uno-Sicherheitsrat schon 2000. Und heute? Wie viel Krieg, Gewalt und Elend braucht es denn noch, bis die Frauen bei der Lösung von Konflikten mitreden dürfen?
Donald Steinberg klammert sich am Rednerpult fest, seine Hände zittern. «Ich sage es immer wieder, den Vermittlern der Uno, den Militärkommandanten, den Polizeifunktionären: Wollt ihr wissen, wo die feindlichen Truppen sind und wann sie angreifen», sagt er mit heiserer Stimme, «dann redet mit den Frauen auf dem Markt. Sie hören Gerüchte als Erste, registrieren die leisesten Veränderungen, denn davon hängt ihr Überleben ab. Wollt ihr wissen, ob die Wiedereingliederung von Kämpfern funktioniert, so erkundigt euch bei den Frauen in den Dörfern. Und wollt ihr wissen, ob die Reform des Sicherheitsapparats gelungen ist, fragt die Frauen, ob sie darauf vertrauen, dass die Polizei sie beschützt, oder ob sie noch immer fürchten, auf der Polizeistation vergewaltigt zu werden.»
Donald Steinbergs Sätze hallen in rhythmischer Monotonie durch den Saal, so als wären sie Teile eines Mantras, das er längst verinnerlicht hat. Über 35 Jahre lang vermittelte der US-Diplomat zwischen Konfliktparteien in Ländern Afrikas und im Nahen Osten, amtete als Sonderberater des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton und als Botschafter in Angola. An diesem Morgen spricht er vor einer 70-köpfigen All-female-Delegation in Washington DC an einer Konferenz zu «Women, Peace and Security». Die Frauen kommen aus 60 verschiedenen Ländern, aus dem Irak, aus Libyen, Guatemala, Nepal, aus der Elfenbeinküste, der Ukraine, aber auch aus Schweden und der Schweiz. Sie sind Vertreterinnen von NGOs, Anwältinnen, Polizistinnen. Und sie alle sind gekommen, um sich darüber auszutauschen, wie Frauen im Ringen um Frieden und Stabilität sichtbarer werden – mit dem Ziel, auch an Friedensverhandlungen Einfluss zu gewinnen. Donald Steinberg ist an diesem Tag der einzige männliche Redner. «Es ist gut», flüstert mir eine Parlamentarierin aus Bagdad zu, «auch Männer mit an Bord zu haben.»
Das Treffen in Washington DC findet zu einer Zeit statt, in der die Welt noch zu erfassen versucht, welche Auswirkungen Präsident Trump auf die geopolitische Balance haben wird. Bereits wurden globale Gleichstellungsbudgets gekappt, das Gespenst von einem Backlash gegen Frauen geht um. Aussichten, die dem Thema der Konferenz zusätzlichen Nachdruck verleihen.
Friedensverhandlungen sind hochkomplexe, oft jahrelange Prozesse, die bestimmt werden von den politischen Agenden sowie den Machtverhältnissen der involvierten Parteien. Und: Sie sind eine der letzten Männerbastionen. Noch immer versammeln sich zum Friedenspoker in den getäferten Räumen von Genf bis zur kasachischen Hauptstadt Astana fast ausschliesslich männliche Vertreter von Regierungs- und Oppositionsgruppen. Obwohl Frauen die Hälfte der Bevölkerung stellen, in Kriegen und Konflikten meist die Hauptleidtragenden sind und unter widrigsten Umständen den Alltag aufrechterhalten, sind sie in den Zirkeln der Macht nicht mehr als eine Randgruppe.
So zeigt etwa eine Studie von UN Women, dass in 31 grossen Friedensprozessen zwischen 1992 und 2011 nur zwei Prozent der Chefvermittler, vier Prozent der Zeugen und neun Prozent der Unterhändler Frauen waren. Daran hat auch die Uno-Resolution 1325, die vor 17 Jahren vom Sicherheitsrat verabschiedet wurde und unter anderem den Einbezug von Frauen in Friedensprozesse fordert (siehe Box), wenig geändert. Die Resolution gilt zwar als ein Meilenstein der Gleichstellungspolitik und wird weltweit begrüsst, de facto aber nur schleppend umgesetzt. Immerhin: In der Delegation, die vor drei Jahren den Friedensvertrag zwischen der philippinischen Regierung und der Moro Islamic Liberation Front unterzeichnete, waren 30 Prozent Frauen. Und in den Gesprächen zu Syrien, das ist ein Novum, steht dem Chefvermittler der Uno ein 12-köpfiges Frauenkomitee beratend zur Seite. Das ist lobenswert, es sind aber letztlich nur die Ausnahmen, die die Regel bestätigen.
Die Gründe hierfür sind erst mal banal: Krieg und das Aushandeln von Frieden gelten als archetypische Männerdomänen. Aber nicht etwa nur deshalb, weil Expertinnen für Minenräumung oder militärische Strategien generell rar sind, «sondern auch weil man hartnäckig davon ausgeht, dass es die Männer mit den Waffen braucht, um den Krieg zu beenden», wie Donald Steinberg bemerkt. «In diesen Runden, die oft von religiösen und konservativen Kräften geprägt sind, dominiert der Kampf um Macht, Ressourcen und Ego. Frauen würden dabei nur stören.» Zudem droht nur schon die Präsenz von Frauen die Akteure an Gewalttaten gegenüber der Zivilbevölkerung zu erinnern; damit wollen die wenigsten konfrontiert, geschweige denn dafür zur Rechenschaft gezogen werden. «Geht es um mögliche Amnestien», erklärt Steinberg lakonisch, «tendieren Männer mit Waffen dazu, anderen Männern mit Waffen zu verzeihen. Das ist ein Machotum, das in Konfliktzonen nur schwer zu überwinden ist.»
Den Widerstand des Machismo allein als Erklärung für die Abwesenheit von Frauen zu sehen, wäre jedoch zu simpel. Die Ursachen sind vielschichtiger. So spielen traditionelle Geschlechterrollen, kombiniert mit tief verwurzelten Normen patriarchaler Gesellschaften, eine Rolle – gerade in aktuellen Konfliktregionen wie Syrien. Frauen müssen in erster Linie ihre Familien versorgen. Wurde der Mann im Krieg getötet, sind sie meist die alleinigen Ernährerinnen. Die nicht selten lebensgefährliche Fahrt in die Hauptstadt auf sich zu nehmen oder gar ins Ausland zu reisen, um an Friedensverhandlungen teilzunehmen, ist eine Aufgabe, für die viele weder Zeit noch Kraft haben. Zudem ist es in Regionen, in denen die weibliche Teilnahme am öffentlichen Leben generell als unziemlich gilt, schwierig, Frauen überhaupt für politische Prozesse zu interessieren. «Ausser in der Oberschicht wird Politik in weiten Teilen der syrischen Bevölkerung als Männerangelegenheit betrachtet», erklärt die syrische Frauenrechtsaktivistin Rajaa Altalli. «Diese Normen verändern sich nur sehr langsam.» Zwar hätten in den letzten Jahren Frauen vermehrt politisch mobilisiert werden können. Doch sind inzwischen viele jener Frauen nach Europa geflüchtet. Ziel ist es nun, mit Syrerinnen in Europa Kontakt aufzunehmen und sie zu bewegen, ihr politisches Engagement wieder aufzunehmen.
Eines der grösste Hindernisse für die Partizipation von Frauen aber ist, wie so oft, der Mangel an finanziellen Mitteln. Gar manche sind vom Ehemann, Vater oder Bruder abhängig. «Ohne finanzielle Ermächtigung der Frauen», betont Rajaa Altalli, «wird es auch keine politische Ermächtigung geben.» Sie plädiert dafür, den Aufbau von Frauennetzwerken, die zur Konfliktbekämpfung und zum Aufbau demokratischer Strukturen beitragen, ganz oben auf die Agenda internationaler Geldgeber zu setzen.
Denn ausgerechnet in solche Netzwerke wird kaum investiert. Gemäss dem Gleichstellungsnetzwerk der OECD gingen 2013 bloss 130 Millionen Dollar an Frauenorganisationen in Kriegs- und Konfliktgebieten. Im Vergleich zu den knapp 32 Milliarden, die jährlich als Hilfsgelder in krisengeschüttelte Staaten fliessen, eine beschämende Summe. Aus diesem Grund wurde im vergangenen Jahr der Women’s Peace Humanitarian Fund lanciert; dessen Ziel ist es, Projekte zu fördern, wie sie etwa in Burundi Schule machen: Als 2015, zehn Jahre nach Ende des Kriegs zwischen Hutu-Rebellen und der von Tutsi dominierten Armee, erneut landesweite Unruhen ausbrachen, gründeten Aktivistinnen das Women Network for Peace and Dialogue. Das Netzwerk umfasst 534 Frauen, die in den 129 Gemeinden des Landes als eine Art Feuerwehr agieren; sie vermitteln bei Konflikten um Land, sexualisierte Gewalt, bei politischen Querelen, werden gerufen, wenn nur schon das Gerücht eines Konflikts umgeht. Innerhalb eines Jahres schafften sie es, über 6000 solcher Brandherde zu löschen. Das hat mit dazu beigetragen, dass die Unruhen in Burundi, brutalsten Menschenrechtsverletzungen zum Trotz, nicht wieder zu einem offenen Krieg eskaliert sind.
Früher war es bei Friedensprozessen vor allem darum gegangen, die Gewaltspirale zu stoppen, danach zogen sich die involvierten Parteien wieder ins gewohnte Tagesgeschäft zurück. Heute aber ist ein Paradigmawechsel im Gang. Rachel Gasser, Mitarbeiterin beim Mediationsprogramm des Schweizerisches Friedensforschungsinstituts Swisspeace und Koordinatorin der Projekte in Myanmar (Burma), erklärt es so: Der Druck der internationalen Gemeinschaft auf Konfliktparteien steige, neue Visionen für ihre Gesellschaften zu entwerfen und zu definieren, unter welchen Bedingungen die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zusammenleben wollen. Dabei stehen die Verteilung von Bodenschätzen, die Reform des Justizapparats, die Umsetzung von Menschenrechten – besonders die Ahndung sexualisierter Gewalt – im Vordergrund. «Diese Agenda lässt sich nicht mehr einfach zwischen politischen und militärischen Eliten abhandeln, sondern bedingt – will sie nachhaltig sein – eine breite Abstützung in der Zivilgesellschaft. Es geht nicht mehr um Gewaltenteilung, sondern um das Aufteilen von Verantwortung. Und in diesem Prozess haben Frauen nicht nur das Recht, dabei zu sein – sie sind auch Teil der Lösung.»
Gemischte Teams bringen bessere Erträge. Was in der Wirtschaftswelt als erwiesen gilt, rückt nun auch im Friedensgeschäft in den Fokus. Friedensforscher sind sich einig: Frauen neigen eher dazu, sich erst unterschiedliche Meinungen anzuhören, bevor sie Position beziehen. Sie vermitteln zwischen den Parteien und schmieden Allianzen. Zudem richtet sich ihr Interesse häufiger auf das Wohlergehen der Gemeinschaft und der nächsten Generationen als auf den eigenen Profit. Rachel Gasser unterstreicht dies mit Beobachtungen aus Myanmar, wo sich ethnische Minderheitsgruppen seit über 60 Jahren erbitterte Kämpfe mit der Regierungsarmee liefern. «Als bei einer Runde von Friedensgesprächen darüber debattiert wurde, wie der Zugang zu den Goldminen geregelt werden sollte, forderten die anwesenden Frauen, dass sie zu gleichen Teilen wie die Männer von den Minen profitierten. Die Erträge sollten durch die Finanzierung von Schulen und Spitälern in die Gemeinden zurückfliessen. Die Männer aber waren eher um ihre eigene Zukunft besorgt.»
Darüber hinaus verfügen gerade Frauen in ländlichen Gebieten über Ortskenntnisse, die Männern oft fehlen. Sie sind die Hüterinnen der Weiden und erfahren als Erste, welche Stellen fernab der Hauptstrassen vermint sind. Und da sie es sind, die täglich Wasser holen, wissen sie auch über den Zustand der Quellen am besten Bescheid. Inwiefern dies matchentscheidend sein kann, zeigt ein Beispiel aus dem Südsudan: Wochenlang hatten sich Rebellengruppen über ein Gebiet mit Wasserquelle gestritten. Irgendwann drängte sich die Vertreterin einer lokalen Frauenorganisation vor. «Es geht um diese Zone, nicht wahr?», fragte sie und bemerkte: «Die Quelle dort ist seit drei Jahren ausgetrocknet.» Die Männer waren überrascht: «Da gibt es gar kein Wasser mehr?» Sie hatten über etwas gefeilscht, das längst irrelevant geworden war.
Doch so unbestritten die Stärken von Frauen in Konfliktsituationen auch sein mögen – ein allzu euphorischer Fokus darauf birgt die Gefahr, in die Falle des Benevolent Sexism zu tappen. Und das ist kontraproduktiv. Denn wer Frauen ausschliesslich als Opfer, Friedensstifterinnen oder Förderinnen der Gendergerechtigkeit sieht, verniedlicht sie nicht nur, er ignoriert auch die Tatsache, dass Frauen dieselbe ideologische Inbrunst und Gewaltbereitschaft entwickeln können wie Männer. Laut Untersuchungen des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen sind heute 10 bis 30 Prozent der Mitglieder militärischer Einheiten oder Rebellengruppen weiblich. Die vornehmlich jungen Frauen haben oft rein zudienende Funktionen, sind aber vermehrt auch Kämpferinnen oder Selbstmordattentäterinnen. Dennoch sind an Konflikten aktiv beteiligte Frauen noch weitgehend ein blinder Fleck, sie fallen oft durchs Netz von Entwaffnungs- und Wieder- eingliederungsprogrammen.
Im Konferenzsaal in Washington geht inzwischen das Mikrofon herum. Es wandert von einer Frauenhand zur nächsten. Die Zeit, das ist schnell klar, wird nie für alle Stimmen reichen; zu gross ist der Drang kundzutun, was die Bedingungen wären, um mehr Frauen in die Zirkel der Macht zu bringen. Die Rednerinnen fordern mehr Frauen in Entscheidungsgremien, Quoten bei politischen Parteien, besseren Zugang zu Arbeits- und Finanzmärkten, einen verstärkten Kampf gegen häusliche Gewalt, mehr Frauen in Polizei und Justiz, die familiäre Einbindung von Männern ganz generell, denn auch Väter, ruft eine Anwältin aus Sierra Leone, «sind um ihre Kinder besorgt». Es sind Forderungen die an ähnlichen Konferenzen schon unzählige Male formuliert worden sind und dennoch nie etwas von ihrer Dringlichkeit einbüssen.
Das Heidelberger Institut für internationale Konfliktforschung verzeichnet für das vergangene Jahr weltweit 18 Kriege und über 200 bewaffnete Konflikte, mehr als 65 Millionen Menschen sind auf der Flucht, so viele wie noch nie zuvor. Parallel dazu sind gemäss dem internationalen Friedensforschungsinstitut Sipri die Rüstungsverkäufe 2016 auf schier unfassbare 1686 Milliarden Dollar gestiegen. Spitzenreiter beim aktuellen Wettrüsten ist das Gastgeberland der «Women, Peace and Security»-Konferenz, die USA, vor China und Russland. Angesichts dieser Zahlen bedarf es einer geradezu unerschütterlichen Entschlossenheit, im Ringen um Frieden einfach weiterzumachen. Zwar keimen in den Friedensgesprächen zu Syrien, dem Irak, zur Ukraine, zu Afghanistan oder dem Jemen die Hoffnungen auf einen Durchbruch immer mal wieder auf, werden aber genauso regelmässig wieder enttäuscht.
Ähnlich ernüchternd sieht es bei bereits geschlossenen Friedensabkommen aus: Gemäss UN Women wird über die Hälfte aller Abkommen innerhalb von fünf Jahren wieder gebrochen. Für den Diplomaten Donald Steinberg liegt der Grund dafür auf der Hand: «Friedensverhandlungen scheitern hauptsächlich deshalb», sagt er, «weil man unfähig ist, talentierte Vertreter aus der Zivilgesellschaft, besonders aber Frauen als Planerinnen und Unterhändlerinnen einzubinden. Wir haben genug Beweise dafür, was Frauen bringen. Was braucht es denn noch?» Seine Worte erhalten zusätzliche Schubkraft durch die Studie «Making Women Count – Not Just Counting Women», die vom Graduate Institute Geneva, dem Hochschulinstitut für internationale Studien in Genf, durchgeführt wurde und weltweit für Aufsehen gesorgt hat. Eine Analyse von 40 Friedensprozessen seit Ende des Kalten Kriegs zeigt, dass Verhandlungen fast immer dann zu Ende gebracht und die Vereinbarungen in der Nachkriegszeit eher umgesetzt wurden, wenn Frauen einen starken Einfluss ausüben konnten.
Frauen tragen unterschiedlich zu Friedensprozessen bei. Sie versammeln sich in Workshops, lobbyieren, rufen zu Demonstrationen auf, machen Druck, wenn Gespräche ins Stocken geraten, oder setzen Friedensprozesse überhaupt in Gang. Geradezu legendär ist die Kampagne «Women of Liberia Mass Action for Peace», die 2002 von der liberianischen Sozialarbeiterin Leymah Gbowee initiiert wurde, um dem seit zwei Jahren andauernden Krieg zwischen dem damaligen Präsidenten Charles Taylor und militanten Rebellengruppen ein Ende zu setzen. Die Kämpfe hatten über 200 000 Todesopfer gefordert, unzählige Dörfer waren verbrannt worden. Unter der Führung Gbowees demonstrierten Tausende von Frauen auf dem Fischmarkt der Hauptstadt Monrovia gegen den Krieg, drohten ihren Partnern mit Sexstreik, sollten sie ihre Forderungen nach Friedensgesprächen nicht unterstützen. Drei Wochen nach Beginn der Kampagne willigte der Präsident ein. Leymah Gbowee wurde 2011 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Und ihr Kampf macht Schule: Letzten Oktober führte die israelische Frauenorganisation Women Wage Peace einen Friedensmarsch durch, dem sich 30 000 Israelinnen und Palästinenserinnen anschlossen. Ziel der Bewegung: die Friedensgespräche wieder in Gang und Frauen an die Verhandlungstische zu bringen. Denn Einfluss auf den eigentlichen Prozess hat letztlich nur, wer in den Entscheidungsgremien sitzt.
«Nun aber einfach zu sagen: ‹Wir brauchen mehr Frauen›, das greift zu kurz. Es kommt nicht nur auf die Menge der Frauen an, sondern vor allem auch auf die Funktionen, die sie innehaben», erklärt Thania Paffenholz, Leiterin der Genfer Studie und Direktorin der Inclusive Peace and Transition Initiative. «Sind sie zum Beispiel nur in den Delegationen dabei, oder haben sie die Delegationsleitung inne? Selbst wenn viele Frauen am Verhandlungstisch sitzen, heisst das noch lang nicht, dass sich dann auch in den Gremien, die die Abkommen umsetzen müssen – etwa die Ahndung sexualisierter Gewalt –, mehr Frauen befinden.»
Der simple Ruf nach mehr Frauen sei aber auch deshalb unbefriedigend, weil der Begriff Frauen bloss ein unspezifisches Kollektiv bezeichnet. «Denn: Welche Frauen sind gemeint?», so Thania Paffenholz. «Jene der Konfliktparteien? Aktivistinnen? Junge Frauen? Oder einstige Kämpferinnen? Hier muss man differenzieren. Bei den Männern sagt man ja auch nicht: Wir brauchen mehr Männer. Sondern: Wo sind die Vertreter der Konfliktpartei XY? Und dann gilt es zu klären, wie diese Frauen in die Verhandlungen reinkommen.»
Der Weg zur Mitsprache bedingt oft mühselige diplomatische und strategische Kleinarbeit. In Kolumbien ist es nach fünfzig Jahren Bürgerkrieg zwischen der Regierung und Farc-Rebellen einzig der Lobbyarbeit von Frauenorganisationen sowie internationaler Unterstützung zu verdanken, dass die Delegationen beider Parteien 30 Prozent Frauen aufwiesen; die beiden weiblichen Mitglieder des 10-köpfigen Verhandlungsteams der Regierung wurden nominiert, nachdem Tausende von Frauen dafür auf die Strasse gegangen waren, weil sie ein All-male-Team nicht akzeptieren wollten. Zudem wurde gegen den Widerstand konservativer und religiöser Kreise eine Gender-Subkommission eingerichtet, die garantieren sollte, dass die Anliegen von Frauen im Friedensvertrag berücksichtigt werden.
Eine Quote kann trotz allem eine notwendige Initialzündung sein, gerade in Ländern, in denen Frauen weniger organisiert sind. Sie wird zwar in den wenigsten Fällen von den Konfliktparteien selbst lanciert, sondern kommt in der Regel durch Intervention der Vereinten Nationen zustande, wenn sie die Prozesse leiten. Allerdings wird die Quote dann nicht selten nach Belieben interpretiert: Oft nominieren Konfliktparteien ganz einfach Mütter, Ehefrauen, Schwestern und Cousinen, um die Vorgaben der Uno zu erfüllen. «Wir nennen das den ‹Cousins, Sisters and Wives Club›», so Thania Paffenholz. «Diese Frauen sind natürlich zuerst streng parteipolitisch unterwegs, was viele Vermittler die Frage stellen lässt: Was bringt denn das? Erst bringt das natürlich gar nichts. Aber dann sehen wir, dass die Arbeit an den Verhandlungstischen die politische Einstellung der Ehefrauen, Schwestern und Cousinen verändert – sie bekommen eine eigenständige Meinung.»
Haben sich Frauen erst einmal einen Platz am Verhandlungstisch erkämpft, gibt es für die meisten von ihnen kein Zurück mehr
Revolutionäre Resolution
Am 31. Oktober 2000 wurde die Resolution 1325 zu Women, Peace and Security vom Uno-Sicherheitsrat einstimmig ver- abschiedet. Es ist die erste Resolution, die die Folgen bewaffneter Konflikte für Frauen und Mädchen benennt. Haupt- forderungen der Resolution sind die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen an Friedensverhandlungen, Mediation und Wiederaufbau, Prävention von sexualisierter Gewalt, Schutz von Mädchen und Frauen während und nach Gewalt- konflikten sowie die Schaffung einer gendersensitiven Perspektive in allen Programmen der Friedensförderung. Erforderlich für die Umsetzung ist ein Nationaler Aktionsplan (NAP). Bis anhin haben erst 67 der insgesamt 193 Uno- Mitgliedsstaaten einen NAP verabschiedet. Die Schweiz hat ihren NAP 2007 als eines der ersten Länder auf die aussen- politische Agenda gesetzt.
1.
31. Oktober 2000: Der Uno-Sicherheitsrat beschliesst einstimmig die Resolution 1325 zum Einbezug der Frauen in die Prävention und Lösung von Konflikten
2.
Friedensgespräche im Kleinen: Zwei Mediatorinnen des Women Network for Peace and Dialogue schlichten 2016 einen Nachbarschaftsstreit in einem Dorf in Burundi